Blog Marcel Fratzscher vom 5. September 2024
Krise bei Volkswagen: Der Konzern erwägt erstmals, Werke in Deutschland zu schließen. Eine überfällige Maßnahme, findet der renommierte Ökonom Marcel Fratzscher. In diesem Gastbeitrag erklärt er, welche vier Fehler in Volkswagens Schieflage geführt haben und warum sich die Politik aus den Problemen in Wolfsburg heraushalten muss.
Die Ankündigung von Volkswagen, Werke in Deutschland zu schließen und Stellen abzubauen, hat Schockwellen ausgelöst. Kaum ein Unternehmen steht so sehr für Qualität und Innovation ”Made in Germany”. Die angekündigten Maßnahmen sind überfällig, um eine Trendwende einzuleiten und eine Krise zu verhindern. Der deutsche Staat muss sich bei dieser Erneuerung heraushalten und darf nicht den Fehler begehen, alte Strukturen zu zementieren und die notwendige Transformation zu behindern.
Überraschen dürfte die Ankündigung von Volkswagen eigentlich niemanden, denn die deutsche Automobilbranche befindet sich bereits seit 2018 in der
Rezession, mit sinkenden Verkaufszahlen. Eine Rezession ist jedoch noch lange keine Krise und viele Indikatoren deuten darauf hin, dass die deutschen Automobilhersteller generell und Volkswagen insbesondere noch immer erfolgreich und hoch profitabel sind.
Dieser Gastbeitrag erschien am 4. September 2024 bei Focus Online.
So macht Volkswagen nach wie vor satte Gewinne, auch wenn die Rendite gesunken ist, zum einen wegen hoher Kosten und zum anderen wegen Rabatten und fallender Preise in einem härter werdenden globalen Wettbewerb. Zudem hat Volkswagen im Vergleich zu vor 20 Jahren deutlich mehr Beschäftigte und deutlich höhere Verkaufszahlen. Gerade aus dieser langfristigen Perspektive zeigt sich, dass es sich um eine Korrektur und Konsolidierung in den letzten fünf Jahren handelt, nach 20 enorm erfolgreichen Jahren.
Aber es kündigt sich eine solche Krise für die Zukunft bei Volkswagen an. Der Aktienkurs reflektiert die für die Zukunft erwarteten Umsätze und Erträge, und der VW-Aktienkurs ist eingebrochen und liegt auf einem ähnlichen Niveau wie vor zehn oder 15 Jahren.
Die fehlende Zukunftsfähigkeit Volkswagens ist primär das Resultat eigener Fehlentscheidungen und nicht die Verantwortung der Politik. Volkswagen hat vier grundlegende Fehler begangen, angefangen mit den Manipulationen bei Dieselautos, die weltweit viel Vertrauen zerstört haben. Als zweites hat der wirtschaftliche Erfolg den Konzern träge gemacht und die Transformation hin zu E-Mobilität und autonomen Fahren verschlafen. Die Entscheidung gegen den Verbrennungsmotor und für die Batterietechnik ist seit langem gefallen und wurde und wird nicht in Deutschland getroffen, sondern weltweit und insbesondere in den großen Märkten, wie China und den USA.
Eine dritte Schwäche sind die enormen Kosten und die fehlende Schnelligkeit und Flexibilität des Konzerns, auf neue Entwicklungen zu reagieren. Dies bedeutet hohe Kosten und einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. Der vierte Fehler ist die hohe Abhängigkeit von China, wo Volkswagen bis zu 40 Prozent der Erträge erzielt. Dies rächt sich nun, da in China die Transformation hin zur E-Mobilität viel schneller vonstattengeht und mit viel härteren Bandagen gespielt wird. Volkswagen und damit Deutschland haben sich dadurch erpressbar gemacht, wie die Diskussion um Ausgleichszölle auf stark subventionierte E-Autos aus China zeigt.
Diese Fehler gilt es nun für Volkswagen schnell zu korrigieren. Dies erfordert einen schwierigen Spagat: Eine starke Kostensenkung und höhere Effizienz bei gleichzeitig deutlich höheren Investitionen in neue Technologien. Die Werksschließungen und die Aufkündigung der Arbeitsplatzgarantien sind notwendig, um Volkswagen zukunftsfähig zu machen.
Der Widerstand der Gewerkschaften ist verständlich, aber es ist besser, 80 Prozent der Arbeitsplätze in der Automobilbranche langfristig zu schützen und produktiver zu machen, anstelle 100 Prozent aller Arbeitsplätze in der Branche zu gefährden. Insolvenzen einzelner Unternehmen und der Abbau von Arbeitsplätzen ist für die Betroffenen hart, für die Volkswirtschaft als Ganzes jedoch dringend notwendig.
Ein starker Anstieg der Arbeitslosigkeit sollte die geringste unserer Sorgen sein, denn in Deutschland fehlen bereits heute 1,7 Millionen Arbeitskräfte – Tendenz stark steigend. Die Beschäftigten, die bei Volkswagen ihren Arbeitsplatz verlieren, werden anderswo neue Arbeit finden und neue Chancen für den Wirtschaftsstandort schaffen.
Ziel der Wirtschaftspolitik darf es nicht sein, alte Strukturen zu zementieren und Unternehmen staatlich zu retten. Marktwirtschaft bedeutet, dass Unternehmen miteinander im Wettbewerb stehen und nicht alle sich behaupten können. Der Staat muss gute und deutlich bessere Rahmenbedingungen schaffen, als es sie heute gibt, beispielsweise durch mehr Investitionen in eine leistungsfähige Infrastruktur, Bildung und Klimaschutz, in einen Abbau der Bürokratie und eine bessere Regulierung und in die Mobilisierung von Fachkräften.
Aber der deutsche Staat muss aufhören, mit riesigen impliziten und expliziten Subventionen Unternehmen zu alimentieren und vor dem Wettbewerb zu isolieren. Mit den Rettungsaktionen bei der Meyer Werft und anderswo zeigt sich, dass Politiker sich allzu häufig als Feuerwehr verstehen, weil dies vermeintlich politisch populär ist. Wirtschaftlich ist es jedoch meist kontraproduktiv und schädlich. Die Rufe nach einem staatlichen Eingreifen und Subventionen bei Volkswagen werden unweigerlich folgen. Denn Volkswagen hat eine so enorme Bedeutung für das Selbstverständnis und die Identität der Deutschland AG. Der deutsche Staat wird wohl gerade deswegen der Versuchung nicht widerstehen können, sich in die Entscheidungen bei Volkswagen einzumischen – zumal Niedersachsen mit fast 20 Prozent einer der größten Eigentümer von Volkswagen ist – eine andere Ursünde in einer Sozialen Marktwirtschaft. Durch diese enge Verknüpfung mit den großen Konzernen macht sich der deutsche Staat erpressbar und zum verlängerten Arm der Konzernchefs in der globalen Wirtschaftspolitik. Es ist höchste Zeit, dies zu stoppen. Das Management bei Volkswagen muss endlich die richtigen Entscheidungen für den Konzern auf Grundlage marktwirtschaftlicher Kriterien treffen.
Themen: Arbeit und Beschäftigung , Industrie , Unternehmen