DIW Wochenbericht 43 / 2025, S. 688
Thilo Kroeger, Erich Wittenberg
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Herr Kroeger, Sie haben die Veränderungen am deutschen Arbeitsmarkt in den letzten Jahrzehnten untersucht und dabei drei grundlegende Trends ausgemacht. Können Sie kurz erläutern, worum es dabei geht? Wir beobachten zum einen den allgemein bekannten Strukturwandel. Das heißt, die Beschäftigung verschiebt sich in den Dienstleistungssektor und nimmt im Verarbeitenden Gewerbe und in der Industrie ab. Darüber hinaus beobachten wir die sogenannte Tertiärisierung. Das bedeutet, dass die Nachfrage nach Dienstleistungsberufen auch innerhalb einzelner Wirtschaftsbereiche steigt, während die Nachfrage nach produktionsnahen Berufen sinkt. Als dritten Trend machen wir den sogenannten qualifikationsbedingten Wandel aus. Dabei beobachten wir, dass über alle Wirtschaftszweige hinweg die Nachfrage nach Menschen, die höhere Qualifikationen aufweisen, steigt, während die Nachfrage nach Berufen mit niedrigeren Qualifikationsansprüchen sinkt.
Wie stark haben sich die Beschäftigtenanteile in den letzten Jahrzehnten zwischen den Sektoren verschoben? Wir beobachten für den Zeitraum von 1975 bis 2017, allerdings nur bezogen auf Westdeutschland, eine Abnahme der Beschäftigung im Verarbeitenden Gewerbe um etwa 26 Prozent. Die Beschäftigung in den Dienstleistungen nimmt hingegen um etwa 70 Prozent zu. Wenn man sich das auch für Gesamtdeutschland anschauen würde, muss man sich auf den Zeitraum von ungefähr 1991 bis 2017 beschränken. Da sind die Verschiebungen grundlegend ähnlich, aber die Anteile sind ein wenig höher, weil das Verarbeitende Gewerbe in der ehemaligen DDR einen höheren Anteil hatte als in Westdeutschland.
Wie stark gewinnen Dienstleistungsberufe auch innerhalb der Wirtschaftszweige an Bedeutung? Bei diesem von uns Tertiärisierung genannten Trend sehen wir, dass die Beschäftigung in Dienstleistungsberufen nicht nur in den Dienstleistungsbereichen, sondern auch in Wirtschaftszweigen des Verarbeitenden Gewerbes um etwas mehr als die Hälfte zunimmt.
Sie haben nicht nur die Berufe, sondern auch das Aufgabenprofil analysiert. Welches Bild zeigt sich da? Auch innerhalb der einzelnen Berufsgruppen und Qualifikationsniveaus verändern sich die Aufgabenprofile der Berufe dahingehend, dass wesentlich mehr Nicht-Routinetätigkeiten, aber auch wesentlich mehr analytische Tätigkeiten nachgefragt werden. Zum Beispiel wurde in der Industrie früher sehr viel händisch geschweißt. Jetzt wird das oftmals von Robotern ausgeführt, und diese Roboter müssen bedient werden. Dass es eine wesentlich weniger routineintensive und analytischere Tätigkeit als das Schweißen von Hand, weil man zum Beispiel öfter nachprogrammieren muss.
Inwieweit zeigen sich bei Ihren Ergebnissen auch regionale Unterschiede? Wir sehen durchaus regionale Unterschiede, was in Teilen auf eine regional unterschiedliche Wirtschaftsstruktur zurückzuführen ist. Der Strukturwandel ist stärker in Regionen, in denen das Verarbeitende Gewerbe einen höheren Anteil hatte. Der qualifikationsbedingte Wandel tritt in Ballungszentren stärker auf, weil die Arbeitsplätze, die höhere Qualifikationen erfordern, in Städten eher zu finden sind.
Welche Bedeutung haben die Ergebnisse Ihrer Studie für die Arbeitsmarktpolitik? Die Studie zeigt deutlich, dass die Beschäftigungsdynamik am Arbeitsmarkt sich nicht eindimensional auf einen Trend zurückführen lässt, beispielsweise auf den Strukturwandel, sondern dass Beschäftigung durch verschiedene, sich teils überlagernde, teils ausgleichende Trends betroffen ist. Für die Arbeitsmarktpolitik bedeutet das, dass die Beschäftigungsdynamik umfassend und über verschiedene Dimensionen hinweg betrachtet werden muss.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Arbeit und Beschäftigung