DIW Wochenbericht 22 / 2023, S. 270
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Jahrelang boomte der Wohnungsbau in Deutschland: Von 2009 bis 2020 stieg die Zahl der neu fertiggestellten Wohnungen jedes Jahr um durchschnittlich sechs Prozent. Im Jahr 2021 gab es dann zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt einen Rückgang. Wie das Statistische Bundesamt kürzlich bekannt gab, wurden 2022 im Vergleich zu 2021 zwar wieder etwas mehr Wohnungen gebaut – Grund zur Entwarnung ist das aber nicht. Denn mit knapp unter 300000 neuen Wohnungen ist das von der Bundesregierung angepeilte Ziel von 400000 neuen Wohnungen pro Jahr in weiter Ferne. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Wohnungsbau auch in diesem Jahr stagnieren wird. Und die Zahl der Baugenehmigungen nimmt deutschlandweit ab, was nichts Gutes für die nähere Zukunft erwarten lässt. All das kommt zur Unzeit – denn die Nachfrage nach Wohnraum ist ungebrochen hoch und steigt noch weiter, vor allem in den Großstädten und Metropolen.
Eine zwangsläufige Folge wird sein, dass die Mieten weiter in die Höhe schnellen. Die Kaufpreise für Immobilien werden hingegen auch mittelfristig unter dem Einfluss der stark gestiegenen Zinsen stehen. Selbst die bislang erfolgte Korrektur der Hauspreise hat nicht ausgereicht, um die Belastung der Zins- und Tilgungszahlungen für neu erworbene Immobilien auf das Niveau von 2021 zu reduzieren. Erst wenn die Geldpolitik weniger restriktiv wird, kann die Zinsbelastung wieder sinken. Wenn der Wohnraum dann aber noch knapper wird, werden die Kaufpreise wieder steigen. Mit anderen Worten: Immobilien bleiben in absehbarer Zukunft unbezahlbar, insbesondere in Großstädten und ihrem Umland.
Umso dringlicher ist es, den Wohnungsbau wieder anzukurbeln. In diesem Zusammenhang kann und muss der Staat eine wichtige Rolle spielen. Es wäre jedoch nicht sinnvoll, den Markt zu sehr zu regulieren und private Investor*innen mit dirigistischen und vor allem unberechenbaren Eingriffen wie Mietendeckel, Enteignungen von Wohnungsunternehmen, Kappung der Indexmieten oder umstrittenen Änderungen im Gebäudeenergiegesetz zu verunsichern. Viel vernünftiger wäre eine Kooperation zwischen Staat und Bauwirtschaft. Der Staat könnte Baudarlehen mit niedrigen Zinsen, verbilligte Baumaterialien und Grundstücke, auch in Form von Erbpacht, zur Verfügung stellen. Statt die Grunderwerbsteuer weiter zu erhöhen (wie es Anfang 2023 in Hamburg und Sachsen geschehen ist) und damit die ohnehin hohen Transaktionskosten noch zu erhöhen, könnten die Länder bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Erstkäufer*innen von Eigenheimen von der Steuer befreien oder ihnen Zuschüsse gewähren, wie es seit 2022 in Nordrhein-Westfalen der Fall ist. Als Gegenleistung könnte der Staat von den Investor*innen verlangen, die Mietpreise entsprechend der reduzierten Kosten niedriger anzusetzen.
Der Bedarf an Wohnraum könnte auch durch die Aktivierung bereits vorhandener Reserven außerhalb der großen Städte gedeckt werden. Während die Leerstandsquoten in Großstädten und anderen Regionen mit angespannten Wohnungsmärkten weit unter drei Prozent liegen, betragen sie in einigen Regionen teilweise über zehn Prozent. Es wäre eine Verschwendung, diese Reserven ungenutzt zu lassen. Um Menschen dazu zu bewegen, sich in solchen Orten niederzulassen, wären jedoch Investitionen in den Ausbau der notwendigen Infrastruktur und die Anbindung an große Städte und andere zentrale Orte erforderlich. Dies könnte nicht nur den Wohnungsmangel lindern, sondern auch einen starken Impuls für die konjunkturelle Entwicklung darstellen. Wie die Corona-Pandemie gezeigt hat, ist die Möglichkeit des Home-Office für einen erheblichen Teil der städtischen Bevölkerung denkbar. Daher könnte der Umzug solcher Menschen in kleinere Städte mit mehr Grünflächen, größeren und vor allem erschwinglicheren Wohnräumen sowie einer guten Infrastruktur den Druck auf den Wohnungsmarkt in den Metropolen erheblich reduzieren. Gleichzeitig könnte in den Metropolen die weitere Verdichtung und Versiegelung von Flächen vermieden werden. Diese beeinträchtigt oft die Lebensqualität, da dabei Grünflächen bebaut werden und die bestehende Infrastruktur, deren Ausbau bedauerlicherweise ähnlich schleppend verläuft wie derzeit der Wohnungsbau, überlastet wird.
Themen: Immobilien und Wohnen
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-22-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/273600