Nachricht vom 18. März 2014
Ein Gastbeitrag von Marcel Fratzscher, Präsident des DIW Berlin, und Karsten Neuhoff, Leiter der Abteilung Klimapolitik, erstmals veröffentlicht in der Frankfurter Rundschau vom 18. März 2014.
Die Energiewende bereitet vielen Menschen in Deutschland Sorgen. Konsumenten fürchten einen Anstieg der Stromkosten, Unternehmen um ihre globale Wettbewerbsfähigkeit, und viele Politiker, dass die Ziele der Energiewende zu ambitioniert und die Versorgungssicherheit in Gefahr sein könnten. Diese Bedenken müssen ernst genommen werden. Die Diskussion wird jedoch zu eng, mit einer rein kurzfristigen Perspektive und zu vielen Emotionen geführt. Nimmt man eine längerfristige Perspektive ein, so treten vor allem die enormen Chancen hervor, die die Energiewende für Deutschland – auch als Wirtschaftsstandort – bietet.
Die genannten Einwände gilt es sorgfältig zu berücksichtigen, denn nur eine dynamische Wirtschaft kann die Herausforderungen der Energiewende auch schaffen. Aber Deutschlands wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit muss durch die Energiewende nicht gefährdet sein.
Wenige sind sich bewusst, dass der Großhandelspreis für Strom in Deutschland zu den günstigsten in Europa gehört und dem Niveau der US-amerikanischen West- und Ostküste entspricht. Dies bedeutet, dass die energieintensiven deutschen Unternehmen, die von der Ökostrom-Umlage nach dem Erneuerbare- Energien-Gesetz (EEG-Umlage) ausgenommen sind, keinen Wettbewerbsnachteil haben. Das wird auch bei den Vorschlägen der Bundesregierung und der EU-Kommission zur Weiterentwicklung der EEG-Ausnahmeregelungen sichergestellt. Für die restlichen 92 Prozent der industriellen Produktion liegt der Anteil der Energiekosten am Umsatz im Durchschnitt bei 1,6 Prozent, stellt also keinen entscheidenden Kostenfaktor dar.
In der gegenwärtigen Diskussion ignorieren wir auch zu oft, dass die Klimapolitik zur Verringerung von CO2-Emissionen ein zentrales Ziel der Energiewende ist. Die Risiken des Klimawandels für uns und andere steigen mit jeder zusätzlichen Tonne Treibhausgas-Emissionen. Deutschland ist unter den großen europäischen Ländern das Land mit den höchsten Pro-Kopf- Emissionen an Treibhausgasen. Wir sind daher noch weit davon entfernt, unserer Verantwortung gerecht zu werden.
Deutschland und Europa sind zudem enorm abhängig vom Import fossiler Brennstoffe. So importiert Europa jedes Jahr fossile Brennstoffe im Wert von 350 Milliarden Euro. Die Energiewende kann langfristig einen großen Teil dieser Importe überflüssig machen. Mit den Einsparungen können nicht nur die Investitionen in Erneuerbare und Energieeffizienz finanziert werden, sondern zugleich kann dadurch die politische und wirtschaftspolitische Abhängigkeit von Ländern wie Russland oder dem Mittleren Osten reduziert werden.
Die Energiewende bietet außerdem die Chance, neue Technologiefelder in globalen Wachstumsmärkten zu erschließen. 70 Prozent der Wind- und 72 Prozent der Solaranlagen werden heute außerhalb von Europa installiert. Die Schließung von Werken in Deutschland ist schmerzhaft, doch zugleich ist es Deutschland gelungen, neue Technologien weltweit zu exportieren.
Es gilt diese Vorreiterrolle zu sichern und auszubauen und verstärkt Technologien in anderen Bereichen zu erschließen. Insgesamt hat Deutschland bisher im Bereich Erneuerbarer Energien 378 000 Arbeitsplätze geschaffen. Eine neue Studie des DIW zeigt, dass Investitionen in Energieeffizienz bis zum Jahr 2020 bis zu 180 000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen könnten.
Die reale Gefahr ist, dass Deutschland durch eine verfehlte Energiepolitik seine Position als Vorreiter im Bereich der grünen Technologien gefährdet. Studien des DIW Berlin zeigen, dass Länder in Asien und die USA in wichtigen technologischen und wirtschaftspolitischen Bereichen, wie zum Beispiel Elektromobilität oder Energieeffizienz, mittlerweile Deutschland die führende Position streitig machen.
Die Energiewende kann nur durch ein sehr viel stärkeres Engagement und Investitionen von privaten Akteuren gelingen. Dies erfordert bessere Rahmenbedingungen und Anreize vonseiten der deutschen Politik. So ist es im Bereich der energetischen Gebäudesanierung notwendig, angemessene Zertifizierungen und ergänzende Finanzierungskonzepte zu schaffen. Damit energieintensive Industrien wieder in Europa investieren, brauchen wir eine spezifische Förderung für innovative Technologien und eine strukturelle Reform des europäischen Emissionshandels, die klare Anreize schafft. Im Stromsektor müssen die Reformen des EEG sicherstellen, dass auch in Zukunft regulatorische Risiken vermieden und die Hemmnisse für die Absicherung von Investitionen mit längerfristigen Verträgen berücksichtigt werden, so dass sich auch kleine private Investoren mit geringen Renditeanforderungen beteiligen können.
All dies sind wichtige Herausforderungen für die neue Bundesregierung. Zudem muss sie diese Reform nicht nur in Deutschland, sondern auch auf EU-Ebene im Rahmen der Diskussion der EU-2030- Strategie voranbringen. Ein Zögern, ein Verzögern oder eine stückhafte Umsetzung der Energiewende gefährden Deutschlands Rolle unter den Vorreitern und würden langfristig zu Abwanderung von Investitionen und Innovationen in andere Regionen der Welt führen.