Corona-Pandemie: Vertrauensvolle Menschen sind eher zur Impfung bereit und halten sich eher an AHA-Regeln

DIW aktuell ; 66, 8 S.

Jule Adriaans, Philipp Eisnecker, Martin Kroh, Simon Kühne

2021

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24. Juni 2021 - In von Unsicherheit geprägten Zeiten wie der COVID-19-Pandemie ist Vertrauen in die Mitmenschen eine wichtige gesellschaftliche Ressource: Denn die Pandemie kann nicht durch einzelne Institutionen oder Personen, sondern nur durch breite gesellschaftliche Kooperation überwunden werden. Wie aktuelle Ergebnisse der SOEP-CoV-Studie zeigen, ist das Vertrauen in andere auch in Zeiten der Pandemie in Deutschland sehr hoch und zwischen 2020 und 2021 sogar noch angestiegen. Gleichzeitig wird deutlich, wie wichtig dieses Vertrauen ist: Die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, ist deutlich größer bei Menschen, die ihren Mitmenschen starkes Vertrauen entgegenbringen. Und wer ein ausgeprägtes Vertrauen in seine Mitmenschen hat, hält eher die AHA-Regeln ein, um COVID-19 zu verhindern.

Für den Erfolg von Regeln wie „Abstand halten“ ist es wichtig, dass sich nicht nur einzelne, sondern die meisten Menschen daran halten. Wenn Menschen das ihren Mitmenschen nicht zutrauen, kann sie das ebenfalls nachlässig machen, nach dem Motto: „Es bringt ja so wie so nichts!“ Ähnliches gilt für das Impfen: Nur wenn sich genügend Bürger und Bürgerinnen impfen lassen, kann die von vielen als Ziel angesehene Herdenimmunität erreicht werden. Denkt jemand, die anderen seien sogenannte TrittbrettfahrerInnen, die sich selbst nicht impfen lassen, aber von Herdenimmunität profitieren möchten, dann sinkt auch die eigene Impfbereitschaft. Vertrauen in die Mitmenschen könnte daher eine wichtige Rolle bei der Eindämmung der Pandemie spielen.

Es gibt unterschiedliche Erwartungen, wie sich gesellschaftliche Krisen auf den sozialen Zusammenhalt auswirken. So stärkten zahlreiche spontane Hilfsprojekte für besonders vulnerable Personen wie etwa SeniorInnen und Senioren während der COVID-19-Lockdowns die Hoffnung, dass die Krise sich positiv auf das zwischenmenschliche Vertrauen auswirkt.infoExperimentell wurde beispielsweise gezeigt, dass Stresssituationen zu erhöhtem Vertrauen und kooperativerem Verhalten bezüglich anderen Versuchsteilnehmer*innen führen (siehe Bernadette von Dawans, Urs Fischbacher, Clemens Kirschbaum, Ernst Fehr und Markus Heinrich (2012): The Social Dimension of Stress Reactivity: Acute Stress Increases Prosocial Behavior in Humans. Psychological Science 23(6) (doi: 0.1177/0956797611431576). Es ist aber auch bekannt, dass KriseninfoSo war etwa die persönliche Betroffenheit von der Finanzkrise ab 2008 mit einem Rückzug hin zur eigenen Gruppe verbunden, wohingegen das Vertrauen gegenüber Fremden zurückging. Vgl. Ginés Navarro-Carrillo et al. (2018): Do Economic Crises Always Undermine Trust in Others? The Case of Generalized, Interpersonal, and In-Group Trust. Frontiers in Psychology 9:1955 (doi: 10.3389/fpsyg.2018.01955). dazu beitragen können, Misstrauen gegenüber anderen zu erhöhen und gesellschaftliche Gräben zu vertiefen. Die vorliegende AuswertunginfoGefördert von der VolkswagenStiftung innerhalb des Projekts „Interpersonal Trust at Times of a Pandemic“ (Az. 98 980). des SOEP und der SOEP-CoV-Studie liefert eher Hinweise auf ein Zusammenrücken in der COVID-19-Pandemie.infoDie Schätzungen der Jahre 2003 bis 2018 basieren auf dem Sozio-oekonomische Panel (SOEP), einer jährlich durchgeführten Befragung von etwa 30.000 Personen in repräsentativ ausgewählten deutschen Haushalten. Vgl. Jan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 239(2) (doi: 10.1515/jbnst-2018-0022). Die Schätzungen für 2020 und 2021 stammen aus der SOEP-CoV-Studie, einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kooperationsprojekt der Universität Bielefeld mit dem SOEP am DIW Berlin (Förderkennzeichen 01KI2087A sowie 01KI2087B), für die repräsentativ ausgewählte SOEP-Haushalte im Umfang von knapp 6.700 Personen – zusätzlich zur regelmäßigen jährlichen Befragung - insbesondere zu COVID-19-bezogenen Einstellungen und Verhaltensweisen telefonisch interviewt wurden. Die Befragung erfolgte zwischen Ende März und Anfang Juli 2020 und abermals im Januar und Februar 2021. Vgl. http://www.soep-cov.de oder Simon Kühne et al. (2020): The Need for Household Panel Surveys in Times of Crisis: The Case of SOEP-CoV. Survey Research Methods 14(2) (doi: 10.18148/srm/2020.v14i2.7748).

Zwischenmenschliches Vertrauen wächst auch während der Pandemie

Das zwischenmenschliche Vertrauen der Befragten ist demnach seit 2008 mit jeder Messung über die Zeit gestiegen (Abbildung 1).infoDas zwischenmenschliche Vertrauen (in der Forschung auch manchmal generalisiertes Vertrauen genannt) wurde über einen Indexwert aus fünf Fragestellungen gebildet. Die Befragten können zunächst auf drei Aussagen zustimmend oder ablehnend reagieren: (1) „Im Allgemeinen kann man den Menschen vertrauen.“ (2) „Heutzutage kann man sich auf niemanden mehr verlassen.“ (3) „Wenn man mit Fremden zu tun hat, ist es besser, vorsichtig zu sein, bevor man ihnen vertraut.“ Weiter können sich die Befragten zwischen jeweils zwei Alternativen entscheiden: (4) „Glauben Sie, dass die meisten Leute Sie ausnützen würden, falls sie eine Möglichkeit dazu hätten, oder versuchen würden, Ihnen gegenüber fair zu sein?“ (5) „Würden Sie sagen, dass die Leute die meiste Zeit versuchen, hilfsbereit zu sein oder nur ihre eigenen Interessen verfolgen?“ Aus den Antworten auf alle fünf Aussagen wird eine gewichtete Summenskala gebildet. Vgl. David Richter et al. (2017): SOEP Scales Manual (updated for SOEP-Core v32.1). SOEP Survey Papers 423. Die Summenskala wurde für diese Analysen in 5 Abschnitte aufgeteilt. So nahm etwa der Anteil von Befragten mit „sehr hohem“ Vertrauen von rund sieben Prozent 2008 auf rund 23 Prozent 2021 zu. Ein Anstieg lässt sich auch während der Krise zwischen 2020 und 2021 beobachten. Doch in welchem Zusammenhang steht dieses zwischenmenschliche Vertrauen mit der Akzeptanz der Corona-Maßnahmen und mit der Bereitschaft, sich impfen zu lassen?

Abbildung 1: Zwischenmenschliches Vertrauen bei SOEP-Befragten

In Prozent

Anmerkungen: Die durch das SOEP bereitgestellten Gewichtungsfaktoren wurden für alle Schätzungen verwendet. Quelle: SOEP (2003-2018), SOEP-CoV (2020 und 2021); eigene Berechnungen.
© DIW Berlin

AHA-Regeln wurden im Laufe der Pandemie etwas weniger befolgt

Um die Verbreitung des Virus einzudämmen, empfiehlt die Bundesregierung bis heute die AHA-Regeln: Abstand halten, Hygiene-Maßnahmen beachten und Alltagsmaske tragen. Später wurden diese Regeln um +L für Lüften sowie +A für die Corona-Warn-App erweitert.   

Wie die Auswertung der SOEP-CoV-Studie zeigt, wurden Pandemie eindämmende Verhaltensempfehlungen, darunter auch die AHA-Regeln, mehrheitlich akzeptiert: Sowohl im Frühsommer 2020 als auch Anfang 2021 hielten sich deutlich über 70 Prozent der Befragten an jede der abgefragten COVID-19 präventiven Maßnahmen (Abbildung 2).infoDie Befragten wurden für jede der einzelnen empfohlenen Verhaltensweisen gebeten anzugeben, ob sie diese in den letzten sieben Tagen befolgt haben.

Gleichzeitig lässt sich jedoch erkennen, dass die Akzeptanz der Maßnahmen während der Pandemie zwischen 2020 und 2021 leicht abgenommen hat: Lediglich „Berührungen meiden“ und „Abstand zu Kranken“ wurden in beiden Jahren ähnlich häufig befolgt, während fast alle anderen Regeln seltener eingehalten wurden. Eine weitere Ausnahme bildet das Tragen von Alltagsmasken, was jedoch erst später im Jahr 2020 im Nahverkehr und beim Einkauf von Lebensmitteln verpflichtend vorgeschrieben wurde. Die Nutzung von Masken war von diesem Zeitpunkt ab für viele Menschen praktisch nicht mehr freiwillig.

Die abnehmende Befolgung mehrerer anderer Maßnahmen ist umso besorgniserregender, als sie mit der realen Entwicklung der Pandemie kontrastiert: So war die Zahl der gemeldeten COVID-19-Erkrankungen zwischen März und Juli 2020, als die Befragung erstmals stattfand, bedeutend geringer als während der zweiten Befragung im Januar und Februar 2021.infoSiehe hierzu die Darstellung des RKI: https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4/page/page_1/.

Abbildung 2: Befolgung COVID-19-präventiver Verhaltensweisen 2020 und 2021

In Prozent

Anmerkungen: Die durch das SOEP bereitgestellten Gewichte wurden für alle Schätzungen verwendet. Die Grenzen statistischer Unsicherheit um den Schätzwert spiegeln die Unsicherheit wider, welche bei der Übertragung von Stich-probenwerten auf die tatsächlichen Werte in der Bevölkerung besteht.
© DIW Berlin

Wer seinen Mitmenschen misstraut, befolgt seltener die Corona-Regeln

Auch wenn das durchschnittliche zwischenmenschliche Vertrauen gewachsen ist, gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Befragten. Manche vertrauen Menschen im Allgemeinen, sie denken die meisten Leute versuchen fair und hilfsbereit sein. Andere berichten, man könne sich heutzutage auf niemanden mehr verlassen, man werde stattdessen ausgenutzt und es herrsche Egoismus. Wie die Auswertung der SOEP-CoV-Studie zeigt, hielten sich Menschen mit sehr niedrigem Vertrauen in ihre Mitmenschen 2021 etwas weniger an die AHA-Regeln und andere präventive Maßnahmen (Abbildung 3) als andere. Dem gegenüber zeigen sich nur geringe Unterschiede in der Befolgung der COVID-19-Präventivmaßnahmen zwischen den Menschen mit niedrigem, mittlerem, hohem oder sehr hohem zwischenmenschlichem Vertrauen. Auch wenn Unterschiede bestehen, fallen diese gering aus: So befolgen sehr misstrauische Befragte im Durchschnitt immer noch 7,7 der neun Verhaltensweisen, während Befragte mit sehr hohem Vertrauen etwa 7,9 Verhaltensweisen befolgen.

Abbildung 3: COVID-19-präventive Verhaltensweisen nach zwischenmenschlichem Vertrauen

Durchschnittliche Anzahl der Verhaltensweisen

Anmerkungen: Die durch das SOEP bereitgestellten Gewichte wurden für alle Schätzungen verwendet. Die Grenzen statistischer Unsicherheit um den Schätzwert spiegeln die Unsicherheit wider, welche bei der Übertragung von Stich-probenwerten auf die tatsächlichen Werte in der Bevölkerung besteht.
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Je vertrauensvoller, desto eher bereit zur Impfung

Seit der Aufhebung der Impfpriorisierung haben nach und nach alle Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, auch durch ihre Impfung zur Eindämmung des Virus beizutragen. Denn Impfen schützt nicht nur den Einzelnen. Eine hohe Impfquote kann auch dazu beitragen, jene zu schützen, die nicht geimpft werden können. Neben Sorgen um mögliche Nebenwirkungen der Impfung könnte auch Misstrauen gegenüber der Impfbereitschaft der anderen eine eigene Impfung behindern.

Wie Analysen der SOEP-CoV-Studie zeigen, sind rund 64 Prozent aller Befragten 2021 bereits geimpft oder bereit sich impfen zu lassen, wenn ihnen ein Angebot gemacht wird (Abbildung 4). Weitere zwölf Prozent wollen sich zwar grundsätzlich impfen lassen, warten jedoch damit lieber noch ab. Etwa 13 Prozent sind sich unsicher, ob sie sich impfen lassen wollen und etwa zwölf Prozent lehnen die Impfung für sich selbst sogar ganz ab.

Zwischenmenschliches Vertrauen steht in deutlichem Zusammenhang mit der Impfbereitschaft:infoAuch wenn ein Zusammenhang zwischen zwischenmenschlichem Vertrauen und Präventionsverhalten oder Impfabsicht besteht, ist dies noch kein Beweis, dass das Ausmaß des Vertrauens eine kausale Ursache darstellt. Stattdessen könnte es beispielsweise einen anderen Faktor geben, der sowohl Vertrauen als auch Gesundheitsverhalten beeinflusst. Um diese Möglichkeit zu überprüfen, wurden beide Zusammenhänge mithilfe von multiplen Regressionsmodellen untersucht, in denen eine Vielzahl von Faktoren statistisch konstant gehalten wird. Es zeigte sich, dass die Zusammenhänge nicht allein auf Vertrauensunterschiede im Hinblick auf Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund, Bildung, Berufsstatus, Gesundheitszustand und Bundesland der Befragten zurückzuführen sind. So nimmt die Bereitschaft, sich so bald wie möglich impfen zu lassen, mit wachsendem Vertrauen beständig zu. Während sich 77 Prozent der Befragten mit sehr hohem Vertrauen sofort impfen lassen würden, ist dies lediglich bei 40 Prozent der Befragten mit sehr niedrigem Vertrauen der Fall. Umgekehrt lehnen nur etwa sieben Prozent der Befragten mit dem größten Vertrauen in ihre Mitmenschen eine Impfung vollständig ab, während dieser Anteil bei den misstrauischsten Befragten mit 26 Prozent deutlich größer ist.

Abbildung 4: Impfbereitschaft in 2021 nach zwischenmenschlichem Vertrauen

In Prozent

Anmerkungen: Die durch das SOEP bereitgestellten Gewichtungsfaktoren wurden für alle Schätzungen verwendet. Die Grenzen statistischer Unsicherheit um den Schätzwert spiegeln die Unsicherheit wider, welche bei der Übertragung von Stichprobenwerten auf die tatsächlichen Werte in der Bevölkerung besteht. Quelle: SOEP-CoV; eigene Berechnungen.
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Bei jüngeren Menschen spielt Vertrauen eine größere Rolle für die Entscheidung, sich impfen zu lassen

Ältere Menschen sind wesentlich gefährdeter, schwer oder tödlich an COVID-19 zu erkranken, als jüngere.infoVgl. hierzu auf der Website des RKI:  https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_coronavirus/Risikobewertung.html. Daher ist zu vermuten, dass der Eigenschutz für Ältere eine wichtigere Rolle spielt als der Schutz anderer, die sich nicht impfen lassen können. Möglicherweise spielt deshalb das zwischenmenschliche Vertrauen bei ihnen eine entsprechend geringere Rolle für ihre Impfentscheidung.

Wie die Auswertung der SOEP-CoV-Studie zeigt, spielt Vertrauen bei den Jüngeren tatsächlich eine wesentlich stärkere Rolle für die Entscheidung, sich so bald wie möglich impfen zu lassen: So ist die Impfbereitschaft bei Jüngeren mit sehr hohem Vertrauen um rund 41 Prozentpunkten höher als bei Jüngeren mit sehr niedrigem Vertrauen. Dem gegenüber beträgt der Unterschied in der Impfbereitschaft zwischen Älteren mit sehr hohem und sehr niedrigem Vertrauen nur rund 20 Prozentpunkte. Gleichzeitig gilt jedoch: Vertrauensvolle Befragte, egal ob alt oder jung, sind deutlich eher bereit, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen als misstrauische Befragte.

Abbildung 5: Impfbereitschaft nach zwischenmenschlichem Vertrauen und Altersgruppe

In Prozent

Anmerkung: Die durch das SOEP bereitgestellten Gewichte wurden für alle Schätzungen verwendet. Die Grenzen statis-tischer Unsicherheit um den Schätzwert spiegeln die Unsicherheit wider, welche bei der Übertragung von Stichproben-werten auf die tatsächlichen Werte in der Bevölkerung besteht. Als „Impfbereit“ gilt, wer entweder bereits geimpft wurde oder, sobald angeboten, dazu bereit wäre. Quelle: SOEP-CoV; eigene Berechnungen.
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Fazit: Steigerung des Vertrauens in andere könnte ein wichtiger Baustein der Pandemiebekämpfung sein

Anhand der SOEP-CoV-Studie konnte aufgezeigt werden, dass Vertrauen in die Mitmenschen in einem positiven Zusammenhang mit präventivem Verhalten wie der Einhaltung der AHA-Regeln sowie der Impfbereitschaft stehen. In diesem Befund hallt eine generelle Idee der Sozialwissenschaften wider: Vertrauen in andere ermöglicht kooperatives Verhalten in Krisensituationen. Wer annimmt, dass auch seine Mitmenschen ihren Teil beitragen und dass er oder sie nicht ausgenutzt wird, verhält sich eher selbst kooperativ. Verbreitetes Misstrauen verhindert hingegen, dass Menschen sich prosozial verhalten und Einschränkungen zugunsten der Gemeinschaft auf sich nehmen.

Das zwischenmenschliche Vertrauen spielt für die Einhaltung der AHA-Regeln eine moderate Rolle, während es ein sehr wichtiger Faktor für die Bereitschaft zu einer Impfung ist: So ist die Bereitschaft sich sofort impfen zu lassen unter den misstrauischsten Befragten um 37 Prozentpunkte niedriger als unter den vertrauensvollsten Befragten. Möglicherweise ist die Unsicherheit bezüglich der Wirksamkeit und Nebenwirkungen der neu entwickelten Impfstoffe größer als Unsicherheiten in Bezug auf die AHA-Regeln, so dass zwischenmenschliches Vertrauen einen besonders starken Einfluss auf die Impfbereitschaft hat. Auch wenn die Situation in Deutschland zur Zeit dieses Berichts noch durch Knappheit der Impfstoffe gekennzeichnet ist: Befunde aus Ländern mit weiter fortgeschrittenen Impfkampagnen deuten darauf hin, dass Impfmüdigkeit dort ein zunehmendes Problem darstellt.infoSo bemühte man sich in Israel bereits, den Impfstoff mit Freibier und Pizza an Frau und Mann zu bringen. Vgl. Irene Berres: Wie die Impfkamapgne Israel von Corona befreit. Der Spiegel vom 27.3.20221 (online verfügbar). Die in der öffentlichen Debatte häufig als Ziel angesehene Herdenimmunität kann jedoch nur erreicht und über die nächsten Jahre erhalten werden, wenn eine hohe Impfquote in der Bevölkerung besteht. Nur so können auch Personen geschützt werden, die nicht geimpft werden können. Gleichzeitig kann damit die Verbreitung von Virus-Mutationen eingedämmt und die COVID-19-Pandemie nachhaltig und langfristig bekämpft werden.

Dieser Bericht lässt offen, ob zwischenmenschliches Vertrauen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen ähnlich ausgeprägt ist oder ob es Gruppen mit besonders stark ausgeprägtem Misstrauen gibt.infoSo ist beispielsweise für Deutschland und viele andere europäische Länder bekannt, dass Bildung und Vertrauen in einem positiven Zusammenhang stehen, weniger Gebildete also misstrauischer sind (siehe Nicholas Charrona und Bo Rothsteina (2016): Does education lead to higher generalized trust? The importance of quality of government. International Journal of Educational Development 50 (doi: 10.1016/j.ijedudev.2016.05.009). Dies wäre insofern besorgniserregend, als sich das Virus dann innerhalb solcher Gruppen besonders schnell verbreiten könnte, selbst wenn durch Impfung im Rest der Bevölkerung schon die erhoffte Herdenimmunität besteht.

Weitere Analysen müssen sich daher damit beschäftigen, welche gesellschaftlichen Gruppen besonders von Misstrauen geprägt sind. Neben der verstärkten Sichtbarkeit des Fortschritts der Impfkampagne in den sozialen Medien (z.B. #ärmelhoch, Impf-Selfies), könnten vertrauensbildende Maßnahmen auch gezielt auf diese besonders zurückhaltenden Gruppen zugeschnitten werden, etwa über breit angelegte Medienkampagnen, in denen der soziale Aspekt einer Impfung und die Vielfalt der sich beteiligenden Bevölkerungsgruppen in den Vordergrund gestellt wird.

Themen: Gesundheit


Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/235919

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