Blog Marcel Fratzscher vom 2. Juni 2023
Die Mehrheit der Deutschen spricht sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus, bevorzugt ein Modell mit 1.200 Euro monatlich. Und vor allem aus Angst vor dem Wandel.
Kaum ein Thema spaltet so sehr wie das bedingungslose Grundeinkommen. Unterstützerinnen und Unterstützer sehen darin gleichzeitig die Lösung für viele gesellschaftliche Probleme und große Chancen. Gegnerinnen und Gegner vermuten vielmehr den Versuch mancher, zulasten der Gesellschaft leben zu wollen. Eine neue Studie zeigt, dass sich in Deutschland die Mehrheit der Menschen für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausspricht – nicht aber, um weniger arbeiten zu müssen oder ein höheres Einkommen zu haben. Sehr viele von ihnen machen sich Sorgen, vor allem um Klima und Umwelt. Vom Grundeinkommen erhoffen sie sich mehr Stabilität, um künftige Herausforderungen besser meistern zu können.
Dieser Text erschien am 2. Juni 2023 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Die Gegnerinnen und Gegner eines bedingungslosen Grundeinkommens führen als Gründe für ihren Widerstand an, dass eine solche Leistung Menschen eher dazu verführe, nicht zu arbeiten, ihr Engagement in der Gesellschaft zu reduzieren und weniger zum Gemeinwohl beizutragen. Sie sehen ein solches Instrument als ungerecht an, weil es eine Umverteilung bedeuten könnte, die vor allem den hart arbeitenden Menschen einen noch größeren Anteil ihres Einkommens wegnimmt und weniger fleißigen Menschen gibt. Zudem sehen viele das bedingungslose Grundeinkommen schlichtweg als nicht finanzierbar an und befürchten einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden, der den Wohlstand für alle deutlich absenkt.
Auf der anderen Seite stehen viele vehemente Unterstützerinnen und Unterstützer, die sich nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern für die Gesellschaft als Ganzes große Verbesserungen erhoffen – vor allem mehr sozialen Frieden, mehr Zufriedenheit und Gesundheit, einen stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein nachhaltigeres Verhalten in Bezug auf Klima und Umwelt.
Um diesen Konflikt konstruktiver führen zu können, ist es wichtig, die Motive derer zu verstehen, die sich für oder gegen ein Grundeinkommen aussprechen. Wer sind diese Menschen und was erklärt ihre Unterstützung beziehungsweise ihre Ablehnung?
Eine Gruppe von Forschern von der Universität Konstanz und dem DIW Berlin hat 2022 in zwei repräsentativen Umfragen von 4.500 Menschen in Deutschland zur Einstellung zum bedingungslosen Grundeinkommen bemerkenswerte Erkenntnisse erlangt. Demnach unterstützen 53 Prozent der Menschen in Deutschland die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Dagegen sprechen sich lediglich 36 Prozent aus.
Vor allem Menschen mit großer Sorge um Umwelt und Klima unterstützen besonders stark die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, mehr noch als solche Menschen, die sich Sorge um die eigene wirtschaftliche Zukunft machen. Vor allem jüngere Menschen bis 45 Jahren zählen zu dieser Gruppe.
Wichtig ist zudem, dass auch Menschen mit hohen Einkommen (Haushaltsnettoeinkommen von 5.000 Euro und mehr pro Monat) und Menschen mit hoher Bildung (Hochschulabschluss oder Fachhochschulreife) das Grundeinkommen befürworten. Weniger überraschend ist, dass Menschen, das Grundeinkommen dann weniger befürworten, wenn sie glauben, dass ein solches Instrument zu höheren Steuern führt, und sie insofern schlechter gestellt wären. Dagegen sprechen sich jedoch zwei Drittel derer, die sich nach der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens als weder schlechter- noch bessergestellt sehen, dafür aus.
Eine zweite Befragung zeigt, dass die Menschen ein Modell bevorzugen, bei dem 1.200 Euro pro Monat und Erwachsenen (nicht für Kinder) komplett ohne Bedingung ausgezahlt wird. Befragte, die zwar für ein Grundeinkommen sind, sich jedoch auch Bedingungen für die Auszahlung wünschen, geben an, dass sie bevorzugt ein Grundeinkommen zur Aus- und Weiterbildung oder für ehrenamtliches und soziales Engagement wünschen. Zudem möchte eine recht große Mehrheit der Befragten, dass die Finanzierung über eine Anhebung der Einkommen- und Vermögenssteuer geschieht – und nicht durch eine Anhebung der CO₂-Steuer oder der Mehrwertsteuer. Es besteht also der klare Wunsch nach einer starken Umverteilungskomponente bei der Finanzierung des Grundeinkommens.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Unterstützung für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland nach wie vor sehr stark ist. Und dass viele Menschen, die ein solches Grundeinkommen unterstützen, dies nicht tun, um primär weniger arbeiten zu wollen, sondern aus Sorge um Klima, Umwelt und sozialen Zusammenhalt. Kritiker machen es sich zu leicht, wenn sie das Grundeinkommen mit dem Argument abtun, Menschen wollten dies lediglich, um weniger zu arbeiten und auf Kosten anderer zu leben.
Politik und Gesellschaft sollten diese Sorgen und Ängste ernst nehmen. Die Zukunftssorgen sind nicht nur legitim, sondern gerade in diesen Zeiten der Krise verständlich und gerechtfertigt. Ein besseres Verständnis, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen funktioniert und wie es sich auswirkt – so wie dies durch den Verein Mein Grundeinkommen unter Begleitung wissenschaftlicher Institutionen wie dem DIW Berlin zurzeit geschieht – ist wichtig für die Transformation und die Reformen der Sozialsysteme. Politik und Gesellschaft sollten den Menschen Lösungen anbieten.
Themen: Arbeit und Beschäftigung , Verteilung