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Renten im Osten rutschen unter die Grundsicherung

Pressemitteilung vom 17. März 2010

"Alarmsignal für die Bildungspolitik": Geringqualifizierte besonders betroffen - Langzeitstudie zur künftigen Rentenhöhe

Die Renten in Ostdeutschland werden künftig zum Teil deutlich sinken. Dies ist eines der zentralen Ergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Für einen Großteil derjenigen, die ab Ende der 2020er in Rente gehen, wird die gesetzliche Rente dabei sogar nahe oder unter der Grundsicherung von 600 Euro liegen. Hauptgrund für diese Entwicklung ist die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland in Kombination mit der Absenkung des Rentenniveaus. Als politische Gegenstrategie empfehlen die DIW-Forscher die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu stärken und die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Positive Nachricht: Für Westdeutschland ist mit relativ stabilen Rentenzahlungen, für Frauen sogar ein leichtes Plus zu erwarten.

Das DIW Berlin hatte im Rahmen eines von der Deutschen Rentenversicherung geförderten Forschungsprojekts  errechnet, wie sich die Rentenreformen sowie die Entwicklung am Arbeitsmarkt in Ost und West auf die zu erwartenden Rentenzahlungen auswirken. Die Ergebnisse zeigen: Vor allem in Ostdeutschland ist mit sinkenden Renten zu rechnen. In Gesamtdeutschland wird es in Zukunft vor allem für gering Qualifizierte sehr viel schwieriger, das bisherige Rentenniveau zu erreichen. Die einzige Gruppe, die ihre Rente auf einem niedrigen Niveau ausbauen kann, sind westdeutsche Frauen. Aufgrund zunehmender Erwerbstätigkeit und besserer Bildung klettert der durchschnittliche Rentenzahlbetrag über alle Altersgruppen von im Schnitt 449 Euro auf 591 Euro. [Anmerkung: Diese Zahlenwerte sind ausgedrückt in heutigen Preisen. Die nominalen Rentenzahlbeträge werden entsprechend der allgemeinen Teuerung und der Wachtumsrate höher liegen.]

Auch westdeutsche Männer können mit relativ stabilen Rentenzahlungen rechnen: Die jüngste Gruppe der von 1967 bis 1971 Geborenen erreicht mit 1090 Euro immer noch durchschnittlich gut 90 Prozent des Rentenzahlbetrags der ältesten Vergleichsgruppe der von 1937 bis 1941 Geborenen.

Rentenzahlungen unterhalb der Grundsicherung

"Die Entwicklung in Ostdeutschland ist dagegen zum Teil dramatisch", sagte Viktor Steiner, der die Studie geleitet hatte und am DIW Berlin die Abteilung Staat leitet. "Bei den jüngeren von uns untersuchten Jahrgängen in Ostdeutschland wird  der durchschnittliche Rentenzahlbetrag unter das durchschnittliche Niveau der Grundsicherung fallen."

In Zahlen ausgedrückt: Die älteren ostdeutschen Jahrgänge können heute im Mittel noch 900 bis 1000 Euro Rente erwarten. Für die jüngeren Jahrgänge, die zwischen 1962 und 1971 geboren wurden, werden die Renten mit rund 600 Euro im Bereich der Grundsicherung liegen. Bei den Frauen steigen die Renten bis zu den Jahrgängen 1947 bis 1951 an. Bei den darauf folgenden Jahrgängen fallen die Renten von einem Niveau von rund 800 Euro bis unter 500 Euro bei den jüngsten Jahrgängen.

Die hohe Langzeitarbeitslosigkeit in Ostdeutschland hat ihren Preis
Die Ursachen für diese Entwicklung hängen unmittelbar mit der Situation am Arbeitsmarkt zusammen: Seit Beginn der 90er Jahre schnellte die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland nach oben und verharrt seitdem auf deutlich höherem Niveau als im Westen. Hinzukommt der Trend zu mehr Teilzeitbeschäftigung und Minijobs – vor allem Frauen rutschten in Ostdeutschland aus Vollzeitstellen in geringfügige Beschäftigung.

Diese schlechte Ausgangssituation schlägt sich heute schon in den Erwerbsbiographien nieder. Da die Rente eine Bilanz des gesamten Erwerbslebens darstellt, sind seit der Wiedervereinigung jetzt bereits 20 Jahre vergangen, in denen sich die schlechte Arbeitsmarktsituation in unterdurchschnittlichen Rentenansprüchen niederschlägt.

"Geringqualifizierte können bisheriges Rentenniveau kam noch erreichen"

"Die Ergebnisse der DIW-Studie sind auch als Alarmsignal für die Bildungspolitik zu verstehen", fasst Johannes Geyer ein weiteres Kernergebnis der Studie zusammen. "In Gesamtdeutschland wird es in Zukunft vor allem für gering Qualifizierte sehr viel schwieriger, das bisherige Rentenniveau zu erreichen."

So steigt im Durchschnitt aller Altersgruppen das Risiko arbeitslos zu werden erheblich je nach dem Bildungsgrad – und je länger im Laufe eines Erwerbslebens die Zeiten von Arbeitslosigkeit sind, desto geringer fallen die Rentenzahlungen aus. Ein Vergleich der am wenigsten mit der am stärksten betroffenen Gruppen macht deutlich, worum es geht: So liegt für die Gruppe der von 1967 bis 1971 geborenen westdeutschen Frauen mit höherer Bildung die im Laufe des Erwerbslebens zu erwartende Arbeitslosigkeit bei 1,0 Jahren. Derselbe Wert klettert hingegen für ostdeutsche Frauen mit geringer Bildung auf 13,3 Jahre. Bei der Rentenhöhe schlägt dies voll durch. Dabei ist allerdings anzumerken, dass ostdeutsche Frauen sich wesentlich seltener bzw. kürzer ganz aus dem Arbeitsmarkt ausklinken als westdeutsche Frauen.

Auch ein anderes Beispiel macht den Effekt von Bildung deutlich: Während westdeutsche Männer im Schnitt mit relativ stabilen Renten rechnen können, gilt dies nicht für die Geringqualifizierten. Hier rutscht der durchschnittliche Rentenzahlbetrag von 810 Euro für die älteste Altersgruppe (1937 bis 41 geboren) auf 690 Euro für die jüngste Gruppe (1967 bis 71 geboren) stark ab.

Ostdeutsche Rentner können nicht auf die Rente des Partners setzen

Die gesetzliche Rente ist zwar für die meisten Menschen die wichtigste Form der Altersvorsorge, aber häufig nicht die einzige. So können Betriebsrenten, Erbschaften oder Immobilienvermögen, Einkünfte des Partners oder auch die Riester-Rente das Einkommen im Alter aufstocken. "Betrachtet man die Haushaltseinkommen aus der Gesetzlichen Rentenversicherung sieht die Situation für künftige Rentnergenerationen in Ostdeutschland eher pessimistisch aus", sagte Johannes Geyer, Ko-Autor der DIW-Studie. Tatsächlich weist die Studie auch hier auf deutliche Unterschiede zwischen Ost und West hin, wenn man den Blick von der Einzelperson auf die ebene der Haushalte richtet: Während in Westdeutschland die niedrigen Renten von Frauen häufig durch höhere Renten des Mannes ausgeglichen werden können, entfällt dieser Effekt in Ostdeutschland. Denn: Auch in Paarhaushalten kommt hier zu einer Rente auf Grundsicherungsniveau nur eine weitere in ähnlicher Höhe hinzu. Die Frage, ob Betriebsrenten, private Vorsorge, Erbschaften oder Immobilienvermögen diese Verluste auffangen können wurde dabei nicht untersucht. Es ist allerdings anzunehmen, dass unterdurchschnittliche Einkommen im Lebensverlauf auch den Vermögensaufbau bremsen.

Die Effekte der Rentenreformen

Unterschiede in den Rentenansprüchen zwischen den Geburtskohorten ergeben sich nicht nur aus der unterschiedlichen Entwicklung der Erwerbsbiografien sondern auch durch die Rentenreformen der letzten Jahre.
Um die Wirkung der Rentenreformen auf die Rentenanwartschaften abzuschätzen, untersuchten die DIW-Wissenschaftler vier Szenarien:

Szenario I: ohne Anhebung der gesetzlichen Altersgrenze auf 67 Jahre und ohne Rentenabsenkun

Szenario II: ohne Anhebung der Altersgrenze und mit Rentenabsenkung

Szenario III: mit Anhebung der Altersgrenze auf 67 und ohne Rentenabsenkung

Szenario IV: mit Anhebung der Altersgrenze auf 67 und mit Rentenabsenkung ( = Basisszenario).

Die Effekte der Rentenreformen lassen sich besonders gut an den relativ stabilen Erwerbsbiografien westdeutscher Männer ablesen – hier wird der Effekt der Reformen nicht durch andere Entwicklungen überdeckt.

Im Szenario I, also ohne Rentenanpassung und ohne Erhöhung des gesetzlichen Rentenzugangsalters, würde sich der durchschnittliche Rentenzahlbetrag westdeutscher Männer relativ stabil entwickeln.

Szenario II zeigt, dass allein aufgrund der Rentenabsenkung alle jüngeren Kohorten unter den Zahlbetrag der ältesten Kohorte fallen. Insgesamt sinkt dieser unter der Annahme einer konstanten Altersgrenze von 65 Jahren um 8%, die prozentuelle Rentenabsenkung steigt von -2% kontinuierlich auf -14% in der jüngsten Kohorte an.

Dieser Effekt kann, wie Szenario IV zeigt, teilweise durch ein höheres Rentenzugangsalter kompensiert werden. Im Durchschnitt über alle Kohorten sinkt der Rentenzahlbetrag um rund 5%. Da die schrittweise Erhöhung des abschlagsfreien gesetzlichen Rentenzugangsalters erst im Jahr 2029 abgeschlossen ist, ist dieser Effekt bei den jüngsten Geburtskohorten am stärksten ausgeprägt: der Unterschied in den beiden jüngsten Kohorten beträgt etwa 4%-Punkte.
 
Wie kann die Politik gegensteuern?

So dramatisch die Entwicklungen zum Teil sind – die Politik kann dem zu erwartenden Rückgang der Alterseinkünfte und einem drohenden Anstieg des Altersarmut entgegenwirken. Dazu zählen vor allem Maßnahmen, die auf eine Stärkung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und eine Zunahme der Lebensarbeitszeit abzielen.

"Dies setzt voraus, dass die finanziellen Arbeitsanreize einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung verbessert werden", so die Empfehlung von DIW-Experte Viktor Steiner. "Anreize zur sozialversicherungsfreien Beschäftigung (Mini-Jobs), zum Bezug von ALG II sowie zur Frühverrentung sollten also reduziert werden."

Auch das gesetzliche Renteneintrittsalter sollte entsprechend der weiter steigenden Lebenserwartung erhöht werden. Der vorzeitige Renteneintritt mit entsprechenden Abschlägen sollte zwar weiterhin möglich sein – aber nur dann, wenn die resultierende Altersrente über der Grundsicherung im Alter liegt.

Weitere denkbare Modelle:

- Die Einbeziehung von Immobilienvermögen zur Aufstockung der laufenden Einkommen bei Beziehern der Grundsicherung.

- Anstelle der Riester-Förderung eine gesetzliche Verpflichtung zur Altersvorsorge (zum Beispiel in Form inflationsgeschützter Staatspapiere) für Personen, deren Rentenversicherungsbeiträge eine spätere Rente unter dem Grundsicherungsniveau erwarten lassen. Die Einsparungen bei Abschaffung der Riester-Förderung könnten z.B. zur Erhöhung des Bundeszuschusses zur Stabilisierung der Pflichtbeiträge in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung für Rentner genutzt werden.

- Denkbar sind auch alternative Modelle zur Rentenberechnung, die eine Aufstockung der Altersrenten von langfristig versicherten Geringverdienern durch einen Bundeszuschuss vorsehen, der zum Teil durch Einsparungen bei der Grundsicherung im Alter, zum Teil durch Kürzungen anderer Subventionen (z.B. Riester-Förderung) und allgemeine Steuern finanziert werden müsste. Allerdings müssten die mit diesen Modellen verbundenen Anreiz- und Verteilungswirkungen vor der Umsetzung wissenschaftlich evaluiert werden.

Erwerbsbiografien und Alterseinkommen: Das hat das DIW Berlin untersucht

Die Studie des DIW Berlin im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung simuliert die zu erwartenden durchschnittlichen Rentenzahlungen für die Jahrgänge zwischen 1937 und 1971. Sie untersucht dabei auch, welche Auswirkungen auf die künftige Rentenhöhe die Rentenreformen, also die Anpassung der Rentenformel sowie die Erhöhung des Rentenalters ("Rente mit 67") hatten.

In den Berechnungen werden einzelne Jahrgänge zu sogenannten "Kohorten" zusammengefasst und für diese Kohorten die zu erwartenden Durchschnittsrenten ermittelt. Basisjahr für die Berechnungen war 2005. Im Basisjahr der Simulation ist die älteste Kohorte schon in Rente und die jüngste gerade 34 Jahre alt. Dabei nahmen die DIW-Forscher an, dass zu diesem Alter die Ausbildung abgeschlossen ist und bereits einige Beobachtungen zum bisherigen Erwerbsverlauf vorliegen.

Unterschieden wird dabei zwischen Männern und Frauen aber auch zwischen Menschen mit geringer, mittlerer und höherer Bildung. Auch die Unterschiede zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen werden erfasst – vor allem die sehr unterschiedliche Arbeitsmarktentwicklung in Ost und West vor und nach der Wiedervereinigung macht sich bei den künftigen Rentenzahlungen bemerkbar. Gerade weil die Arbeitsmarktentwicklung besonders für die Renten in Ostdeutschland besonders kritisch sind, untersuchten die Wissenschaftler des DIW Berlin auch, wie sich die Renten entwickeln würde, wenn sich der Arbeitsmarkt in Ostdeutschland in den nächsten Jahren besonders positiv entwickeln würde.

Links

  • Künftige Altersrenten in Deutschland: Relative Stabilität im Westen, starker Rückgang im Osten. Von Johannes Geyer und Viktor Steiner, in: Wochenbericht 11/2010 (PDF, 453.15 KB)

    "Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland sorgt für sinkende Altersrenten" - Interview mit Johannes Geyer (PDF, 208.62 KB)

    Weitere Materialien zur Studie:

    Erwerbsbiografien und Alterseinkommen im demografischen Wandel - eine Mikrosimulationsstudie für Deutschland. Von Viktor Steiner und Johannes Geyer, in: Politikberatung Kompakt, Nr. 55

    Erwerbsbiografien und Alterseinkommen im demografischen Wandel - Präsentation zur Studie (PDF, 331.05 KB)

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