DIW Wochenbericht 31 / 2019, S. 535
Martin Gornig, Erich Wittenberg
get_appDownload (PDF 76 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 2.83 MB)
Herr Gornig, was ist unter dem Begriff „Wissenskapital“ zu verstehen? Wir brauchen Wissen, um gute Produkte und gute Dienstleistungen zu entwickeln. Wir Wissenschaftler versuchen zu messen, was wir als Grundlage haben, um neues Wissen zu generieren. Die Messgrößen dafür sind vor allen Dingen die Personalaufwendungen für die Beschäftigung von Forscherinnen und Forschern, Entwicklern, Ingenieuren, sowie Designerinnen und Marktforschern, die Wissen für die Produkte und Dienstleistungen der Zukunft generieren.
Wissensintensive Industrie- und Dienstleistungsunternehmen haben für die deutsche Wirtschaft eine enorme Bedeutung. Wo steht Deutschland diesbezüglich im internationalen Vergleich? Einerseits waren wir in den letzten Jahren gerade mit wissensintensiven Industrien und Dienstleistungen sehr erfolgreich, offensichtlich aber investieren wir gerade im Bereich des Wissenskapitals nicht so viel wie in der Vergangenheit. Der Einsatz von Wissenskapital hat in Deutschland eher unterdurchschnittlich zugenommen. In der Industrie haben wir unsere Spitzenposition bei der Wissensintensität verloren. Bei den Dienstleistungen liegt Deutschland sogar hinter allen Vergleichsländern, die wir hier betrachtet haben, also Frankreich, Großbritannien, den USA und den kleineren Länder Österreich, Niederlanden und Finnland.
Ist das nur eine Frage der Quantität oder auch eine Frage der Qualität? Wie misst man die Qualität von Wissen? Das ist ausgesprochen schwer. Wir haben versucht, so etwas wie einen Modernitätsgrad zu berechnen. Je moderner das Wissen ist, desto besser wird es wahrscheinlich sein. Leider nimmt Deutschland auch hier keine Spitzenposition ein, sondern hat eher einen geringen Modernitätsgrad im Wissenskapital.
Wie ist der Rückstand zu anderen Ländern zu erklären? Vielleicht hat uns der Erfolg müde gemacht. Man hatte eine relative Spitzenposition, gute Ideen, hatte viel in Wissen investiert und gute Produkte und Dienstleistungen entwickelt. Und dann passiert es halt, dass man sich auf diesem Erfolg ausruht und es unterlässt, wieder in neues Wissen zu investieren, um auch künftig wieder gute Absatzchancen zu haben.
Inwieweit ist dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gefährdet? Akut nicht, denn wir reden hier von längeren Zeiträumen. Mitte der Neunzigerjahre hatte Deutschland eine Spitzenposition in der Industrie, deren Erfolg lange getragen hat. Wir sehen keine kurzfristigen Rückschläge, aber wir denken doch, dass sich das mittelfristig negativ auswirken wird, wenn wir nicht umsteuern.
Wer soll die Investitionsimpulse geben, der Staat oder die private Wirtschaft? Die Investitionen müssen natürlich die Unternehmen tätigen. Aber der Staat stellt wesentliche Rahmenbedingungen, die die Investitionstätigkeit erleichtern. Der Staat produziert ja auch viel Wissen in seinen Universitäten und investiert in die Bildung von Menschen. All das sind ganz wesentliche Voraussetzungen für Investitionen in Wissenskapital.
Die Bundesregierung hat eine Zielmarke zur Steigerung der FuE-Aufwendungen bis 2025 auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgegeben. Reicht das? Nein, das ist sicherlich zu kurz gesprungen. Es geht dort nur um reine Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen. Unsere Analysen zeigen, dass es damit allein eben nicht getan ist. Es geht auch um Marktforschung und die Entwicklung von neuen Konzepten, die nicht unbedingt eng an Technologie gebunden, sondern vielmehr an den Märkten und Dienstleistungen orientiert sind. Wir brauchen definitiv mehr als nur Forschung und Entwicklung.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Forschung und Entwicklung
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-31-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/201827