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Zentrale Aufgaben der Wirtschaftspolitik in der kommenden Legislaturperiode

Pressemitteilung vom 25. September 2002

Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist außerordentlich unbefriedigend. Seit Jahren erreicht die deutsche Wirtschaft nicht mehr die durchschnittlichen Wachstumsraten des Euroraums, und die hohe Arbeitslosigkeit belastet Wirtschaft und Gesellschaft in einem auf Dauer unerträglichen Ausmaß. In seinem aktuellen Wochenbericht 39/2002 weist das DIW Berlin darauf hin, dass es deshalb ein überragendes Ziel der Bundesregierung sein muss, einen signifikanten Beitrag dazu zu leisten, die deutsche Wirtschaft wieder auf einen Wachstumskurs zu führen. Dies kann nur durch ein Bündel von Vorhaben gelingen, das sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite ansetzt und die Bildungs- und Sozialpolitik einbindet.
Notwendig ist, dass die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland wie im Euroraum deutlich expansiver werden. Hierzu gehören eine Verstärkung des makroökonomischen Dialogs in Europa und eine Neuorientierung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Der EZB sollten über einen Mehrjahreszeitraum reichende lohnpolitische Signale gegeben werden, die ihr von vornherein die Inflationsangst nehmen und sie nicht zu einem so zaghaften geldpolitischen Kurs veranlassen, dass die Nachfrageexpansion im Keim erstickt wird. Auch müssen Schranken für den Austausch von Gütern und Arbeit abgebaut werden.
Um diesen Rahmen auszufüllen, sollten strukturelle Hemmnisse beseitigt werden. In Richtung auf günstigere Arbeitsbedingungen wirken die verbesserte Ausnutzung der Globalisierungschancen durch freizügigere Importregelungen, insbesondere bei Agrarprodukten und Diensten, sowie eine erleichterte Zuwanderung für Arbeitskräfte. Erstens sollte mittels einer gezielten Steuerung der Einwanderung aus den Ländern außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) die durchschnittliche Humankapitalausstattung der Zuwanderer deutlich erhöht werden, um Arbeitslosigkeitsrisiken und Integrationskosten zu senken. Dies sollte durch innovative Verfahren wie die Versteigerung von Arbeits- und Aufenthaltserlaubnissen erreicht werden. Zweitens sollte die Integration in den Arbeitsmarkt für alle Zuwanderergruppen gefördert werden. Anreize dazu sind dauerhafte Berufs- und Aufenthaltschancen, der Abbau von Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt und die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen. Der Erwerb von Sprachkompetenz sollte gezielt und umfassend gefördert werden.

Vor allem aber muss zusätzliches Arbeitsangebot, insbesondere bei älteren Arbeitnehmern und Müttern mit Kindern im Vorschul- und Schulalter, sowie Geringqualifizierten mobilisiert werden. Bei der Verbesserung der Kinderbetreuung ist vor allem der Staat gefordert, während die Integration älterer Erwerbspersonen primär Sache der Tarifparteien ist. Bei Geringqualifizierten müssen Staat und Unternehmen zusammenspielen. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) sollten abgeschafft und durch gezielte Lohnsubventionen für geringqualifizierte Arbeitslose ersetzt werden. Und neue Beschäftigungsmöglichkeiten sollten erschlossen werden, zum Beispiel durch die Deregulierung des Handwerks. Durch Lohnsubventionen für haushaltsnahe Dienstleistungen ließen sich viele neue Arbeitsplätze schaffen und die Schwarzarbeit eingrenzen. Die Arbeitsanreize für Geringqualifizierte müssen auch durch Organisationsreformen in den Arbeits- und Sozialverwaltungen erhöht werden. Arbeitsfähige Empfänger von Sozialhilfe sollten systematisch und konsequent zu konkreten Arbeiten verpflichtet werden, wenn sie ihren vollen Sozialhilfeanspruch erhalten möchten.

Von der Nachfrageseite her muss die Wirtschaftspolitik wieder expansiver ausgerichtet werden. Dabei müssen vor allem die öffentlichen Investitionen wieder auf einen Stand gebracht werden, bei dem Infrastruktur nicht weiter verfällt; hierzu ist eine grundlegende Reform des kommunalen Finanzwesens erforderlich. Die Stellung der Gemeinden im föderativen Gefüge muss gestärkt werden - nicht zuletzt, damit die Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Hinblick auf arbeitsmarktpolitische Überlegungen integriert werden können. Die Gewerbesteuer sollte wieder auf eine breitere Grundlage gestellt und in Richtung einer Wertschöpfungssteuer ausgebaut werden. Im Gegenzug ließen sich die Steuersätze massiv senken.

Steht die Bundesregierung weiterhin zu ihrer Verpflichtung gegenüber der EU, bis zum Jahre 2004 den öffentlichen Gesamthaushalt nahezu auszugleichen, so müssen Steuern erhöht und/oder weitere Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben vorgenommen werden, und zwar in einem Ausmaß, das die Sparpakete der Jahre 2000/2001 erheblich übertrifft. Dies gilt um so mehr, als 2004 und 2005 weitere merkliche Steuerentlastungen in Kraft treten sollen. Glaubwürdig ist eine Konsolidierungsstrategie letztlich nur dann, wenn sie im Einklang mit der wirtschaftlichen Entwicklung steht und wenn deutlich wird, dass die öffentlichen Haushalte nur so schnell konsolidiert werden sollen, wie es die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erlauben.

Wachstumsgewinne können auch dadurch erreicht werden, dass im Gesundheitswesen der Wettbewerb zwischen Anbietern zielgerichteter eingesetzt wird. Zugleich muss das System der sozialen Sicherung umfassend reformiert und auf eine breitere Basis gestellt werden, indem alle Einkommensarten zur Finanzierung herangezogen werden und eine Versicherungspflicht für die gesamte Wohnbevölkerung eingeführt wird. Wettbewerb sollte grundsätzlich im gesamten Sozial- und Bildungswesen stärker ausgenutzt werden.

Nachhaltiges Wachstum erfordert auch eine Umweltschutzpolitik, die sich verstärkt ökonomischer Instrumente bedient. Dies impliziert die Fortführung der ökologischen Steuerreform. Dabei sollten die Schwächen des bisherigen Konzepts schrittweise beseitigt werden. Insbesondere sollten die einzelnen Energieträger stärker gemäß ihrem Beitrag zur Umweltbelastung besteuert und Sonderregelungen möglichst abgebaut oder so gestaltet werden, dass der Anreiz zur Energieeinsparung nicht verloren geht. Darüber hinaus muss die Einführung des europäischen Emissionshandels, d.h. des Handels von Verschmutzungsrechten von deutscher Seite weiter aktiv vorangetrieben werden.

Auch bei der Verkehrspolitik besteht dringender Handlungsbedarf. Die neue Bundesregierung muss zügig den immer noch gültigen, aber in den wichtigsten Eckdaten völlig überholten Bundesverkehrswegeplan '92 überarbeiten und durch einen öffentlichen Investitionsplan ersetzen, der mit der Finanzplanung besser koordiniert ist und klare Prioritäten setzt. Dringend notwendig ist auch eine Umgestaltung der Kfz-Steuer derart, dass die Hubraum- durch eine CO2-Basis ersetzt wird. Aus ökologischen Erwägungen sollte auch die Ungleichbehandlung von Vergaser- und Dieselkraftstoff bei der Mineralölsteuer beseitigt werden und die Besteuerung sich an dem Energiegehalt des Kraftstoffs orientieren.
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