Pressemitteilung vom 15. Juni 2010
Die DIW-Forscher verwendeten für ihre Untersuchung die Haushaltsdaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist eine seit 1984 laufende Langzeitbefragung von mehr als 10.000 privaten Haushalten in Deutschland. Das am DIW Berlin angesiedelte SOEP gibt Auskunft über Faktoren wie Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung oder Gesundheit. Im Auftrag des DIW Berlin werden jedes Jahr in Deutschland über 20 000 Personen in rund 11 000 Haushalten von TNS Infratest Sozialforschung befragt. Weil jedes Jahr die gleichen Personen befragt werden, können langfristige soziale und gesellschaftliche Trends besonders gut verfolgt werden.
Nur 60 Prozent der Menschen in Deutschland gehören noch zur Mittelschicht, mit Nettoeinkommen zwischen 860 und 1.844 Euro. 2000 waren es noch mehr als 66 Prozent. Stark gestiegen ist vor allem die Zahl der Menschen mit niedrigem Einkommen, von 18 Prozent 2000 auf fast 22 Prozent 2009. Zudem steigt die Zahl der Menschen mit Niedrigeinkommen nicht nur immer mehr an – diese Gruppe verdient auch in absoluten Zahlen immer weniger: Verdiente ein Singlehaushalt der unteren Einkommensgruppe 2000 im Schnitt noch 680 Euro, waren es 2008 nur noch 645 Euro. Gleichzeitig ist auch der mittlere Verdienst höherer Einkommensgruppen gestiegen, von 2.400 auf 2.700 Euro – der Abstand zwischen Arm und Reich vergrößerte sich also erheblich.
Arbeitsmarkt entscheidend für die Einkommensverteilung
Hauptursache für die zunehmende Entfernung der Einkommensgruppen voneinander sei vor allem die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt: „Wenn die Zahl der Beschäftigten zurückgeht, steigt die Zahl der Menschen in unteren Einkommensgruppen.“ Deshalb habe die Wirtschaftskrise 2009 dank des „deutschen Jobwunders“ auch keine massiven Auswirkungen auf die Einkommensverteilung gehabt. Bei steigenden Beschäftigtenzahlen würde diese Entwicklung aber nicht umgekehrt, sondern nur gestoppt. „Wir sehen hier einen langfristigen, relativ gleichmäßigen Trend“, sagt Jan Goebel. „Und dieser Trend ist besorgniserregend.“
Steigende Einkommenspolarisierung bedroht gesellschaftliche Stabilität
Besorgniserregend sei der Trend zur Einkommenspolarisierung besonders im Hinblick auf die schrumpfende Mittelschicht. „Mittlere Schichten begründen ihren Status nicht auf Vermögen, sondern auf Einkommen“, sagt Martin Gornig. „Eine Entwicklung wie die hier beobachtete kann unter Umständen Verunsicherungen in diesen Schichten auslösen.“ Problematisch sei das vor allem dann, wenn andere Bevölkerungsgruppen für den drohenden Statusverlust verantwortlich gemacht würden. Und auch in anderen Bereichen drohen mit dem Verschwinden der Mittelschicht Probleme, etwa bei der Stadtentwicklung: „Mit einer steigenden Anzahl von Ärmeren wächst auch die Gefahr des Entstehens von Armenvierteln.“
Auch das geplante Sparpaket der Bundesregierung hält Jan Goebel vor dem Hintergrund der beobachteten Entwicklung für zu einseitig: „Die bisher gemachten konkreten Vorschläge betreffen nur die unteren Einkommen. Der Anteil der Reichen aber steigt stetig und die Reicheren verdienen auch immer besser. Da stellt sich schon die Frage, ob diese Gruppe nicht auch einen Sparbeitrag leisten sollte.“
2005 | Niedrige Einkommen | Mittlere Einkommen | Hohe Einkommen |
Singlehaushalt | bis 860 Euro | 861 – 1844 Euro | ab 1845 Euro |
Alleinerziehende, zwei Kinder unter 14 Jahren | bis 1376 Euro | 1377 – 2951 Euro | ab 2952 Euro |
Zwei Erwachsene, ein Kind unter 14, ein Kind über 14 Jahren | bis 1978 Euro | 1979 – 4242 Euro | ab 4243 Euro |
Die Einkommenssituation von Haushalten unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung wird durch Umrechnung in sogenannte Äquivalenzeinkommen – das sind unter Bedarfsgesichtspunkten modifizierte Pro-Kopf-Einkommen – vergleichbar gemacht. Dazu werden die Haushaltseinkommen unter Verwendung einer von der OECD vorgeschlagenen Skala umgerechnet. Dabei erhält der Haushaltsvorstand ein Gewicht von 1; weitere erwachsene Personen haben jeweils ein Gewicht von 0,5 und Kinder von 0,3. Als Kind gilt, wer das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. |
"Besorgniserregend ist der langfristige, gleichbleibende Trend": Interview mit Jan Goebel (PDF, 258.47 KB)