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Wo ist das Geld hin?

Kommentar vom 22. April 2013

Die Deutschen sparen viel, aber bilden kaum Vermögen VON STEFAN BACH

Gastbeitrag in Die Zeit Nr. 17 vom 18.04.2013

Zwei Freunde sitzen im Wirtshaus: ≫Der eine isst zwei Schweinshaxen, der andere trinkt drei Mas Bier und drei Schnäpse. Im Durchschnitt geht es den beiden ganz gut, aber in Wahrheit hat sich der eine überfressen, und der andere ist besoffen.≪ – So pflegte einst Franz Josef Straus im Bierzelt die Interpretationsprobleme von Durchschnittswerten bei schiefen Verteilungen zu erklären.

Einkommens- und Vermögensverteilungen sind schöne Beispiele dafür. Sie sind ≫rechtsschief≪. Es gibt viele kleine und mittlere Werte und nur wenige mit hohen, die aber den Durchschnitt nach oben ziehen. Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt bei der Vermögensverteilung, wie die aufsehenerregenden Ergebnisse einer Studie der Zentralbanken der Euro-Zone zeigen.

Bemerkenswert an dieser Studie ist, dass in Deutschland die Durchschnittsvermögen der privaten Haushalte im Vergleich der Euro-Länder ziemlich niedrig liegen und die Verteilung der Vermögen hierzulande am stärksten gespreizt ist. Nach der Studie beträgt das durchschnittliche Nettovermögen der deutschen Privathaushalte 195 000 Euro und das Medianvermögen – also das mittlere Vermögen, das die nach Vermögenshöhe sortierten Haushalte genau in zwei Hälften teilt – nur 51 000 Euro.

Letzteres ist der niedrigste Wert in allen beteiligten Euro-Ländern. Selbst in der Slowakei, Portugal oder Slowenien hat der mittlere Haushalt mehr auf der hohen Kante als in Deutschland. Beim Durchschnittsvermögen liegt Luxemburg mit 710 000 Euro je Haushalt erwartungsgemäß an der Spitze. Knapp dahinter kommt Zypern überraschend auf dem zweiten Platz. Auch in Spanien und Italien sind die Durchschnitts- und Medianvermögen deutlich höher als in Deutschland. Sogar in Griechenland und Slowenien liegen die Medianvermögen doppelt so hoch wie hierzulande.

Angesichts der Euro-Krise und der Rettungspakte für die Südländer, die von den ≫reichen≪ Nordländern garantiert werden, sind diese Ergebnisse außerordentlich brisant. Ist der deutsche Otto Normalverbraucher also nur halb so reich wie sein Kollege in Griechenland und Slowenien? Ist der mittlere Haushalt in Spanien oder Italien dreimal so reich wie in Deutschland und der in Zypern sogar fünfmal?

Die Bundesbank erklärt die niedrigen Vermögen der Normalbürger in Deutschland vor allem mit der breiten Absicherung durch die sozialen Sicherungssysteme sowie mit umfangreichen staatlichen Leistungen der Wohnungs- und Bildungspolitik. Ferner macht sich die niedrige Wohneigentumsquote in Deutschland bemerkbar, und stark steigende Immobilienpreise hat es in Deutschland nicht gegeben. Außerdem sind die Haushalte in Deutschland kleiner, was die Durchschnittsvermögen druckt. Schließlich spielt auch die Wiedervereinigung eine Rolle, denn im Westen sind die Vermögen deutlich höher als im Osten.

All das sind wichtige Punkte, aber sie können die Unterschiede noch nicht erklären. Das gilt vor allem für die institutionellen Besonderheiten der an der Untersuchung teilnehmenden Länder. Die Ansprüche der Bürger an die sozialen Sicherungssysteme werden in der Studie gar nicht erhoben. Dabei geht es um sehr viel Geld. Schon eine monatliche Grundsicherungsleistung für einen Alleinstehenden von 800 Euro – einschließlich Wohnungskosten – entspricht auch bei vier Prozent Zinsen über 20 Jahre immerhin einem Kapitalwert von 133 000 Euro. Insofern sind selbst Hartz-IV Empfänger nicht mittellos.

Auch in der deutschen Rentenversicherung schlummern Billionen, wenn man die Versorgungsansprüche entsprechend kapitalisiert. Die hohe und bisher lebensstandardsichernde Alterssicherung entlastet von privater oder betrieblicher Altersvorsorge. Zugleich bleibt beim Normalverdiener in Deutschland nicht viel Spielraum für weiteres Vorsorgesparen, weil die Sicherungssysteme über hohe Sozialbeiträge und Steuern finanziert werden müssen.

Allerdings wird in den umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen gesamtwirtschaftlich kein Vermögen gebildet. Daher stellt sich die Frage, wo die vermeintlich hohen Ersparnisse der Deutschen geblieben sind. Seit Jahren werden hohe Sparquoten und Konsumzurückhaltung der Deutschen diskutiert. Auch der deutsche Staat hat seine Defizite zuletzt stark reduziert. Die riesigen Leistungsbilanzüberschüsse des vergangenen Jahrzehnts bedeuten spiegelbildlich einen entsprechenden Vermögensaufbau im Ausland.

Sparen in Deutschland vor allem die sehr Wohlhabenden, die in der Vermögensstudie nicht hinreichend erfasst sind? Oder ist das Geld im Ausland schlecht angelegt worden? Spielen neben der Wiedervereinigung die historischen Vermögensverluste aus den beiden Weltkriegen noch eine Rolle? Oder verzerren doch Messfehler die Statistik, vor allem bei Immobilienwerten und Unternehmensbeteiligungen? Das sind interessante Forschungsfragen, die bei der weiteren Auseinandersetzung mit der Vermögensstudie aufgeklärt werden sollten. Ferner sollten auch die Schulden und Vermögen des Staates bei den internationalen Vergleichen berücksichtigt werden, denn auch die fallen letztlich auf die Bürger zurück.

Für die wirtschaftspolitischen Debatten geben die Ergebnisse der Vermögenstudie viele Impulse. Die Fürsorge des Wohlfahrtsstaates entlastet die Bürger von privater Vorsorge, geht aber notgedrungen mit hohen Steuer- und Abgabenlasten einher. In den letzten Jahrzehnten wurde das zunehmend kritisch gesehen. Alt- und Neuliberale beklagen die Entmündigung des Bürgers und die Umverteilung von der rechten in die linke Tasche. Nach platzenden Immobilienblasen, kollabierenden Finanzmärkten und andauernden Niedrigzinsen rücken dagegen die Risiken von privaten Immobilien-, Versicherungs- und Kapitalmärkten ins Blickfeld.

Interessant sind die Daten der Vermögensstudie angesichts der aktuellen Diskussionen über höhere ≫Reichensteuern≪ im Kampf gegen die Krise. Angesichts der erheblichen Vermögenskonzentration in den meisten Ländern gibt es durchaus Spielraum für Steuern auf höhere Einkommen und Vermögen, namentlich auch für Vermögensabgaben zur Stabilisierung der Staatsverschuldung.

Stefan Bach ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin und Experte für Verteilungspolitik.

Wo ist das Geld hin? (Die Zeit 18.04.2013) (PDF, 431.16 KB)

Der Gastkommentar wird mit freundlicher Genehmigung von Die Zeit auf der Website www.diw.de veröffentlicht.  

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