Ein Großteil der Bundesländer in Deutschland hat zwischen 2001 und 2007 die sogenannte G8-Reform verabschiedet. Sie reduziert die Anzahl der Schuljahre bis zum Abitur von 13 auf zwölf Jahre. G8 – die Abkürzung für eine achtjährige Gymnasialschulzeit – ist dabei nicht für alle Bundesländer die exakte Bezeichnung, da beispielsweise in Brandenburg die Gymnasialschulzeit erst mit der siebten Klasse beginnt. In der Öffentlichkeit hat sich G8 aber als Synonym für eine zwölfjährige Schulzeit bis zum Abitur etabliert. Sachsen-Anhalt hat die verkürzte Gymnasialschulzeit mit dem Abiturjahrgang 2007 als erstes Bundesland umgesetzt. Nach und nach folgten andere Bundesländer. In Schleswig-Holstein haben die ersten AbiturientInnen im Jahr 2016 ihre Prüfungen nach zwölf Schuljahren abgelegt. In Sachsen und Thüringen liegt die Regelschulzeit bis zum Abitur seit jeher bei zwölf Jahren.
Das primäre Ziel der G8-Reform war, das im internationalen Vergleich hohe Schulentlassungsalter in Deutschland zu senken. So sollen die AbiturientInnen früher in den Arbeitsmarkt eintreten. Dies könnte auch die Folgen des demografischen Wandels abmildern: Je früher der Berufseinstieg erfolgt, desto länger zahlen die ArbeitnehmerInnen in die Sozialkassen ein und desto größer ist für die Arbeitgeber das Angebot an Fachkräften.
Trotz der verkürzten Gymnasialschulzeit wurde die Mindestanzahl an Unterrichtsstunden zum Erwerb des Abiturs beibehalten. Dadurch ist die Arbeitsbelastung der SchülerInnen um durchschnittlich 3,7 Wochenstunden oder 12,5 Prozent gestiegen. Viele SchülerInnen, Eltern sowie LehrerInnen befürchten, dass diese erhöhte Lernintensität die Qualität der Schulbildung beeinträchtigt und SchülerInnen stark in ihrer Freizeitgestaltung einschränkt. Die G8-Reform ist auch deshalb eine der umstrittensten Bildungsreformen der vergangenen Jahre. Erste Bundesländer haben inzwischen eine Rückkehr zur 13-jährigen Schulzeit verkündet oder es den Schulen freigestellt, ob sie ihre SchülerInnen in zwölf oder 13 Jahren zum Abitur führen.
Im Rahmen einer Studie, die auf Daten des Statistischen Bundesamtes für die Abiturjahrgänge 2002 bis 2013 basiert, hat das DIW Berlin die Auswirkungen der G8-Reform auf wichtige Kennzahlen für Bildungserfolg untersucht. Dabei zeigte sich, dass die AbiturientInnen infolge der Reform durchschnittlich rund zehn Monate jünger sind, wenn sie ihren Abschluss erreichen. Dies entspricht jedoch nicht den zwölf Monaten, um die sich die Schulzeit verkürzt hat. Ein Grund dafür ist, dass mehr SchülerInnen als früher im Laufe ihrer Zeit am Gymnasium eine Klasse wiederholen, insbesondere in der Oberstufe. Beim Anteil der SchülerInnen, die das Gymnasium besuchen und ihre Schullaufbahn mit dem Abitur abschließen, hat sich durch die G8-Reform keine Änderung ergeben. Eine weitere Studie des DIW Berlin zeigt, dass sich die G8-Reform auch in Studienentscheidungen niederschlägt: Durch G8 nehmen weniger AbiturientInnen ein Studium auf. Dieser Effekt bleibt auch dann bestehen, wenn nicht nur die Einschreibungen im Jahr des Abiturs und im Folgejahr berücksichtigt werden, sondern auch alle Einschreibungen in den drei Folgejahren. AbiturientInnen legen durch G8 auch häufiger eine Unterbrechung zwischen Abitur und Studium ein. Zudem wechseln G8-AbiturientInnen häufiger ihr Studienfach und brechen ihr Studium öfter ab.
Abschließend beurteilen lässt sich die Reform bisher nicht. Auch deshalb, weil unklar ist, welche Wirkungen sie außerhalb der Schule entfaltet. So ist aufgrund von Datenrestriktionen und dem geringen zeitlichen Abstand zur Reform noch offen, ob die SchülerInnen tatsächlich früher in den Arbeitsmarkt eintreten und ob durch die G8-Reform Veränderungen hinsichtlich des Arbeitsmarkterfolgs sowie der Gesundheit zu verzeichnen sind.
(Stand: Mai 2017)
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Nachgeforscht: bei Jan Marcus zur G8-Schulzeitverkürzung
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