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Nachruf auf Gert G. Wagner

Personalie vom 2. Februar 2024

* 5. Januar 1953 in Kelsterbach – † 28. Januar 2024 in Berlin

© DIW Berlin

Der langjährige Leiter des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) Prof. Dr. Gert G. Wagner ist am 28.01.2024 unerwartet verstorben. Neben dem Gründungsvater des SOEP Hans-Jürgen Krupp war Gert G. Wagner jahrzehntelang das Gesicht und intellektueller Stimulus für die Entwicklung des SOEP, das in diesem Jahr sein 40. Studienjahr feiert.

Zu den zentralen Stationen seines beruflichen Werdegangs zählen die Positionen eines wissenschaftlichen Mitarbeiters und später des Geschäftsführers des DFG-Sonderforschungsbereichs 3 „Mikroanalytische Grundlagen der Gesellschaftspolitik“ an den Universitäten Frankfurt am Main und Mannheim (1979 bis 1988). Ab 1989 übernahm er die Leitung des SOEP am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Gert G. Wagner folgte 2011 Klaus F. Zimmermann auf den Vorsitz des DIW Vorstands (Präsident) und führte sowohl das DIW als auch das SOEP erfolgreich durch die anstehende Evaluation im Rahmen der Leibniz-Gemeinschaft. Im Ergebnis wurde das mittlerweile als Abteilung institutionalisierte SOEP mit exzellent bewertet. Auch nach der Übertragung der Leitung an Jürgen Schupp blieb er dem SOEP treu – als regelmäßiger Ideengeber und als nicht müde werdender Fürsprecher.

Neben seinen Tätigkeiten am DIW nahm er den Ruf auf eine Professur für Sozialpolitik und öffentliche Wirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum an. Es folgte eine Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere empirische Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik, an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder und von 2002 bis zu seiner Emeritierung 2018 an der Technischen Universität Berlin.

Die wichtigsten Wegmarken seines Wirkens am SOEP sind u.a. im Ausbau der Infrastruktur zu sehen. So wurde bereits vor der Währungs- Wirtschafts- und Sozialunion 1990 eine repräsentative Zusatzstichprobe von Haushalten in der DDR gezogen und erfolgreich befragt, womit eine einzigartige Datengrundlage zur Beschreibung des Transformationsprozesses in Ostdeutschland geschaffen wurde. 1994 wurde mit der ersten Migrationsstichprobe von Aus- und Übersiedlern die Grundlage für eine Reihe von nachfolgenden migrationsspezifischen Zusatzstichproben gelegt, die das SOEP zu einer zentralen Datenquelle der Erforschung von Integrationsprozessen gemacht hat. Weiterhin ist es der Initiative von Gert G. Wagner zu verdanken, dass das SOEP im Jahr 2000 durch die erste große Auffrischungsstichprobe seine Fallzahl nahezu verdoppeln konnte. Im Zuge der Armuts- und Reichtumsberichterstattung konnte im Jahr 2002 eine einzigartige Hocheinkommensstichprobe befragt werden, um die damaligen Datenlücken im Bereich hoher Einkommen deutlich zu verkleinern. Einen entscheidenden Schritt zur langfristigen Sicherung des SOEP erreichte Gert G. Wagner mit dessen Institutionalisierung im Jahr 2003. Die letzte entscheidende Weichenstellung für die Zukunft des SOEP gelang ihm mit der erfolgreichen Einwerbung eines großen Sondertatbestands, der zum Ziel hatte, neben der SOEP Hauptstichprobe das Datenangebot um das SOEP-Innovationssample grundlegend zu erweitern und so das SOEP zu einem wissenschaftlichen Leuchtturm der forschungsbasierten Dateninfrastruktur für die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zu machen.

Gert G. Wagners Innovationsfreude und wissenschaftliche Neugier war nicht nur auf sein eigenes Fachgebiet ausgerichtet. Er suchte auch immer den Blick über den Tellerrand und erarbeitete sehr große Netzwerke mit nationalen als auch internationalen Forschenden. Damit öffnete er das SOEP für verschiedene Disziplinen, insbesondere der psychologischen Forschung.  

Gert G. Wagner wurde als Mitglied einer großen Zahl von Beiräten und Gremien berufen: Zuvorderst in den Wissenschaftsrat, zum Gründungsvorsitzenden des Rates für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD), als Mitglied der Rürup Kommission sowie der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestages, der Kammer für soziale Ordnung der EKD (als Vorsitzender), des Sozialbeirats sowie der Renten- und Zensuskommission. Zuletzt war Gert G. Wagner als Senior Fellow am Max-Planck-Institut in Berlin und Fellow der Association for Psychological Science (APS) tätig.

Entsprechend seines Wirkens wurde Gert G. Wagner mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für sein Engagement in der Vermittlung wissenschaftlicher Expertise in Politik und Gesellschaft geehrt.

Gert G. Wagner kann man als sozialwissenschaftlichen Universalgelehrten bezeichnen. Sein Wirken reicht weit über seine langjährige Tätigkeit am und für das SOEP hinaus, was sich auch an seinen vielen Kontakten in die Politik zeigt. Dank ihm haben sich auch verschiedene Bundespräsidenten bereit erklärt, ein Foto für die Informationsbroschüre der SOEP-Befragten zur Verfügung zu stellen, denn sein Herz für Daten war auch für die Befragten weit geöffnet. Bis zuletzt war er ein immerwährender Impulsgeber mit konkreten Verbesserungsvorschlägen. So auch sein beharrliches Bemühen, eine Versicherungspflicht gegen Elementarschäden in Deutschland zu etablieren.

Mit Gert G. Wagner verliert das SOEP einen intellektuellen Wegbereiter und einen seiner wichtigsten Menschen. Wir trauern tief um ihn und sind in Gedanken bei seiner Familie. Wir werden sein Andenken in Ehren halten.

Die Beisetzung erfolgt im engen Familien- und Freundeskreis. Im Frühjahr wird gemeinsam vom DIW Berlin, dem SOEP und dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung eine Gedenkveranstaltung zur Ehrung ihres ehemaligen DIW-Vorstandsvorsitzenden, des früheren SOEP-Leiters sowie ihres Max Planck Senior Fellows stattfinden.

Im Namen aller derzeitigen sowie vieler ehemaliger Mitarbeitenden im SOEP

Jan Goebel, Markus M. Grabka, Carsten Schröder, Sabine Zinn (Bereichsleitungen im SOEP) sowie Jürgen Schupp (von 2011 bis 2017 Direktor des SOEP und seit 2022 im Ruhestand)

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