16.12.2013, Richard Ochmann, rochmann@diw.de
Im Rahmen der Diskussion um die finanzielle Förderung von Familien in Deutschland spielen zurzeit auch Vorschläge zur Reform der Familienbesteuerung eine Rolle. Dabei zeigt sich thematisch ein breites Spektrum. Es reicht von Erhöhungen des Kindergelds und Anpassungen des Kinderfreibetrags in der Einkommensteuer, über eine Zusammenlegung des Kinderzuschlags mit dem Kindergeld, bis hin zu erheblichen Einschränkungen beim Ehegattensplitting. Die Parteien haben im Bundestagswahlkampf teils weitreichende Reformen in diese Richtungen ins Feld geworfen und genießen dabei breite Unterstützung relevanter wirtschaftspolitischer Interessensvertreter. Wissenschaftler und Fachleute hingegen stehen den Vorhaben angesichts hoher Kosten und geringem Nutzen für wesentliche familienpolitische Ziele zumeist kritisch gegenüber.
Bei der Einkommensteuer werden Familien in Deutschland durch das Kindergeld und den Kinderfreibetrag im Rahmen des Familienleistungsausgleichs sowie durch das Ehegattensplitting finanziell gefördert bzw. steuerlich entlastet. Damit wird gewährleistet, dass das Existenzminimum des Kindes und der Aufwand für Betreuung, Erziehung und Ausbildung steuerlich freigestellt sind. Durch das Ehegattensplitting gilt dies auch für Unterhaltspflichten zwischen Ehepartnern, und zwar unabhängig vom Vorhandensein von Kindern. So werden Familien mit mittleren und geringen Einkommen durch das Kindergeld entlastet, während Familien mit hohen Einkommen von der steuerlichen Entlastungswirkung des Kinderfreibetrags profitieren. Diese fällt für Familien mit den höchsten Einkommen erheblich größer aus als das Kindergeld. Ehepaare kommen darüber hinaus in den Genuss des Splittingvorteils, der besonders groß ist im Fall von Alleinverdiener-Ehen.
In der aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussion tauchen zahlreiche Vorschläge auf, dieses System zugunsten von Familien mit Kindern zu reformieren. So war die Familienbesteuerung in umfassendem Sinn neben familienpolitischen Transfers wie dem Betreuungsgeld auch Bestandteil der Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen Bundesregierung. Dabei legten die Parteien recht unterschiedliche Vorschläge auf den Tisch. Die Verhandlungspartner lagen wohl so weit auseinander, dass die Familien angesichts enger finanzieller Spielräume zunächst einmal leer ausgehen und die geplanten Vorhaben bei der Familienbesteuerung zugunsten anderer Maßnahmen im Koalitionsvertrag weichen mussten. Doch ist nicht zu erwarten, dass der Ausbau der finanziellen Förderung von Familien langfristig vom Tisch sein wird. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass dieses Thema auf der politischen Agenda auch in Zukunft weit oben angesiedelt sein wird. Daher sollen die wesentlichen Positionen in der wirtschaftspolitischen Debatte hier gegenübergestellt werden.
Auf der einen Seite beabsichtigt die CDU/CSU die Erweiterung des Ehegattensplittings zu einer Art Familienrealsplitting in Bezug auf den Kinderfreibetrag. Dabei soll der steuerliche Kinderfreibetrag schrittweise auf den Grundfreibetrag für Erwachsene in Höhe von dann 8.354 Euro pro Jahr angehoben werden. Zudem soll das Kindergeld um 35 Euro pro Monat und Kind erhöht werden. Darüber hinaus sehen die Unionsparteien auch eine Anhebung des Kinderzuschlags vor, die bisher aber nicht genauer spezifiziert wurde. Es handelt sich insgesamt um eine Art Ausweitung des bestehenden Familienrealsplittings (hinsichtlich des Kinderfreibetrags), bzw. genauer um einen Ausbau des Familienleistungsausgleichs zu einem vollen Familienrealsplitting mit einem eigenen Grundfreibetrag für Kinder. Das Ehegattensplitting soll dabei vollständig erhalten bleiben.
Die SPD auf der anderen Seite schlägt eine einkommensabhängige Erhöhung des Kindergelds im Rahmen einer Integration des Kinderzuschlags in das Kindergeld vor. Damit soll das Kindergeld für niedrige und mittlere Einkommen um bis zu 140 Euro pro Monat erhöht werden. Ähnlich wie beim Kinderzuschlag soll die Kindergelderhöhung mit zunehmendem Einkommen abgeschmolzen werden. Für Empfänger von Sozialtransfers wie Arbeitslosengeld II, Grundsicherung oder Wohngeld allerdings soll das Kindergeld weiterhin auf die Transferleistung angerechnet werden. Die SPD fordert darüber hinaus einen eigenständigen ALG-II-Regelsatz für Kinder. Des Weiteren soll der Teil des steuerlichen Kinderfreibetrags, der sich auf Betreuung, Erziehung und Ausbildung bezieht, abgeschafft werden; immerhin gut 2 600 Euro im Jahr für beide Elternteile zusammen. Das würde faktisch einer Abschaffung des kompletten Kinderfreibetrags entsprechen, denn dann würden sich alle Steuerpflichtigen, unabhängig von der Höhe ihres Einkommens, mit dem Kindergeld besserstellen. Des Weiteren möchte die SPD das Ehegattensplitting für zukünftige Ehen zu einem Realsplitting umbauen. Dabei könnten dann nur steuerliche Einkommen bis zu einem Betrag in Höhe der steuerlich abzugsfähigen Unterhaltszahlungen von derzeit knapp 14 000 Euro pro Jahr zwischen Ehepartnern übertragen werden.
Auch unter den Parteien, die nicht an den Koalitionsverhandlungen beteiligt waren, finden sich Vorschläge zum Umbau der finanziellen Förderung bzw. steuerlichen Entlastung von Familien mit Kindern. So schlagen zum Beispiel Bündnis 90/ Die Grünen eine Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten einer Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag für Ehegatten vor. Vorgesehen ist das für bestehende sowie zukünftige Ehen. Die Linke hat ähnliche Pläne. Beide Parteien möchten darüber hinaus das Kindergeld kurzfristig erhöhen und langfristig in eine Kindergrundsicherung integrieren.
Das Konzept einer Grundsicherung für Kinder findet sich auch auf dem Forderungskatalog von Vertretern der Interessen von Familien und Kindern. So plädiert das Bündnis Kindergrundsicherung, ein Zusammenschluss von Verbänden, Gewerkschaften und Wissenschaftlern dafür, Kindergeld, Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag und ALG-II-Regelsätze in eine Kindergrundsicherung in Höhe von gut 500 Euro pro Kind und Monat zu integrieren. Das entspricht im Grundsatz den Vorschlägen von den Grünen und der Linken.
Auch das Konzept der CDU/CSU findet seine Befürworter im Kreis der Interessensvertreter. So macht sich der Deutsche Familienverband für die von der Union vorgeschlagene Erhöhung des Kinderfreibetrags auf den Grundfreibetrag für Erwachsene stark. Gleichzeitig soll das Kindergeld kräftig angehoben werden, deutlich mehr als von CDU/CSU gefordert, auf 330 Euro pro Monat und Kind. Dann wäre das Kindergeld in etwa so hoch wie die maximale steuerliche Entlastungswirkung des Kinderfreibetrags, für den Fall, dass der Spitzensteuersatz wie von SPD und Grünen gefordert angehoben werden würde.
Stimmen aus Wissenschaft und Fachkreisen stehen den Vorschlägen zum Ausbau der finanziellen Förderung von Familien zumeist kritisch gegenüber. Angesichts hoher Kosten wird der Nutzen für wesentliche familienpolitische Ziele als zu gering eingestuft. Ein umfassendes Bild bieten hier die Studien im Rahmen der Gesamtevaluation der ehe- und familienpolitischen Leistungen in Deutschland (siehe Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2013). Dort schneidet das Kindergeld als wenig effektive Maßnahme in Bezug auf das familienpolitische Ziel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf eher schlecht ab. Die Vorschläge zur Einschränkung des Ehegattensplittings werden in diesen Studien hingegen deutlich positiver bewertet (siehe Müller et al., 2013, sowie Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik, 2013).
Insbesondere aber die Vorhaben zum Ausbau des Familienleistungsausgleichs zu einem Familienrealsplitting werden von Wissenschaft und Fachkreisen entschieden kritisch bewertet (siehe Ochmann, Wrohlich, 2013). So spricht auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung die Empfehlung aus, von dem Familienrealsplitting aufgrund hoher fiskalischer Kosten Abstand zu nehmen. Diese Ergebnisse gelten im Grundsatz auch für das Familientarifsplitting, das in der wirtschaftspolitischen Diskussion vorrangig unter dem Stichwort Familiensplitting verstanden und an dem Vorbild des in Frankreichs umgesetzten Quotient Familial ausgestaltet wird (siehe Steiner, Wrohlich, 2008).
Vereinzelt finden sich auch günstigere Beurteilungen im Zusammenhang mit den politischen Reformvorhaben zur Familienbesteuerung. So zeigen zum Beispiel Becker, Hauser (2012), dass die Kindergrundsicherung die Kinderarmut signifikant senken könnte, bei allerdings erheblichen fiskalischen Kosten.
Die finanzielle Förderung von Familien wird auch langfristig weit oben auf der politischen Agenda stehen. Neben direkter finanzieller Unterstützung werden aber auch weitere familienpolitische Ziele zu verfolgen sein. Systematische Programmevaluationen und eine rege wirtschaftspolitische Debatte erscheinen dabei auch für die Zukunft empfehlenswert.
Becker, I., Hauser, R. (2012): Kindergrundsicherung, Kindergeld und Kinderzuschlag: Eine vergleichende Analyse aktueller Reformvorschläge. Abschlussbericht für die Hans Böckler Stiftung.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2013): Politischer Bericht zur Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen.
Bündnis 90/ Die Grünen (2013): Zeit für den grünen Wandel. Teilhaben. Einmischen. Zukunft schaffen. Bundestagswahlprogramm 2013 von Bündnis 90/ Die Grünen.
Bündnis Kindergrundsicherung (2013): Kinder brauchen mehr! Unser Vorschlag für eine Kindergrundsicherung. Konzeptpapier.
CDU/CSU (2013): Gemeinsam erfolgreich für Deutschland. Regierungsprogramm 2013-2017. CDU und CSU, Seite 8; in Verbindung mit http://www.faz.net/aktuell/finanzen/fruehaufsteher/bundesregierung-wahlversprechen-kosten-fast-30-milliarden-euro-12200225.html
Deutscher Familienverband (2013): Familiengerechtigkeit auf dem Prüfstand. Wahlprüfsteine 2013. Fachinformation.
Die Linke (2013): 100% sozial. Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 - Beschluss des Dresdner Parteitags.
Müller, K.-U., Spieß, K., Tsiasioti, C., Wrohlich, K., Bügelmayer, E., Haywood, L., Peter, F., Ringmann, M., Witzke, S. (2013): Evaluationsmodul: Förderung und Wohlergehen von Kindern. Studie im Auftrag der Geschäftsstelle für die Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Maßnahmen und Leistungen in Deutschland, Prognos AG, für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und das Bundesministerium der Finanzen DIW Berlin: Politikberatung kompakt Nr. 73.
Ochmann, R., Wrohlich, K. (2013): Familiensplitting der CDU/CSU: Hohe Kosten bei geringer Entlastung für einkommensschwache Familien. DIW Wochenbericht Nr. 36/2013.
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2013): Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik. Jahresgutachten 2013/14.
SPD (2013): Das Wir entscheidet. Das Regierungsprogramm 2013 - 2017.
Steiner, V., Wrohlich, K. (2008): Introducing Family Tax Splitting in Germany: How Would It Affect the Income Distribution, Work Incentives, and Household Welfare? FinanzArchiv/Public Finance Analysis, 64 (1), 115-142.
Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik (2013): Evaluation zentraler ehe- und familienbezogener Leistungen in Deutschland. Gutachten für die Prognos AG.
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/111773