Medienbeitrag vom 27. Februar 2023
Massive industriepolitische Eingriffe in China und den USA haben Europa und Deutschland unter Druck gesetzt: Sie müssen sich bei Wettbewerbsfähigkeit und Innovation neu aufstellen. Es besteht die Gefahr, dass Europa darauf mit Protektionismus, einem unproduktiven Subventionswettlauf und nationalen Lösungen reagieren wird. Doch es sollte eine andere Strategie verfolgt werden: Innovation durch eine Investitionsoffensive in Forschung und Entwicklung, eine Stärkung von Wettbewerb in Europa und der Welt sowie eine Vertiefung des Binnenmarkts anstelle von nationalen Alleingängen. Vor allem Deutschland muss hier viel tun.
Gastbeitrag von Guntram Wolf, Achim Wambach und Marcel Fratzscher, der am 26. Februar 2023 zuerst in der Süddeutschen Zeitung erschien.
Bidens Subventionspaket, der Inflation Reduction Act oder kurz: IRA, hat große Sorgen hervorgerufen. Im Kern geht es den Amerikanern nicht nur um eine Antwort auf die Subventionierung grüner Technologie in China. Vielmehr geht es auch um Sicherheitsrisiken, sollte China strukturell durch Subventionen diesen Sektor beherrschen. Schon jetzt dominiert China Weltmärkte im Bereich der Solar- und Windenergie mit Marktanteilen von teilweise über 80 Prozent. Zwar profitiert der Westen von billigen chinesischen Produkten. Gleichzeitig macht er sich aber dadurch verwundbar. Besonders dann, wenn es zu einer verschärften Konfrontation der beiden Supermächte käme. Deswegen versuchen die USA, mit ihrem Subventionsprogramm eigene Produktionskapazitäten aufzubauen.
Die Subventionsprogramme in China, den USA und den lokalen Produktionsauflagen führen nun zu einem neuen Standortwettbewerb. Europa hat in den vergangenen Jahren bereits große Investitionsprogramme mit Fokus auf die ökologische Transformation aufgelegt, etwa mit Next Generation EU (NGEU), einem Programm von knapp 800 Milliarden Euro, das die EU-Mitgliedstaaten bei ihren Maßnahmen für einen nachhaltigen Aufschwung unterstützen soll. Aber auch mit dem Programm Repower EU, das dabei unterstützt, Energie einzusparen und sauberere Energie zu erzeugen. Diese Programme setzen stark darauf, die Infrastruktur aufzubauen. Es gibt im Einklang mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) allerdings keine Auflagen, im Inland zu produzieren.
Wie kann es also weitergehen? Deutschland und Europa sollten sich nicht mit China und den USA in einen Überbietungswettbewerb bei Subventionen begeben. Europa muss einen eigenen Weg finden, der die Besonderheiten und Stärken Europas berücksichtigt. Einen Weg, der auch mögliche Sicherheitsrisiken nicht aus dem Blick verliert.
Wir sorgen uns, dass die Rufe der Wirtschaftsinteressen nach mehr Subventionen durchdringen und die Politik den Irrweg einer Zementierung des Status quo versucht. Wir sorgen uns auch, dass die Politik vermeintliche "nationale Champions" unterstützt, die international nicht wettbewerbsfähig sind. Die Politik würde damit scheitern, Europa und Deutschland zukunftsfähig zu machen, die Ziele des Klimaschutzes zu erreichen und den Wirtschaftsstandort Europa mit vielen guten Arbeitsplätzen zu sichern. Und auch die Sicherheitsinteressen wären nur begrenzt befriedigt, wenn alte Systeme dominierten. Gleichzeitig reicht aber eine einfache Aufforderung danach, Lieferketten zu diversifizieren, nicht aus. Vor allem, wenn dies strukturell durch Subventionen und lokale Produktionserfordernisse in den USA und China verhindert wird.
1. Wettbewerb stärken: Sowohl innerhalb Europas als auch global sollten Europa und Deutschland den Wettbewerb mehr fokussieren, mehr fördern. Strategische Souveränität im Sinne rein regionaler Lieferketten ist und bleibt eine Illusion, für Europa wie auch für China oder die USA. Ziel dieser Strategie kann es nicht sein, alle Elemente vermeintlich wichtiger Lieferketten geografisch in Europa zu verankern.
Europa muss gegenüber China und den USA eine Rückkehr zu fairem Wettbewerb einfordern, und zwar im Rahmen der WTO. Da dies aber wahrscheinlich bei beiden Supermächten nicht zu den erforderlichen Veränderungen führen wird, muss Europa seine Abhängigkeiten von China und den USA auch dadurch reduzieren, dass es seine Lieferketten durch einen starken Ausbau von Kooperationen mit Drittstaaten resilienter macht. Zum Beispiel in Lateinamerika. Der Versuch, eine reine europäische Souveränität zu erreichen, hätte schädliche Konsequenzen für Europa. Es würde die Kosten massiv erhöhen und Unternehmen nicht mehr, sondern weniger wettbewerbsfähig machen. Die Anlehnung an die WTO würde eine zu große Einschränkung des internationalen Wettbewerbs in Europa auf diese Weise vermeiden, da Drittländer nicht betroffen wären.
2. Eine Investitionsoffensive für Innovation in Europa: Dafür sollten sich die EU und ihre Mitgliedsländer bei Forschung und Entwicklung deutlich mehr anstrengen. Das Beispiel von strategisch wichtigen Projekten im europäischen Rahmen, dem "Important Project of Common European Interest" (IPCEI), mit dem Anspruch, weltweit führende Technologien zu entwickeln, ist ein vielversprechendes Instrument. Dieses Instrument sollte in Zukunft gestärkt werden. Die Förderung von Produktion kann unter bestimmten Bedingungen zwar zielführend sein. Auflagen für Forschung und Entwicklung sollten dennoch für alle Förderungen verpflichtend sein. Zudem erfordert dies eine enge Abstimmung mit klimapolitischen Instrumenten, wie dem Leitinstrument des CO₂-Preises, dem Grenzausgleichsmechanismus und der Zuteilung von Emissionszertifikaten.
Zudem sollte der Hauptfokus nicht auf Subventionen für Unternehmen liegen. Stattdessen sollten vor allem bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen geschaffen werden. In anderen Worten: Nicht Geld schafft Innovation und Wettbewerbsfähigkeit, sondern die Gesamtheit aller Voraussetzungen. Nur so kann man innovativ sein. Dazu gehört eine gute Infrastruktur, eine exzellente öffentliche Forschungslandschaft, Fachkräfte, weniger Bürokratie und Regulierung und eine Vollendung des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, vor allem die Kapitalmarktunion.
3. Die Antwort muss europäisch sein: Bisher scheint die Bundesregierung eher auf eine nationale Ausgestaltung der Industriepolitik zu setzen. Gerade die Aufweichung des Beihilferechts wäre ein gefährlicher Weg für Europa. Dieses Recht verbietet Subventionen und andere Vergünstigungen, die den Wettbewerb verzerren könnten. Die damit einhergehenden unproduktiven Subventionswettläufe würden nicht nur den Binnenmarkt schwächen und bestehende Ungleichheiten in Europa weiter vergrößern. Es würde auch die Innovation und Attraktivität Deutschlands und Europas als Wirtschaftsstandort verschlechtern, da der Wettbewerb geschwächt wird.
Die EU-Kommission und die Bundesregierung sollten sicherstellen, dass die notwendigen Gelder überall in Europa mobilisiert werden und auch überall gleichermaßen zur Verfügung stehen. Wettbewerbs- und wachstumsfördernd wäre ein europäischer Fond, der nach Merit-basierten Prinzipien Förderung dort ermöglicht, wo das technologische Potenzial am größten ist. Dieser Fonds könnte durch bestehende Gelder aus den Strukturfonds und aus NGEU gefüllt und bei Bedarf mit zusätzlichen Mitteln ergänzt werden.
Europa braucht eine kluge Industriestrategie, die den Schutz von Klima und Umwelt in den Mittelpunkt stellt, strategische Sicherheitsinteressen nicht aus dem Blick lässt, und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit Europas sichert. Probleme nur mit nationalen Subventionen lösen zu wollen, kann dabei mehr Probleme schaffen als lösen. Eine neue Strategie muss Wettbewerb und Innovationsfähigkeit als zentrale Elemente haben, einen europäischen Ansatz verfolgen und gerade auch den internationalen Wettbewerb aufrechterhalten.
Je mehr sich die USA und China diesen Wettbewerbsprinzipien verweigern, umso wichtiger wird die Zusammenarbeit und Offenheit Europas gegenüber Drittländern. In Europa selbst gilt es zu verhindern, dass die Politik alte Industriestrukturen zementiert, anstatt Innovation durch schmerzvolle Veränderung zuzulassen.