Bericht vom 22. April 2015
Die Vermögen der Deutschen bestehen einer Studie von Wissenschaftlern der Freien Universität (FU) Berlin und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zufolge zu etwa zwei Dritteln aus Eigenleistung und zu etwa einem Drittel aus Erbschaften. Wie Timm Bönke, Giacomo Corneo (beide FU Berlin) und Christian Westermeier (DIW Berlin) bei der Auswertung neuer Umfragedaten der Bundesbank, die die unteren 99 Prozent der Vermögensverteilung repräsentativ abbilden, herausfanden, gilt dieses Verhältnis für Haushalte mit wenig Vermögen und für besonders reiche gleichermaßen. Auch für besonders reiche Haushalte ist der Anteil von Erbschaften am Vermögen nicht systematisch höher.
Leistungsprinzip und Chancengleichheit gehören zu den Grundsätzen einer modernen, liberalen Gesellschaftsordnung. Diesen Prinzipien entsprechend soll persönlicher Reichtum vorrangig das Resultat eigener Leistung und nicht Geburtsprivilegien widerspiegeln. Darüber, ob und inwieweit die Verteilung des Reichtums tatsächlich ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Anstrengungen der Einzelnen ist, gehen aber die Meinungen stark auseinander. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die die starke Konzentration des Reichtums vorwiegend auf einen ungleichmäßigen Erhalt von Erbschaften zurückführen und deswegen die gesellschaftliche Dominanz der „leistungslosen Vermögen“ anprangern. Auf der anderen Seite werden hingegen die Reichen als tüchtige „self‐made men“ angepriesen, und jegliche Kritik an der Vermögensungleichheit wird als reine Neiddebatte abgetan. Seit Langem sorgen diese Sichtweisen für hitzige wirtschaftspolitische Kontroversen. So liegt die derzeitige mediale Aufregung um Thomas Pikettys Buch „Capital in the 21st Century“ („Das Kapital im 21. Jahrhundert“) nicht zuletzt darin begründet, dass er unsere Gesellschaft auf eine von wenigen vermögenden Erben dominierte zusteuern sieht, die einen Großteils des Vermögens auf sich konzentrieren und von ihren Kapitalerträgen lebt.
Ob leistungsloses Vermögen eine bedeutende Rolle im Vermögen der Deutschen spielt und insbesondere welcher Anteil auf erhaltenen Erbschaften und welcher auf eigene Anstrengungen zurückzuführen ist, untersuchen die Finanzwissenschaftler Giacomo Corneo und Timm Bönke von der Freien Universität Berlin zusammen mit dem DIW-Forscher Christian Westermeier. Dank einer neuen, verbesserten Datenlage ist eine umfassende Untersuchung dieser Fragestellung erstmals für Deutschland möglich. Der Analyse lagen die Daten des neuen Panels Private Haushalte und ihre Finanzen (PHF) zugrunde, das unter Federführung der Deutschen Bundesbank erhoben wird und die unteren 99 Prozent der Vermögensverteilung repräsentativ abbildet.
Die Anteile von Erbschaften und selbsterwirtschafteten Ersparnissen verändern sich den Wissenschaftlern zufolge entlang der Vermögensverteilung kaum: So nehme insbesondere die relative Bedeutung von Erbschaften mit zunehmendem Privatvermögen nicht systematisch zu. „Die Ergebnisse zu der Bedeutung von Erbschaften und Schenkungen in Deutschland schaffen neue Fakten für die Debatte über die Legitimation der Vermögensungleichheit“, betont Giacomo Corneo. Darüber hinaus lieferten die Ergebnisse Anhaltspunkte für eine steuerpolitische Diskussion. Timm Bönke unterstreicht: „Die Beurteilung der viel diskutierten möglichen Wiedereinführung einer persönlichen Vermögensteuer hängt unter anderem von der Tatsache ab, ob die betroffenen Vermögen als leistungslos oder selbstverdient betrachtet werden.“ Die Studie zeige, dass die Wiedereinführung einer persönlichen Vermögenssteuer für Millionäre zwar einige Vermögende treffen würde, deren Vermögen zu 100 Prozent aus Erbschaften stammen – dies entspreche etwa einem Fünftel der hypothetischen Steuerpflichtigen. Betroffen seien aber auch Sparer, die überhaupt keine Erbschaft erhalten haben – etwa ein Drittel der hypothetischen Steuerpflichtigen. „Für eine Belastung leistungsloser Vermögen ist nicht die Vermögensteuer, sondern eine Erbschaftssteuer mit breiter Bemessungsgrundlage ein geeignetes Instrument“, erklärt Giacomo Corneo mit Blick auf die steuerpolitischen Schlussfolgerungen.
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