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Atomausstieg: Deutschland kann vorangehen und profitieren

Pressemitteilung vom 19. Mai 2011

„Es lohnt sich, als Öko-Avantgarde voranzuschreiten“ - Strompreis steigt nur leicht

Die deutsche Industrie kann Vorreiter der Energiewende werden und davon profitieren. Das ist das Fazit des neuen Wochenberichtes, den das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) unter dem Titel „Chancen der Energiewende“ veröffentlicht. Ein grundlegender Umbau der Energieversorgung in Deutschland hin zu erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz ist technisch machbar und eröffnet enorme wirtschaftliche Chancen, so das Ergebnis. Sollten die erneuerbaren Energien ausgebaut werden, könnte das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2030 fast drei Prozent höher liegen als ohne Ausbau, errechneten die Berliner Forscher. Bereits im vergangenen Jahr ging von den erneuerbaren Energien ein Nachfrageimpuls von 35,5 Milliarden Euro für die deutsche Wirtschaft aus, diese Nachfrage führte direkt und indirekt zur Beschäftigung von fast 370.000 Menschen. „Es lohnt sich in vielfacher Hinsicht für Deutschland, als Öko-Avantgarde voranzuschreiten“, erklärte DIW-Chef Gert G. Wagner.

„Die Lichter werden durch das Atommoratorium in Deutschland nicht ausgehen“, beruhigt DIW-Energie-Abteilungsleiterin Claudia Kemfert. Auch wenn die gegenwärtig acht abgeschalteten Atomkraftwerke nicht wieder ans Netz gehen, sind in Deutschland noch ausreichende Produktionskapazitäten vorhanden, so dass die Versorgungssicherheit nicht bedroht ist. „Der Strompreis wird sich für die Verbraucher insgesamt nur geringfügig erhöhen. Zwar rechnen wir damit, dass der Strompreis an der Börse um zirka  sechs Prozent steigt, dafür sinkt dann aber zum Beispiel die Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien. In der Summe wird der Preis für Haushaltsstrom nur leicht um 1,4 Prozent steigen“, so die Energieexperten Claudia Kemfert und Thure Traber. Allerdings ist mit einer deutlich erhöhten Emission von Treibhausgasen im Kraftwerksbereich um neun Prozent oder ungefähr 26 Millionen Tonnen zu rechnen, denn Kohle- und Gaskraftwerke werden einen Großteil des Rückganges der Atomstromproduktion ausgleichen. Für den Fall, dass alle deutschen Atomkraftwerke vom Netz gehen würden, prognostizieren die Experten einen Börsenstrompreisanstieg von etwa 22 Prozent. „Auch hier würden aber gegenläufige Effekte wie eine sinkende Förderumlage auftreten, so dass die Preissteigerungen bei Haushaltsstrom mit knapp fünf Prozent sehr moderat ausfielen“,  so Kemfert.

Eine sofortige vollständige Abschaltung aller Atomkraftwerke ist laut DIW-Studien hingegen nicht möglich, da die verbleibende Anlagenkapazität für die sichere Erfüllung der Nachfrage zu Spitzenlastzeiten nicht ausreichen würde. Realistisch ist ein stufenweiser Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahr 2020. Bis dahin wird sich der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix bei einem kontinuierlichen Ausbau auf mindestens 35 Prozent verdoppelt haben.

Auf den Arbeitsmarkt wirkt sich der Ausbau der erneuerbaren Energien nach Berechnungen des DIW Berlin in der Bilanz durchweg positiv aus, wenn auch die Effekte in den einzelnen Wirtschaftszweigen unterschiedlich sind. „Am stärksten ist der Beschäftigungszuwachs im produzierenden Gewerbe und in den unternehmensnahen Dienstleistungen“, sagt DIW-Forscher Dietmar Edler. „Indirekt profitieren auch viele Sektoren außerhalb der Erneuerbare-Energien-Branche.“ Belastet werden könnten hingegen die Wohnungsvermietung, die konventionelle Energiewirtschaft, Fahrzeugbau und Verkehrswirtschaft. Insgesamt sind die sektoralen Effekte wegen vielfältiger Verflechtungen breit über alle Wirtschaftsbereiche verteilt.

Die Energiewende stellt allerdings große Anforderungen an die Politik, denn der Strukturwandel in Wirtschaft und Arbeitswelt betrifft die gesamte Volkswirtschaft. Insbesondere würden ein Ausbau der Netze und eine Weiterentwicklung des Strommarktes zur effizienteren Nutzung der Netze nötig. Vor allem durch den steigenden Anteil an Windenergie nehmen Netzengpässe in Deutschland bereits jetzt zu. Die Lösung könnte ein unabhängiger Operator nach US-Vorbild (Independent System Operator, ISO) sein. „Er könnte kurzfristigen Handel und marktbasiertes Engpassmanagement verbinden und damit zu Transparenz und fairen Marktpreise beitragen“, urteilt Energie-Experte Karsten Neuhoff. Simulationsstudien für Europa zeigen, dass durch eine bessere Organisation die Übertragungskapazität im europäischen Stromnetz bis zu 30 Prozent besser genutzt werden könnte. „Das schafft Flexibilität für die weitere Integration erneuerbarer Energien und spart im Betrieb rund zwei Milliarden Euro“.

Nicht zuletzt würde auch die Welt insgesamt von einer erfolgreichen Energiewende in Deutschland profitieren: „Wenn Deutschland den Vorreiter spielt, dann trägt es mit der neu entwickelten Technik dazu bei, dass andere Nationen rasch folgen könnten“, lautet das Fazit von DIW-Chef Wagner. „Die deutsche Industrie würde dazu beitragen, dass die Welt schneller zu nachhaltigeren, umweltfreundlicheren und für die Gesundheit ungefährlicheren Energiequellen findet. Und sie würde daran gut verdienen.“

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