Direkt zum Inhalt

Arbeiten als Rentner ist attraktiv

Medienbeitrag vom 12. August 2015

Dieser Gastbeitrag von DIW-Vorstandsmitglied Gert G. Wagner und Geschäftsführer Cornelius Richter ist am 12. August 2015 im Tagesspiegel erschienen.

Die Rente wird aufgrund der Alterung der Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten immer schwerer zu finanzieren sein. Die Wissenschaft ist sich einig, dass eine höhere Altersgrenze, bis zu der man erwerbstätig sein sollte, das effektivste Mittel ist, um die Finanzierung einer auskömmlichen Rente zu sichern. Es reicht aber nicht, eine höhere Altersgrenze, etwa von 70 Jahren, ins Gesetz zu schreiben. Denn nicht alle Erwerbstätigen können länger arbeiten – sei es wegen einer nicht mehr ausreichenden Qualifikation oder nachlassender Gesundheit. Sinnvoll sind deshalb aufeinander abgestimmte Reformen bei der Weiterbildung, dem Arbeitsschutz, im Gesundheitswesen und bei den Rentenzugangsregelungen. Wie dieses Paket im Detail aussehen sollte, steht in keinem wissenschaftlichen Lehrbuch. Deswegen ist eine detaillierte Reformdiskussion grundsätzlich sinnvoll. Auch wenn das Zeit kostet und Geduld erfordert. In der großen Koalition scheint die Geduld allerdings besonders ausgeprägt zu sein: Beim Vorhaben, den Rentenzugang weiter zu flexibilisieren, tut sich nichts Sichtbares. Die Koalitionsarbeitsgruppe zur “Flexi-Rente” hat in diesem Jahr bislang nicht einmal offiziell getagt.

In der Gesellschaft wird immer noch übersehen, wie attraktiv eine Beschäftigung im Rentenalter sein kann: Sofern Erwerbstätige jenseits der Altersgrenze bereits Rente beziehen, müssen sie keine Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge zahlen, haben also einen höheren Nettoverdienst als sonstige Beschäftigte. Hinzuverdienstgrenzen haben sie nicht zu beachten, weil diese nur vor der Regelaltersgrenze gelten, also derzeit nur bis zum 65. Lebensjahr und drei Monaten. Beschäftigte, die demgegenüber lieber die Möglichkeit nutzen, den Renteneintritt hinauszuschieben, erwerben dafür zusätzliche Rentenansprüche: Sie bekommen für jeden Monat, in dem sie weiter in die Rentenversicherung einzahlen, später eine um 0,5 Prozentpunkte höhere Monatsrente. Beispielsweise nach zwei Jahren zusätzlicher sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zwölf Prozent mehr Rente – und das dauerhaft!

Seit dem 1. Juli 2014 können Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein bestehendes Arbeitsverhältnis, das eigentlich mit dem regulären Renteneintritt endet, um eine zu vereinbarende Dauer verlängern – und das sogar mehrfach. Dies hilft aber nur, wenn Beschäftigte nach Erreichen der Regelaltersgrenze ununterbrochen bei ihrem vorherigen Arbeitgeber weiterarbeiten. Was ist aber mit den Rentnern, die vorzeitig ausscheiden und später doch weiterarbeiten wollen? Was mit denen, die bei einem anderen Arbeitgeber arbeiten wollen? Oder mit denen, die nach einem Jahr im Ruhestand von ihrem alten Arbeitgeber gefragt werden, ob sie nicht vielleicht doch noch einmal für ein paar Jahre weitermachen wollen?

Nach derzeitiger Rechtslage sind bei befristeten Beschäftigungen von Rentnern derart viele arbeitsrechtliche Fallstricke zu bedenken, dass sich solche Arbeitsverhältnisse nicht ausreichend unkompliziert und rechtssicher gestalten lassen. Dazu kommt, dass es bisher kaum höchstrichterliche Entscheidungen in diesem Bereich gibt. Deswegen wäre es gut, wenn der Gesetzgeber den Mut hätte, Klarheit zu schaffen. Beispielsweise, indem für Personen mit Rentenanspruch allgemein geregelt würde, dass sie ohne Sachgrund und Obergrenze bei Dauer und Zahl der Befristungen und unabhängig von einer vorherigen Beschäftigung beim selben Arbeitgeber weiter beschäftigt werden können. Die jüngere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat dem Missbrauch solcher Möglichkeiten ausreichend Grenzen gesetzt. Für die Arbeitsvertragsparteien würde eine solche Gesetzesänderung Verlässlichkeit schaffen und der Gesellschaft Rentner bescheren, die nicht nur einen ökonomischen Beitrag zum gesellschaftlichen Wohlergehen leisten, sondern deren Lebenszufriedenheit auch steigt.

Obwohl inzwischen Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften ein steigendes Rentenzugangsalter befürworten, da es die Rentenkassen entlastet und Rentner trotzdem pro Monat mehr in der Tasche haben, wird nicht gezielt dafür geworben. Es ist zwar richtig, dass die Betroffenen selbst über den Zeitpunkt ihres Renteneintritts entscheiden können. Faktisch werden sie aber in Richtung Rente “gestupst”: Versicherte, die noch keinen Rentenantrag gestellt haben, erhalten drei Monate vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine Erinnerung an ihren Rentenanspruch. Die Rentenversicherung informiert sie aber – zumindest ungefragt – nicht rechtzeitig darüber, dass sie die Wahl haben, in Rente zu gehen, versicherungspflichtig weiterzuarbeiten oder unbeschränkt als Rentner nebenerwerbstätig zu sein. Diese sinnvolle Information sollte die Rentenversicherung standardmäßig geben – was ohne gesetzliche Änderungen möglich wäre. Damit genug Zeit zum Planen bleibt, sollte dies etwa zwei Jahre vor dem Beginn der Altersrente erfolgen. Eine solche gezielte Information wäre etwas, was heutzutage als „nudging“ bezeichnet wird: ein Stups. Und zwar ein ausgesprochen sanfter.

keyboard_arrow_up