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Gefährliche Zahlen. In extremen Zeiten sind Konjunkturprognosen keine Hilfe

Bericht vom 17. Dezember 2008

Sie können nicht mehr sein als reine Spekulation - und werden so zum Beschleuniger der Krise.

Eine Außenansicht von Prof. Dr. Klaus F. Zimmermann in der Süddeutschen Zeitung.

In den vergangenen Jahren gab es eine einzigartige Wirtschaftsentwicklung, die nicht nur Amerika und Europa, sondern auch Russland, China und Indien eine steigende Beteiligung am Wohlstand verschaffte. Da sich die Wirtschaftsentwicklung immer in konjunkturellen Wellen vollzieht, musste allerdings mit einer Abschwächung gerechnet werden.

Tatsächlich kühlte sich die Wirtschaftsentwicklung schon 2007 ab. Die weitere Fortsetzung des Abwärtstrends wurde bereits Ende vergangenen Jahres prognostiziert. Inzwischen bedroht er in vielen Ländern in einer einzigartigen Weise, wie das bisher nicht beobachtbar war, Beschäftigung und Wohlstand.

Die Einzigartigkeit besteht zunächst in der synchronen Weise, in der sich das Problem gleichartig über die Welt verteilt. Dies ist auch eine Folge der Globalisierung, der intensiven Vernetzung der Ökonomien und der Medien. Dazu trägt bei, dass sich Stimmungen und Erwartungen von Konsumenten und Investoren heute wegen der unmittelbaren internationalen Kommunikation direkt aneinander anpassen.

Drei Krisen, ein Abwärtssog

Dazu gehört aber auch, dass durch die Medien Dramatik inszeniert wird, indem Negativmeldungen überzeichnet und Positivmeldungen schlicht ignoriert werden. So können sich Stimmungswellen rasch verbreiten und Handlungsschocks auslösen. Da der Kern allen Wirtschaftens wechselseitiges Vertrauen ist, reagiert das Marktsystem extrem sensibel auf Vertrauenskrisen.

Die Einzigartigkeit besteht darüber hinaus im Zusammentreffen von insgesamt drei Krisen, deren innovatives Zusammenspiel einen massiven Abwärtssog verursachen kann - und für dessen Prognose die vorhandenen Instrumentarien ungeeignet erscheinen. Zur Konsumabschwächung, die eine Nachfragekrise ist, kommen zwei Strukturkrisen in international verflochtenen Sektoren hinzu, und zwar die Finanzkrise und die Automobilkrise. Das Zusammenspiel dieser Krisen führt nun zu einen ständigen Fluss neuer, dramatischer Negativ-Informationen, deren Konsequenzen nicht ausreichend eingeschätzt werden können.

Der Ausgangspunkt der Entwicklung war Amerika, das bereits seit Jahresbeginn mit massiven Rezessionsängsten zu kämpfen hatte. Dazu kam eine sich dort seit Jahren hinziehende, aber nun durch die Nachfrageschwäche eskalierende Krise in der Automobilindustrie. Dort agierten die Unternehmen mit falschen Kostenstrukturen und verfehlter Produktpolitik am Markt vorbei. Ein massives Konjunkturprogramm im Sommer 2008 war bereits nach zwei Quartalen verpufft. Seine überwiegend über Steuerschecks ausgegebenen Mittel flossen nur zu einem kleineren Teil in den Konsum. Sie haben den weiteren Konjunkturabschwung und die danach vom Schritt ins Galoppieren geratene Finanzkrise nicht verhindern können.

Die Probleme im amerikanischen Häusermarkt waren seit Jahren bekannt. Die Fehler bei den Finanzprodukten sind seit 2007 offensichtlich, und mit dem Desaster bei der deutschen Industrie und Kreditbank (IKB) längst auch allen deutschen Steuerzahlern bekannt. Allerdings hätte sich ohne die Nachfragekrise die Auflösung der traditionellen Wall Street kaum so rasch und endgültig vollzogen.

Die Finanzkrise hatte ihren Auslöser in einem dreifachen amerikanischen Staatsversagen: eine jahrelange Niedrigzinspolitik der Notenbank, die sogar negative Realzinsen zuließ und so die Häuserspekulationsblase erst ermöglichte, die Verweigerung einer frühzeitigen Regulierung der Finanzmärkte und der Verzicht auf die Rettung der Lehman Brothers, einer systemisch wichtigen Bank. Der deutsche Staat hat in dieser Krise weder durch seine tief verstrickten Staatsbanken noch durch eine besonders effektive Bankenaufsicht überzeugt. Die langfristige Rettung vom Staat zu erhoffen, hieße jedenfalls auf Sand zu bauen.

Unsichere Prognosen

Welche möglichen Rückwirkungen ergeben sich nun aus der Finanzmarktkrise für Konjunktur, Wirtschaft und Arbeitsmarkt? Zur Analyse und Prognose würde man sich geeignete Makromodelle wünschen, die zur Beantwortung dieser Frage geeignet sind. Die Wahrheit ist aber, dass Finanzmärkte in allen Konjunkturmodellen nur unzureichend abgebildet sind. Das reicht, um schon in normalen Zeiten bei Störungen im Finanzsektor ratlos zu sein. Dies gilt aber um so mehr, wenn ein ganzer Sektor funktionsunfähig wird. Die Konsequenzen großer Änderungen im System sind allemal unprognostizierbar. Alle konjunkturellen Prognosen bewegen sich deshalb derzeit auf einem eher spekulativem Niveau. Das gilt auch für Indikatorsysteme, mit denen bestenfalls Problembereiche erkannt, nicht aber die quantitative Fortschreibung vollzogen werden kann.

Wirtschaftsprognosen sind immer unsicher. Sie werden gemacht, um Orientierung zu bieten und die vorhandenen Informationen zu kondensieren. Die oft kritisierte Vielfalt der Prognosen ist nützlich, denn sie misst den jeweils vorhandenen Grad an Unsicherheit unter den Prognostikern. Wichtig ist nicht, ob eine Prognose eintritt, sondern ob sie zu positiven Verhaltensänderungen führt. Die methodische Basis für Prognosen ist aber in dieser Krise gering. Aus der wachsenden Unsicherheit kann nichts mehr gelernt werden.


Gezielte Maßnahmen

Dagegen bietet der zu beobachtende Abwärtswettlauf der Prognosen die große Gefahr, die Schwere und Länge der Wirtschaftskrise zu verschärfen. In dieser Situation muss man sich fragen dürfen, ob es nicht besser wäre, auf die Veröffentlichung von neuen Prognosen für eine Weile zu verzichten.

Die Bundesregierung verdient Unterstützung für ihre Haltung, zunächst mehr Evidenz über die Wirkungen der bereits eingeleiteten Schritte und der automatischen Stabilisatoren zu erhalten. Dies schließt nicht aus, dass schon jetzt an einem Eventualhaushalt mit langfristigen Maßnahmen für Infrastruktur, Forschung, Bildung und Familie gearbeitet wird. Dies gibt die Option für schnelles Handeln, falls sich die Krise weiter verstärkt. Dagegen sind Konsumscheine und Senkungen der Mehrwertsteuer kontraproduktiv.

Die Strukturkrisen müssen aber durch gezielte strukturelle Maßnahmen und Reformen bekämpft werden. Dies gilt für die Autoindustrie, die Banke und den Arbeitsmarkt. Mit einem keynesianischen Programm alleine kann die Bekämpfung der Krise nicht gelingen. Es muss auch festgeschrieben werden, wie die zu erwartenden großen Haushaltsdefizite nach der Bewältigung der Krise wieder hereingespart werden können.

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