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Der Pyrrhussieg des Hamburger Hafens

Blog Marcel Fratzscher vom 13. Oktober 2022

Dieser Beitrag erschien beim Spiegel.

Der Weg für den Einstieg Chinas bei einem Terminal des Hamburger Hafens ist frei. Doch der Vorteil für die Wirtschaft dürfte nur vorübergehend sein. Die Entscheidung der Regierung ist dagegen langfristig fatal.

Die Bundesregierung hat eine wichtige Chance verpasst, den im Koalitionsvertrag versprochen Kurswechsel in der Außenpolitik zu vollziehen. Mit einer Absage an die Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco am Hamburger Hafen hätte sie ein wichtiges Signal senden können, dass die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und China sich grundlegend wandeln müssen. Dass die Beteiligung jetzt genehmigt wurde, ist ein Pyrrhussieg: Sie sichert kurzfristige wirtschaftliche Erträge, aber langfristig schadet sie der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen und höhlt den Wirtschaftsstandort Europa und Deutschland weiter aus.

Die kurzfristigen Vorteile der Genehmigung liegen auf der Hand: Sie macht die Verschiffung durch den Hamburger Hafen durch Cosco, eines der größten Logistikunternehmen weltweit, attraktiver. Das bringt mehr Umsatz und sichert Jobs in Hamburg. Zudem muss man in aller Fairness betonen, dass wichtige Wettbewerber – allen voran Rotterdam, Antwerpen und Zeebrugge – bereits Beteiligungen von Cosco erlauben (im Fall von Zeebrugge sogar zu 85 Prozent). Anders als beispielsweise in Piräus erhält Cosco zudem zumindest rechtlich keine Kontrolle über das Terminal. Außerdem bringt die Beteiligung zusätzliches Kapital nach Hamburg und in den Ausbau der Infrastruktur der Region.

Dieser Text erschien am 26. Oktober 2022 auf Spiegel.de

Chinas Regierung ist sich ihrer Erpressungsfähigkeit bewusst

Dem stehen eine Reihe schwerwiegender Nachteile gegenüber. Die Beteiligung Coscos vergrößert die schon jetzt asymmetrische Abhängigkeit Deutschlands und Europas von China. Zwar investieren deutsche Unternehmen sehr viel mehr direkt in China, als chinesische Unternehmen dies in Deutschland tun. Allerdings verbietet China ausländische Investitionen in vielen wichtigen Wirtschaftssektoren wie kritischer Infrastruktur, Telekommunikation oder zahlreichen Technologiebereichen. Hinzu kommt die deutlich höhere Abhängigkeit im bilateralen Handel von China, vor allem bei wichtigen Rohstoffen wie seltenen Erden. Dass die chinesische Regierung sich ihrer Erpressungsfähigkeit bewusst ist, zeigt die Diskussion über die Bereitstellung von 5G-Netzen durch den chinesischen Konzern Huawei.

Die Entscheidung der Bundesregierung stärkt ein chinesisches Staatsunternehmen im wichtigen Markt der globalen Logistik. Schon jetzt hat Cosco als Staatsunternehmen viele Vorteile im globalen Wettbewerb, da der Konzern nicht zwingend Gewinne machen muss und auch politische Ziele der chinesischen Regierung verfolgen kann. Somit wächst die Gefahr, dass immer weniger westliche Konzerne im globalen Wettbewerb in der Logistik mitmischen können und dieser zunehmend von politisch kontrollierten Unternehmen dominiert wird. Somit könnte sich der vermeintliche Vorteil für Hamburg langfristig als Nachteil erweisen, weil er den Marktzugang anderer Unternehmen erschwert und Hamburg zum Spielball chinesischer Politik machen könnte. Wie würden die Regierungen in Hamburg, Berlin und Brüssel reagieren, wenn Cosco darauf drängt, dass der Hamburger Hafen keine Lieferungen aus Taiwan akzeptieren soll?

Die Zustimmung der Bundesregierung ist vor allem eine verpasste Chance und ein Bruch mit dem Versprechen des Koalitionsvertrags, in Zukunft eine von Werten geleitete Außenwirtschaftspolitik zu verfolgen. Bei einer werteorientierten Außenwirtschaftspolitik geht es nicht nur um Moral, Anstand und Würde, sondern letztlich auch um die Sicherung des Wirtschaftsmodells und der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas. In einer hoch globalisierten Wirtschaftswelt wird der Erfolg unterschiedlicher wirtschaftlicher und politischer Modelle zunehmend durch die Frage entschieden, wer die Spielregeln bestimmt. Es besteht große Einigkeit in Europa, dass der Schutz der Privatsphäre und persönlicher Daten, der Schutz von Menschenrechten und humaner Arbeitsbedingungen sowie ethische Standards bei Forschung und Entwicklung unverhandelbar sind als Teil der Menschenwürde und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Die Entscheidung der Bundesregierung ist daher fatal, weil sie letztlich akzeptiert, dass chinesische Unternehmen nach anderen Spielregeln spielen dürfen als deutsche oder europäische Unternehmen. Was chinesischen Unternehmen also in Europa und Deutschland erlaubt ist, ist europäischen Unternehmen in China verboten. Eine symmetrische Beteiligung eines deutschen Unternehmens an einem chinesischen Hafen wäre unmöglich.

Schwächung der europäischen Werte

Somit wird die Entscheidung ein weiterer Schritt sein, der die europäischen Werte schwächt. Denn wenn chinesische Unternehmen und andere Unternehmen weltweit sich die wirtschaftlichen Kosten zur Gewährleistung hoher Standards bei Klima, Umwelt, Menschenrechten und Arbeitsbedingungen sparen können, dann werden sie solche Unternehmen, die diese Standards einhalten, aus dem Markt verdrängen. Langfristig wird es somit immer weniger global erfolgreiche Unternehmen geben, die unsere westlichen Standards erfüllen. Ultimativ bedeutet dies, dass China den globalen Standard setzen wird, wenn wir diesen »Race to the Bottom«, den Unterbietungswettbewerb, mitmachen und nicht Einhalt gebieten.

Daher sollte die Bundesregierung hart bleiben und einer Beteiligung Coscos am Hamburger Hafen nicht zustimmen. Mehr noch, sie sollte wieder mehr Gewicht auf die strategische Souveränität der EU in wichtigen wirtschaftlichen Bereichen legen. Deutschland und Europa dürfen den Fehler, wie sie ihn bei der zunehmenden Abhängigkeit von russischem Gas in den vergangenen 20 Jahren stetig begangen haben, nicht wiederholen. Die EU sollte noch einen Schritt weitergehen und darauf drängen, dass wichtige Infrastrukturen wieder in europäische Hand gebracht werden, um die Asymmetrie und die Erpressbarkeit nicht nur von China, sondern von allen nicht europäischen Unternehmen und Regierungen, zu reduzieren.

Ich vermute, die Bundesregierung will vor dem Besuch des Bundeskanzlers in China geplante wirtschaftliche Abkommen nicht gefährden und ist vor dem chinesischen Druck eingeknickt. Statt eine werteorientierte Außenpolitik zu verfolgen, wie im Koalitionsvertrag versprochen, verfolgt die Bundesregierung weiterhin eine merkantilistische Außenwirtschaftspolitik, die auf kurzfristige Gewinne und nicht auf langfristige Wettbewerbsfähigkeit, symmetrische Beziehungen und hohe ethische und wirtschaftliche Standards abzielt. Damit kompromittiert Deutschland und Europa die langfristige Wettbewerbsfähigkeit und unseren Wohlstand. Die EU und die Bundesregierung sollten die Symmetrie der wirtschaftlichen Beziehungen in den Mittelpunkt ihrer Wirtschaftspolitik mit China stellen. Die Bundesregierung muss als größtes und von China am stärksten abhängige Land Europas mit gutem Beispiel vorangehen. Es bleibt zu hoffen, dass der Bundeskanzler dies auf seinem Besuch in China mit Nachdruck unterstreicht. Die Erlaubnis der Beteiligung von Cosco am Hamburger Hafen wäre jedoch kein gutes Omen.

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