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„Deutschland-Rente“ und Rentenniveau

Medienbeitrag vom 5. Januar 2016

Dieser Gastbeitrag von DIW-Vorstandsmitglied Gert G. Wagner ist in gekürzter Fassung am 5. Januar 2016 in der Saarbrücker Zeitung erschienen.

Die nachrichtenarme Zeit um den Jahreswechsel wird gerne genutzt, um alte Themen mit neuen Vorschlägen zurück auf die öffentliche Agenda zu bringen. Dieses Mal ist es die Rente: Dass die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi für höhere gesetzliche Renten eintritt, ist dabei nicht überraschend. Schon eher der Vorschlag dreier hessischer Landesminister [Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Bündnis 90/Die Grünen), Sozialminister Stefan Grüttner und Finanzminister Thomas Schäfer (beide CDU)], eine kapitalgedeckte „Deutschland-Rente“ einzuführen: eine Zusatzrente, die eine normierte Standard-Versicherung anbietet (also nicht so verwirrend vielfältig ist wie die vielen Angebote für Riester-Renten). Die Arbeitgeber von Versicherten könnten den Zusatzbeitrag an die Deutsche Rentenversicherung überweisen, die ihn nicht selbst anlegt, sondern dies einem eigens gegründeten, eigenständigen Rentenfonds überlässt.  

Beide Vorschläge könnten kombiniert werden, sind aber vom Grundsatz her als Alternativen zu verstehen: Würde das Niveau der gesetzlichen Rente – wie Verdi das will – erhöht, dann gäbe es weniger Bedarf für eine kapitalgedeckte Zusatzrente. Aber es würden wieder – wie vor der Riester-Reform – alle Eier in einen Korb gelegt. Mit anderen Worten: Alles würde wieder auf die Karte „Umlagefinanzierung“ gesetzt: die Beitragseinnahmen werden unmittelbar an die Rentner ausgezahlt. Genau das will die „Deutschland-Rente“ vermeiden – und zugleich mehr Menschen  absichern als Riester und die betriebliche Altersversorgung.

Der schwarz-grüne Vorschlag aus Hessen ist keine „Zwangsmaßnahme“, sondern sieht ausdrücklich ein „Opting-out“ vor. Man kann das Konzept als einen „Stups“, heutzutage gerne „Nudging“ genannt, bezeichnen. Wer in den Standard-Fonds „Deutschland-Rente“ nicht einzahlen will, muss es auch nicht. Er kann ganz auf zusätzliche Vorsorge verzichten oder einen anderen Fonds wählen, den Banken und Versicherungen anbieten. Wichtig ist in jedem Fall, dass Zusatzvorsorge nicht vollständig auf die spätere Grundsicherung angerechnet würde (wie auch der Sozialbeirat betont), um gerade für Niedrigverdiener einen Anreiz zu geben, zusätzlich vorzusorgen. Und umgekehrt: Wer in keiner Form zusätzlich vorgesorgt hat, wird später keine Mindestrente bekommen können, die über die Grundsicherung hinausgeht, die jedem Rentner zusteht. Ohne wirklichen Zwang könnte die Zusatz-Altersvorsorge so – das legen Erfahrungen aus dem Ausland nahe – von 90 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewählt werden. Im veröffentlichten Hessen-Vorschlag nicht erwähnt, aber wichtig wäre, dass auch Selbständige und Nicht-Erwerbstätige einzahlen können.

Pfiffig am Hessen-Vorschlag ist auch, dass er für Arbeitgeber attraktiv sein kann: Beiträge zur Deutschland-Rente könnten als reine Beitragszusage („pay and forget“) komplizierte betriebliche Vorsorgesysteme und jahrzehntelange Haftungsrisiken ersetzen. Genau an der Stelle liegt aber auch ein Grundproblem: Bislang nutzen Arbeitgeber die betriebliche Altersversorgung als ein Instrument, um für Arbeitnehmer attraktiver zu sein als die Konkurrenz. Wenn plötzlich jedem Betrieb eine Zusatzvorsorge einfach gemacht wird, ist diese Zusatzvorsorge nichts Besonderes mehr. Inwieweit dies für die Gewerkschaften, die ihren Mitgliedern auch gerne etwas mehr bieten als in anderen Branchen üblich, ein Problem sein könnte, ist offen. Beim Hessen-Vorschlag könnte ihnen eine wichtige Rolle zukommen: die Berücksichtigung der Zusatzversorgung bei Tarifabschlüssen.

Dass über alle diese Fragen (Niveau der gesetzlichen Rente, Details effektiverer privater und betrieblicher Vorsorge, einschließlich ihrer tariflichen Absicherung und einer Nicht-Anrechnung auf die Grundsicherung) ein großer politischer Konsens herstellbar ist, der auch lange trägt, wäre im Interesse der Versicherten und Rentner wünschenswert. Dies ist aber unwahrscheinlich. Es geht schließlich um Verteilungsfragen – und die sind immer strittig und können insbesondere nicht von Fachleuten stellvertretend für die Wählerinnen und Wähler beantwortet werden.

Mit anderen Worten: Es ist unvermeidlich, dass das Rententhema wieder Wahlkampfthema wird – also über die jetzige nachrichtenarme Zeit hinaus. Dabei wäre schon viel erreicht, wenn über gut ausgearbeitete verschiedene Gesamtpakete für eine künftige Rentenreform abgestimmt werden könnte. Also nicht nur über einzelne Bausteine wie „Rente mit 63“ und „Mütterrente“ wie im letzten Wahlkampf. Ob die jetzt vorgelegten Diskussionsanstöße früh genug kommen, sodass am Ende klar erkennbare Gesamtkonzepte stehen, wird man sehen. Versicherten und Rentnern ist es zu wünschen.

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