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Im Laboratorium des Wirtschaftsnobelpreisträgers Reinhard Selten

Bericht vom 23. Januar 2008

Im Laboratorium des Wirtschaftsnobelpreisträgers Reinhard Selten.
Berlin Lunchtime Meeting am 23. Januar 2008

Reinhard Selten, einziger deutscher Wirtschaftsnobelpreisträger, öffnete beim Berlin Lunchtime Meeting mit dem Titel „Experiment Ökonomie“ im Konferenzsaal des DIW Berlin die Türen zu seinem Laboratorium. „Diese Veranstaltung wird sicherlich zu den Sternstunden des DIW Berlin gehören,“ sagte Prof. Dr. Klaus F. Zimmermann, als er die mehr als 100 Gäste des Berlin Lunchtime Meetings aus Wissenschaft, Verbänden und Medien am 23. Januar 2008 offiziell begrüßte.

 

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Prof. Dr. Klaus F. Zimmermann begrüßt die Gäste des Berlin Lunchtime Meeting am 23. Januar 2008
Foto: DIW Berlin

 

homo oeconomicus

Als homo oeconomicus entscheidet der Mensch rational und unter Ausnutzung aller zur Verfügung stehenden Informationen – ausschlaggebendes Kriterium bei jeder Entscheidung ist die individuelle Nutzenmaximierung.“  Mit diesen Worten lässt sich die zentrale Grundannahme der bis heute dominierenden wirtschaftswissenschaftlichen Theorien zusammenfassen. Bilden diese Prämissen auch die Grundpfeiler ökonomischer Theorie, sind diese Pfeiler zuletzt dennoch heftig ins Wanken geraten. Wie verhalten sich Menschen tatsächlich? Wie wirkt sich die „eingeschränkte Rationalität“ menschlichen Verhaltens in hochkomplexen Entscheidungssituationen aus? Und wie weit trägt das ökonomische Modell der „individuellen Nutzenmaximierung“ überhaupt?

 

Praktische Einführung in die experimentelle Wirtschaftsforschung

Entscheidende Antworten auf diese Fragen hat unter anderem die experimentelle Wirtschaftsforschung gegeben. Reinhard Selten ist einer ihrer wichtigsten Vertreter. 1994 erhielt er zusammen mit John Forbes Nash und John Harsanyi den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für seine Leistungen auf dem Gebiet der Spieltheorie. „In vitro“ gab der 77jährige Nobelpreisträger im ersten Teil der Veranstaltung eine praktische Einführung in die experimentelle Wirtschaftsforschung: 30 freiwillige Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten die Möglichkeit, an Kartellverhandlungen teilzunehmen.

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Reinhard Selten beim Berlin Lunchtime Meeting am 23. Januar 2008
Foto: DIW Berlin

Vortrag: „Mein wissenschaftlicher Weg"

Im zweiten Teil der Veranstaltung folgten die Gäste Reinhard Seltens Vortrag „Mein wissenschaftlicher Weg: Auf der Suche nach einem besseren Verständnis ökonomischen Verhaltens“. Dieser Weg des leidenschaftlichen Wanderers Selten war dabei keineswegs so geradlinig, wie es die Propheten einer auf Exzellenz und Effizienz getrimmten Wissenschaft gerne verkünden. Schon in seiner Schulzeit hatte sich Reinhard Selten die Mathematik autodidaktisch angeeignet. Er war jedoch auch an vielen anderen Dingen interessiert und las unter anderem Literatur über Ökonomie und Psychologie. Nach seinem Studium der Mathematik arbeitete er bei Professor Sauermann an der Universität Frankfurt am Forschungsprojekt „Anwendungen der Entscheidungstheorie auf die Theorie der Unternehmung“ mit. Hier wurde ihm klar, dass man nicht einfach von der Rationalität des ökonomischen Verhaltens ausgehen kann. Er hatte die Arbeiten von Herbert Simon zum Konzept der eingeschränkten Rationalität gelesen, die ihn sofort überzeugt hatten. Mit Heinz Sauermann führte er die ersten ökonomischen Experimente durch, und bildete weltweit eine der ersten Arbeitsgruppen im Bereich experimentelle Wirtschaftsforschung.

Die „Anspruchsanpassungstheorie“ 

In einem ihrer ersten Experimente untersuchten Heinz Sauermann und Reinhard Selten das Investitionsverhalten im Oligopol. Für ein solches Modell lag damals keine Theorie vor. Heinz Sauermann und Reinhard Selten entwickelten die „Anspruchsanpassungstheorie“ als Theorie eingeschränkt rationalen Verhaltens. Sie basiert nicht auf dem Prinzip der Gewinnmaximierung, sondern geht davon aus, dass das Individuum bestrebt ist, ein realistisches Anspruchsniveau zu haben. Ansprüche bilden sich aufgrund von Erfahrungen, die man in der Vergangenheit mit ähnlichen Problemen gemacht hat. Das Anspruchsniveau liegt nicht starr fest, sondern wird  nach oben angepasst, wenn gute Lösungen leicht zu finden sind. Oder es wird gesenkt, wenn seine Erfüllung auf Schwierigkeiten stößt.

Seitenhieb auf das Nützlichkeitsdenken

Reinhard Selten hat sich aber auch immer wieder mit der rationalen Spieltheorie beschäftigt. Er behält sie auch weiterhin im Auge und hat Pläne, spieltheoretische Probleme zu bearbeiten. Das Problem ist jedoch die Zeit. Die muss ein Wissenschaftler mitbringen. Da ihm nicht mehr so viel Zeit bleibe, so der 77jährige Nobelpreisträger, müsse er sich auf ein Hauptprojekt konzentrieren und das sei die experimentelle Wirtschaftsforschung. Wiederum mit einem Seitenhieb auf das Nützlichkeitsdenken der Wissenschaftspolitik gab er den Teilnehmern des Berlin Lunchtime Meetings auf den Weg:„Für einen Wissenschaftler kommt es darauf an, von Problemen ergriffen zu sein - insbesondere den quälenden, die er nicht versteht.“ 

 

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