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Mütter mit geringer Bildung haben häufiger ungesunde Kinder

Pressemitteilung vom 30. Januar 2013

Hauptschulabschluss geht mit einem doppelt so hohen Risiko einer Frühgeburt einher wie Abitur – Jugendliche leben umso gesünder, je höher die Bildung ihrer Mutter ist

Jugendliche rauchen häufiger, treiben seltener Sport, sind öfter übergewichtig und schätzen ihre eigene Gesundheit schlechter ein, je niedriger der Bildungsabschluss ihrer Mutter ist. Eine gesundheitliche Ungleichheit zeigt sich bereits bei Neugeborenen: Mütter mit höherer Bildung bringen seltener Frühgeburten und Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht zur Welt. Das sind die zentralen Ergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) auf Grundlage von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). „Die Gesundheit von Kindern wird nicht nur durch die Genetik bestimmt“, erklären die Studienautoren Jan Marcus und Daniel Kemptner. „Eine maßgebliche Rolle spielt auch die elterliche Bildung, etwa indem sie das eigene Gesundheitsbewusstsein erhöht und sich dieses Verhalten auf die Kinder überträgt.“ Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Bildungsinvestitionen Einfluss auch auf nicht-monetäre Indikatoren wie die Gesundheit haben. „Bildungspolitik ist auch Gesundheitspolitik“, so DIW-Ökonom Marcus.

Stichwort SOEP

Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist die größte und am längsten laufende multidisziplinäre Langzeitstudie in Deutschland. Das SOEP ist am DIW Berlin angesiedelt und wird als Teil der Forschungsinfrastruktur in Deutschland unter dem Dach der Leibniz-Gemeinschaft (WGL) von Bund und Ländern gefördert. Für das SOEP werden jedes Jahr mehr als 20 000 Menschen in rund 11 000 Haushalten vom Umfrageinstitut TNS Infratest Sozialforschung befragt. Die Daten des SOEP geben unter anderem Auskunft über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung und Gesundheit. Weil jedes Jahr dieselben Personen befragt werden, können nicht nur langfristige gesellschaftliche Trends, sondern auch die gruppenspezifische Entwicklung von Lebensläufen besonders gut analysiert werden.

Insgesamt sechs Indikatoren haben die DIW-Forscher für die Studie untersucht, um die Gesundheit und das gesundheitsbezogene Verhalten von Kindern und Jugendlichen zu beurteilen: Bei Neugeborenen wurden die Häufigkeit von Frühgeburten und niedrigem Geburtsgewicht herangezogen, bei Jugendlichen das Rauch- und Sportverhalten, das Körpergewicht sowie die subjektiv empfundene Gesundheit.

Gesundheitliche Unterschiede bestehen von Geburt an

Die Untersuchungen zeigen, dass das Risiko einer Frühgeburt, also einer Geburt vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche, zunimmt, je niedriger der Schulabschluss der Mutter ist: Mit einem Hauptschulabschluss ist die Wahrscheinlichkeit im Vergleich zum Abitur oder Fachabitur fast doppelt so hoch. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Geburtsgewicht. Während mehr als jedes fünfte Kind von Müttern mit Hauptschul- oder Realschulabschluss bei der Geburt ein Gewicht von weniger als 3000 Gramm aufweist, ist dies nur bei 13 Prozent der Kinder von Müttern mit Abitur der Fall.

Unsicher ist jedoch bei beiden Beobachtungen, ob es sich lediglich um eine Gleichzeitigkeit (Korrelation) handelt, oder ob die Bildung der Mutter ursächlich (kausal) ist für die Gesundheit von Neugeborenen. Denn: Werden die Modellspezifikationen bei den Regressionsanalysen durch Informationen über die Großeltern ergänzt und somit Mütter mit ähnlichen Voraussetzungen verglichen und zudem unbeobachtete Faktoren wie genetische Veranlagungen und das familiäre Umfeld herausgerechnet, zeigt sich, dass die geschätzten Effekte eines zusätzlichen Bildungsjahrs der Mutter nicht mehr statistisch signifikant sind. Möglicherweise ist dies aber nur auf einen zu geringen Stichprobenumfang zurückzuführen.

Sportverhalten unterscheidet sich besonders stark nach der Bildung der Mutter

Für die Jugendlichen lassen die Untersuchungen vermuten, dass der Schulabschluss der Mutter einen erheblichen Einfluss auf das gesundheitsbezogene Verhalten ihrer jugendlichen Söhne und Töchter hat. So ist der Raucheranteil bei Jugendlichen mit Müttern, die keinen Schulabschluss haben, fast doppelt so hoch wie bei Jugendlichen mit Müttern, die Abitur oder Fachabitur haben. Auch die Wahrscheinlichkeit für Übergewicht ist höher, je niedriger der Schulabschluss der Mutter ist. Ein besonders deutliches Bild zeigt sich beim Sportverhalten der Jugendlichen: Die Wahrscheinlichkeit, wöchentlich Sport zu treiben, ist bei Jugendlichen, deren Mutter Abitur hat, dreimal so hoch wie bei Jugendlichen, deren Mutter keinen Schulabschluss hat.

Analog zu den Neugeborenen lässt sich nicht für alle Indikatoren zweifelsfrei feststellen, ob das Bildungsniveau der Mutter direkt ursächlich ist für die Beobachtungen. Das gilt in erster Linie für jugendliche Söhne. Für die Töchter konnten die DIW-Forscher den Effekt des Bildungsniveaus auf das Rauch- und Sportverhalten aber kausal nachweisen: Ein zusätzliches Bildungsjahr der Mutter reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass die Tochter raucht, um 7,5 Prozent und die Wahrscheinlichkeit, dass die Tochter unsportlich ist, um 7,4 Prozent. „Dass sich die Effekte bezüglich des Geschlechts des Kindes unterscheiden, ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Mutter stärker für ihre Töchter als für ihre Söhne als Rollenvorbild wirkt“, erklärt DIW-Ökonom Daniel Kemptner.

Schlechte Gesundheitsaussichten könnten soziale Aufstiegschancen begrenzen

Die Erkenntnisse des DIW Berlin betreffen neben der Bewertung von Bildungsinvestitionen auch Fragen der sozialen Mobilität innerhalb der Gesellschaft. „Eine gesundheitliche Ungleichheit besteht von Geburt an.  Die daraus resultierende soziale Ungleichheit wird sozusagen vererbt“, verdeutlicht DIW-Forscher Jan Marcus die weitreichenden Auswirkungen. „Wenn ein geringes Bildungsniveau der Mutter die Startchancen des Kindes durch schlechtere Gesundheitsaussichten beeinträchtigt, sinkt auch die Wahrscheinlichkeit eines sozialen Aufstiegs des Kindes.“

Links

Wochenbericht 5/2013 (PDF, 330.29 KB)

Wochenbericht 5/2013 als E-Book (EPUB, 1.81 MB)

O-Ton von Jan Marcus
Bildungspolitik ist auch Gesundheitspolitik - Sechs Fragen an Jan Marcus
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