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Warum Steuerrabatte für ausländische Fachkräfte nicht ungerecht sind

Blog Marcel Fratzscher vom 15. Juli 2024

Sollten Arbeitskräfte aus dem Ausland weniger Steuern zahlen als Deutsche? Die Idee der FDP bekommt viel Kritik. Aber viele Behauptungen davon sind falsch.

Der Plan der Bundesregierung, ausländischen Fachkräften eine zeitlich begrenzte steuerliche Entlastung zu geben, stößt auf viel Empörung und Ablehnung. Es sei ungerecht, nicht notwendig, ineffizient und zu teuer. Stimmt das?

Die Bundesregierung hat über die vergangenen zwei Jahre mehrere Initiativen verfolgt, um mehr qualifizierte Fachkräfte nach Deutschland zu bringen. Sie hat zum Beispiel mit der Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes die Hürden für die Zuwanderung hochqualifizierter Beschäftigter etwas abgebaut. Die Reform der Staatsbürgerschaft soll ausländischen Arbeitskräften eine bessere Perspektive eröffnen, um sich dauerhaft in Deutschland niederzulassen und die Anerkennung von Qualifikationen wurde etwas vereinfacht. Außerdem wurden Anforderungen an Sprachkenntnisse reduziert und viele andere Hürden etwas abgebaut. Und jetzt also Steuererleichterungen. Konkret will die Bundesregierung ausländische Fachkräfte temporär steuerlich entlasten, im ersten Jahr zu 30 Prozent, im zweiten Jahr zu 20 Prozent und im dritten Jahr zu 10 Prozent des Bruttolohns. Viele finden das ungerecht, schon werden Neiddebatten geführt.

Diese Kolumne erschien am 12. Juli 2024 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Fünf Argumente werden gegen diese finanzielle Entlastung ins Feld geführt. Zum einen wird es als große Ungerechtigkeit und als Diskriminierung deutscher Fachkräfte dargestellt. Aus einer engen steuerlichen Perspektive ist dieser Kritikpunkt richtig. Allerdings gibt es eine steuerliche Besserstellung durch zahlreiche Ausnahmen und Ungleichbehandlungen auch für etliche Gruppen von Deutschen. Ein Beispiel dafür ist das Ehegattensplitting, das Partnerschaften (und nicht Familien!) steuerlich stark entlastet, es bedeutet Steuermindereinnahmen von über 20 Milliarden Euro im Jahr.

Auch bei der Erbschaftsteuer, der Mehrwertsteuer, der Besteuerung von Flugbenzin oder Diesel und in etlichen anderen Bereichen werden einige wenige (meist privilegierte) Gruppen steuerlich bessergestellt – und das mit deutlich weniger ökonomischer und sozialer Rechtfertigung, als es jetzt bei der Besteuerung der Einkommen ausländischer Fachkräfte der Fall ist.

Entlastungen für alle sind bereits geplant

Aber auch aus einer breiteren Perspektive spricht vieles gegen den Vorwurf der Ungerechtigkeit und Diskriminierung deutscher Fachkräfte. Man sollte sich aber bewusst sein, welche Nachteile viele ausländische Fachkräfte in Deutschland erfahren: Angefangen bei den hohen Umzugskosten, die viele auf sich nehmen, denn nicht immer bezahlt der Arbeitgeber diese Ausgaben, über die oft ungleich schwierigere und teure Wohnungssuche, bis hin zu weiteren Nachteilen, etwa bei der Suche nach Kitas und Schulplätzen, immerhin sind Menschen aus dem Ausland nicht überall willkommen. Zudem haben ausländische Fachkräfte auch nicht sofort vollen Zugang zu manchen sozialen Leistungen. Unter dem Strich lässt sich somit nicht behaupten, die temporäre steuerliche Entlastung von zugewanderten Beschäftigten würde Deutsche diskriminieren oder sei generell ungerecht.

Zweitens wird gefordert, dass steuerliche Entlastungen für alle Beschäftigten gelten müssten. Die Abgabenlast ist in Deutschland tatsächlich hoch, die Kritik ist daher verständlich und zum Teil berechtigt. Es gibt kaum ein Land in der Welt, das Arbeit stärker und Vermögen geringer besteuert als Deutschland. Vor allem für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen zahlen viel an den Staat und für staatliche Leistungen. Eine große Steuerreform, die diese Einkommen entlastet, sollte aber keine Alternative, sondern eine zusätzliche Maßnahme der Politik sein. Übrigens hat die Bundesregierung für ihren Haushalt 2025 gerade erklärt, dass sie deutsche Beschäftigte um 23 Milliarden Euro jährlich finanziell entlasten wird. Der Haken dabei: Es werden wieder einmal vor allem Menschen mit einem Spitzenverdienst entlastet, Menschen mit mittleren und geringen Einkommen dagegen kaum.

Langfristig könnten mehr Steuereinnahmen erzielt werden

Der dritte Kritikpunkt: Eine steuerliche Entlastung ausländischer Fachkräfte sei nicht notwendig, denn Deutschland sei auch so ausreichend attraktiv. Diese Behauptung widerspricht allen Tatsachen. Deutschland zieht viel zu wenige ausländische Fachkräfte an, weil die sogenannten Pull-Faktoren, also Anziehungspunkte, nicht zu stark, sondern zu schwach sind. Deutschland hat im internationalen Vergleich eine sehr schlechte Willkommenskultur, und auch Sprache und Bürokratie sind riesige Hürden. Zudem ist eine, wie von der Bundesregierung angedachte steuerliche Entlastung für ausländische Fachkräfte nicht ungewöhnlich — bereits 15 europäische Länder haben ähnliche steuerliche Anreize umgesetzt.

Der vierte Widerspruch ist, eine solche steuerliche Entlastung sei ineffektiv. Auch dieser Kritikpunkt ist einerseits nicht falsch, aber andererseits zu eng gedacht. Natürlich wird ein solcher steuerlicher Anreiz nicht Hunderttausende ausländischer Fachkräfte nach Deutschland bringen. Aber es kann ein Instrument unter vielen sein, um Deutschland attraktiver zu machen.

Der fünfte Kritikpunkt ist, diese steuerliche Entlastung koste den deutschen Staat zu viel Geld. Kurzfristig führt sie sicherlich zu Steuermindereinnahmen. Langfristig wird aber auch der deutsche Staat und damit die deutschen Steuerzahlenden zu den Gewinnerinnen und Gewinnern einer solchen temporären Entlastung gehören. Denn mehr Beschäftigte bedeuten, dass mehr Menschen Einkommen- und andere Steuern zahlen, dass Unternehmen leistungsfähiger werden und somit mehr Steuern und auch höhere Löhne für deutsche Beschäftigte zahlen können.

Warum die Idee wohl dennoch scheitern wird

Es gibt also gute Gründe für und kein schlagendes, rationales Argument gegen eine steuerliche Entlastung ausländischer Fachkräfte. Ich befürchte jedoch, dass diese Initiative scheitern und die Bundesregierung ihren Vorschlag zurückziehen wird. 

Der Grund dafür liegt in der Mentalität und Selbstwahrnehmung: Viele Deutsche scheinen überzeugt zu sein, dass selbst hochqualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland uns mehr brauchen als wir sie. Zu viele haben noch nicht die existenzielle Bedrohung der großen demografischen Schrumpfung für unseren Wohlstand verstanden. Für andere geht es um Identität. Sie verzichten lieber auf Wohlstand, um nicht noch mehr Vielfalt und Zuwanderung akzeptieren zu müssen. Die Befürchtung ist daher, dass eine solche Maßnahme Opfer des Populismus werden wird, da einige Politikerinnen und Politiker auch demokratischer Parteien dies schon jetzt nutzen, um Stimmung gegen Zuwanderung zu machen. Als Gesellschaft müssen wir uns dann nicht wundern, wieso unsere Wettbewerbsfähigkeit und unser Wohlstand schwinden.

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