Statement vom 9. Oktober 2023
Die Gewinnerin des diesjährigen Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften ist die US-Ökonomin Claudia Goldin von der Harvard University. Dazu äußert sich DIW-Präsident Marcel Fratzscher wie folgt:
Die Wahl von Claudia Goldin als Wirtschaftsnobelpreisträgerin 2023 ist exzellent und auch überraschend. Die Ungleichheit von Chancen gewinnt in den Wirtschaftswissenschaften international zunehmend an Bedeutung. Claudia Goldin hat mit ihrer Forschung viele Leerstellen gefüllt, insbesondere in der Forschung zur Ungleichheit zwischen Männern und Frauen. Sie zeigt auf, wie groß die Bedeutung von Werten, aber auch von Diskriminierung, für die Ungleichheit von Bildungschancen, Jobs, Bezahlung und Karrieren immer noch sind.
Die Wahl von Claudia Goldin als Nobelpreisträgerin sollte vor allem uns in Deutschland ein wichtiges Signal sein, die vielen blinden Flecken in Bezug auf die Gleichstellung von Männern und Frauen zu beseitigen. In kaum einem vergleichbaren Land ist der Gender Pay Gap mit 18 Prozent so groß wie in Deutschland. Aber auch andere Unterschiede (oder „Gaps“) sind in Deutschland ungewöhnlich groß: bei den Arbeitsstunden, den Karrierechancen, der sozialen Absicherung und bei der für Pflege und Familie aufgebrachten Zeit klaffen in Deutschland große Lücken zwischen Männern und Frauen, die nur langsam kleiner werden.
Die Gleichstellung von Mann und Frau und die damit verbundenen Chancen für Frauen sind heute das größte ungehobene wirtschaftliche Potenzial für Deutschland. Fast die Hälfte aller Frauen arbeitet in Teilzeit. Viele würden gerne mehr und besser arbeiten können, wenn ihnen die vielen Hürden genommen würden: eine unzureichende Betreuung in Kitas und Schulen, eine steuerliche Schlechterstellung, geringere Bezahlung, weniger Wertschätzung, eine unzureichende Vereinbarkeit von Familie und Beruf und schlechtere Karrierechancen. Der deutsche Staat kann und muss endlich diese Hürden adressieren, allen voran durch längst überfällige Reformen des Ehegattensplitting und der Mitversicherung, der Minijobs, in der Pflege und durch mehr Transparenz und Vereinbarkeit auf dem Arbeitsmarkt.
Dieser Preis für Claudia Goldin sollte ein Weckruf für Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland für mehr Chancengleichheit sein. Wir als DIW Berlin treiben diese Thematik, unter anderem mit einer eigenen Forschungsgruppe Gender Economics, seit zehn Jahren aktiv voran und wollen diese Bemühungen weiter stärken.
Themen: Gender , Ungleichheit