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Sachsen-Anhalt: Deutschland-Koalition gegen die Deutschtümelei? Kommentar

DIW Wochenbericht 25 / 2021, S. 440

Alexander S. Kritikos

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Die Erleichterung Anfang Juni war groß, als es der AfD bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt erneut versagt blieb, zur stärksten Fraktion gewählt zu werden. Die schlechte Nachricht ist aber, dass sich die im Jahr 2016 beobachtete Verschiebung des Wählerzuspruchs in diesem Bundesland zulasten von SPD und der Linken hin zur AfD verfestigt hat. SPD und Linke kommen zusammen auf keine 20 Prozent mehr, weniger als die AfD allein. Erneut fällt somit der als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuften AfD die Hauptaufgabe bei der Oppositionsarbeit zu. Das entspricht nicht der Vorstellung von wirkungsvoller demokratischer Kontrolle.

Die Situation darf dennoch kein Grund zur Resignation sein, so wie etwa vom Ostbeauftragten der Bundesregierung kürzlich verbreitet. Danach sei „in den neuen Ländern die Neigung, eine rechtsradikale Partei zu wählen, offensichtlich ausgeprägter als in den alten Bundesländern“, und weiter, diese Menschen seien „nicht durch gute Arbeit von Regierungen zurückzugewinnen“.

Eine solch resignative Aussage sollte nicht Überlegungen verhindern, wie gute Arbeit von Regierungen aussieht. Ein Blick auf diese Wahlen macht deutlich, dass die AfD besonders im Süden Sachsen-Anhalts stark ist, in Landkreisen also, die durch viel mehr Abwanderung als Zuwanderung gekennzeichnet sind und die mit Überalterungsproblemen zu kämpfen haben. Gleichzeitig sind das oft auch Kreise, in denen in den letzten Jahren das Angebot an lokaler Infrastruktur zurückgefahren wurde. In solchen Regionen mit tendenziell überalterter Gesellschaft schwindet dann aufgrund einer empfundenen Perspektivlosigkeit der Zuspruch für Parteien, die dieses Problem bislang nicht hinreichend angesprochen haben. Und das veranlasst gerade jüngere Menschen in diesen Regionen, die dort zur Minderheit werden, die AfD zu wählen; selbst wenn der Vorschlag der AfD, die Probleme des demografischen Wandels mit einem „Begrüßungsgeld für Neugeborene“ zu lösen, absurd anmutet.

Eine zweite wichtige Wählerklientel der AfD sind die Arbeiterinnen und Arbeiter, dereinst klassische Wählerschaft der SPD und zuletzt der Linken. Diese Menschen fürchten angesichts der Digitalisierung und Automatisierung den Jobverlust. Ihnen macht die AfD immer wieder geschickt völlig unrealistische Angebote, sei es, indem sie gegen die Globalisierung wettert oder den Austritt aus dem Euro propagiert. Aber auch hier gilt offensichtlich wie beim Neugeborenen-Begrüßungsgeld: Besser ein absurdes Angebot als gar keins.

„Gute Arbeit von Regierungen“ setzt voraus, dass die regionalen Probleme adressiert werden. Die Einführung und Erhöhung des Mindestlohns, mit der sich die SPD schmückt, löst aber die in den Regionen bestehenden Probleme nicht. Statt kurzfristig wirkender Maßnahmen zur Verbesserung der Einkommenssituation sollte die Politik den strukturellen Wandel der Wirtschaft und die demografische Situation stärker in den Blick nehmen, selbst wenn diesen Herausforderungen nur mit längerfristigen Investitionen begegnet werden kann.

Es sind die Zukunftsthemen, die hier in den Vordergrund rücken, etwa die Stärkung der digitalen Infrastruktur sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für diejenigen, die von den Folgen der Digitalisierung in der Industrie negativ betroffen sein werden. Vor allem müssen aber auch die Kommunen in die Lage versetzt werden, in strukturschwachen Regionen die öffentlichen Investitionen zur Absicherung der Grundversorgung zu stärken, die lokale Infrastruktur also eher wieder auf- statt weiter abzubauen. Andernfalls wird die Abwanderung der jüngeren und besser ausgebildeten Menschen nicht abnehmen.

Nun steht in Sachsen-Anhalt eine Deutschland-Koalition zur Debatte. Der Name allein wird nicht reichen, um Wähler von einer deutschtümelnden Partei zurückzuholen. Vielmehr wäre es wichtig, „gute Arbeit in der nächsten Regierung“ in Sachsen-Anhalt zu leisten, indem die spezifischen Herausforderungen in der Region nachhaltig angegangen werden – dann könnten die bürgerlichen Parteien auch für die Wählerklientel der AfD wieder attraktiver werden.

Dieser Beitrag ist am 10. Juni 2021 in einer längeren Fassung auf Focus.de erschienen.

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