Direkt zum Inhalt

Haushaltsdefizite zulassen – Aktionismus widerstehen

Pressemitteilung vom 7. Januar 2009

In den vergangenen Monaten wurden in Deutschland die Konjunkturprognosen in einem vorher nicht gekannten Tempo immer mehr nach unten revidiert. Das zeigt, dass sich alle Voraussagen auf einem extrem unsicheren Fundament bewegen. Deshalb können derzeit lediglich Szenarien erstellt werden, die mögliche Entwicklungen skizzieren. Nach einem heute veröffentlichten Szenario erwartet das DIW Berlin für 2009 einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um gut ein Prozent. Das ist der stärkste jahresbezogene Rückgang in der Geschichte der Bundesrepublik. Doch anders als in früheren Rezessionen wird sich der Arbeitsmarkt vergleichsweise stabil entwickeln: So wird die Zahl der Arbeitslosen bis 2010 gegenüber 2008 jahresdurchschnittlich zwar um rund 450.000 steigen. Diese Zahl bleibt allerdings deutlich unter den 1,5 Millionen zusätzlichen Jobs, die in den Jahren 2006 bis 2008 entstanden sind. Insgesamt könnte es Ende des Jahres 2009 konjunkturell bereits wieder bergauf gehen – wenn auch nur leicht. 2010 würde das Wachstum dann bei etwas mehr als einem Prozent liegen.
Anstöße für den erwarteten Aufwärtstrend kommen dabei vom privaten Konsum, der von der verringerten Teuerung profitiert. Stabilisierend wirkt zudem der Staatsverbrauch. Die Exporte werden im Zuge der weltwirtschaftlichen Erholung Ende 2009 wieder zulegen. Die Unternehmensinvestitionen sind hingegen weiter schwach. Und auch insgesamt bleibt die deutsche Wirtschaft bis Ende 2010 unter ihren Produktionsmöglichkeiten. Das von der Koalition geplante Konjunkturpaket II bewertete DIW-Präsident Klaus F. Zimmermann skeptisch. „Mit kurzatmigem Aktionismus laufen wir Gefahr, Milliarden zu verbrennen, die uns für dauerhafte Investitionen in Bildung, Forschung und ökologische Infrastruktur fehlen“, sagte Zimmermann bei der Vorstellung der DIW-Wintergrundlinien in Berlin. „Mit dem derzeitigen Konjunkturrettungswettlauf droht der teuerste Bundestagswahlkampf aller Zeiten.“ Er rief die Koalitionspartner zu mehr Ehrlichkeit bei ihren Vorstößen zum Umbau des Steuersystems auf. „Ein struktureller Umbau des Steuersystems kann sinnvoll sein – das ist aber nicht automatisch eine wirkungsvolle Konjunkturpolitik.“ Ein Problem sieht der DIW-Chef in der Finanzierung des geplanten Konjunkturpakets. „Wer jetzt die Steuern dauerhaft senken will, muss auch sagen, wie er dies dauerhaft finanzieren will“, so Zimmermann. „Denn noch nicht einmal im letzten Aufschwung hat der Bund es geschafft, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.“ Nach dem Szenario des DIW Berlin wird das staatliche Defizit in Deutschland 2010 wieder rund 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen – und dabei sind die Belastungen aus dem anstehenden Konjunkturpaket II noch nicht berücksichtigt. Politikempfehlungen des DIW Berlin Seine Politikempfehlungen orientiert das DIW Berlin an folgenden Positionen: In der Krise muss der Staat Defizite hinnehmen, die durch das Anspringen der so genannten automatischen Stabilisatoren entstehen. Zusätzlich kann der Staat durch einen azyklischen Ausgabenpfad in Form längerfristig angelegter Investitionsprogramme Stabilisierungspolitik betreiben und sie durch beschäftigungsstabilisierende Arbeitsmarktpolitik unterstützen. In der jetzigen Krise sind kurzfristige staatliche Ausgabenprogramme mit zweifelhafter Wirksamkeit allerdings nicht angezeigt. Dies führt zu zwei konkreten Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung: Zum einen solle sie gezielt die automatischen Konjunkturstabilisatoren stärken. Darüber hinaus ist ein mehrjährig angelegter, verlässlicher Investitionsplan der öffentlichen Hand erforderlich, der den Unternehmen die Möglichkeit gibt, auf der Grundlage einer vorhersehbaren Auftragslage Kapazitäten aufzubauen. Gezielt automatische Stabilisatoren stärken Automatische Stabilisatoren setzen vor allem beim Arbeitsmarkt an. Verlieren Arbeitnehmer krisenbedingt ihren Job, erhalten sie Arbeitslosengeld – dieses Geld fließt also wieder in den Konsum und stützt die Nachfrage. Das frühere Einkommen von Arbeitlosen und Kurzarbeitern fällt also auch in der Krise als Nachfragefaktor nicht komplett aus und stabilisiert somit die Konjunktur. Diesen Effekt will das DIW Berlin jetzt durch zwei Einzelmaßnahmen gezielt ausbauen: Kurzarbeitergeld: Das DIW Berlin will es für Unternehmen attraktiver machen, ihre Beschäftigten in Kurzarbeit zu schicken statt sie zu entlassen. Dazu solle der Bund die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber zum Kurzarbeitergeld übernehmen – befristet für ein Jahr. Die Arbeitskosten für Kurzarbeiter würden in diesem Fall gesenkt, so dass Arbeitgeber größere Anreize hätten, mindestens ihre Kernbelegschaften bis zur Erstarkung der Konjunktur zu halten. Weiterbildungsmaßnahmen: Als Einstieg in eine größer angelegte Qualifizierungsoffensive sollte ein Programm aufgelegt werden, mit dem Kurzarbeiter oder Arbeitslose die Zeit der Unterbeschäftigung zu Weiterbildungsmaßnahmen nutzen können. „Bildlich gesprochen: Wenn es im Winter auf dem Acker nichts zu tun gibt, schärften früher die Bauern ihre Sensen – einen solchen vorausschauenden Umgang mit der wichtigste Ressource, nämlich dem Faktor Mensch, müssen wir in Deutschland erst wieder lernen,“ sagte Klaus F. Zimmermann. „Wie der letzte Aufschwung gezeigt hat, sind hierzulande Fachkräfte alles andere als reichlich vorhanden.“ „Das zentrale Ziel muss sein, Entlassungen zu verhindern und das Jahr 2009 mit einem möglichst geringen Abbau von Beschäftigung zu überstehen“, so DIW-Präsident Zimmermann. „Qualifizierte Arbeitskräfte sind in Deutschland alles andere als reichlich vorhanden – die Konjunkturkrise ist der richtige Zeitpunkt, um hier zu handeln.“ Mittelfristige Investitionsplanung In der Debatte über das Konjunkturpaket stehen Forderungen nach öffentlichen Investitionen derzeit besonders hoch im Kurs. Hierbei ergeben sich allerdings große Probleme bei der konkreten Umsetzung: - Die meisten Bauinvestitionen erfordern einen langen Vorlauf – aber nur sehr wenige Projekte liegen baureif in der Schublade. - Die Baukapazitäten sind derzeit vergleichsweise gut ausgelastet – die Bauwirtschaft wäre also gar nicht in der Lage, kurzfristig zusätzlich größere Aufträge abzuarbeiten. - Würde man dennoch kurzfristig Milliarden in die Bauwirtschaft pumpen, würde dies lediglich zu Mitnahmeeffekten führen. Sprich: Die Baupreise würden ansteigen, zusätzliche Arbeitsplätze entstünden kaum. Vor diesem Hintergrund setzt das DIW Berlin vor allem auf Planbarkeit und eine mittel- bis langfristig ausgerichtete Stärkung der Wachstumskräfte durch eine bessere Infrastruktur. „Nicht den Keim für die nächste Krise legen“ Ein erhebliches Gefahrenpotential sieht das DIW Berlin in der expansiven Geldpolitik der USA. Zwar gebe es hierzu derzeit kaum eine Alternative. „Allerdings besteht die Gefahr, dass eine politisch forcierte lockere Kreditvergabe wie nach dem Platzen der Internetblase den Keim für die nächste Krise legt“, sagte DIW-Präsident Zimmermann.

Links

keyboard_arrow_up