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Wie Bildungsentscheidungen mit Persönlichkeitseigenschaften zusammenhängen

DIW Roundup 38, 5 S.

Johanna Storck

2014

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30.09.2014, Johanna Storck, jstorck@diw.de

Unter Ökonomen setzt sich verstärkt die Erkenntnis durch, dass für die Erklärung ökonomischen sowie generellen Verhaltens neben kognitiven Fähigkeiten auch Faktoren wie soziale Fertigkeiten und Wertvorstellungen eine wichtige Rolle spielen. Entsprechend wird in ökonomischen Entscheidungsmodellen zunehmend auch die Rolle von  Persönlichkeitseigenschaften berücksichtigt. Insbesondere bei Studien zum Arbeitsmarktverhalten oder Bildungsentscheidungen werden oftmals Eigenschaften wie z.B.  Risikoneigung,  Kontrollüberzeugung oder auch Persönlichkeitseigenschaften miteinbezogen. Dabei zeigt sich, wie wichtig es ist, neben den kognitiven Fähigkeiten auch die nicht-kognitiven Fähigkeiten bei der Untersuchung von Entscheidungssituationen zu berücksichtigen. Im Folgenden werden aktuelle Ergebnisse zu dem Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Bildungsentscheidungen dargestellt.

Persönlichkeitseigenschaften werden in der Ökonomie neben anderen Fähigkeiten häufig als nicht-kognitive Fähigkeiten bezeichnet. Dies sind Eigenschaften, die es einem Individuum ermöglichen, mit anderen Personen zu kommunizieren oder zu interagieren. Neben den Persönlichkeitseigenschaften gehören z.B. auch das sozio-emotionale Verhalten, die Kontrollüberzeugung sowie Ausdauer und Motivation zu nicht-kognitiven Fähigkeiten.

Um Informationen über Persönlichkeitseigenschaften für empirische Studien zu gewinnen, werden in  sozialwissenschaftlichen Befragungen Konstrukte aus der Psychologie verwendet. Ein sozialpsychologisches Konstrukt zur Messung der Persönlichkeit, welches in einer Vielzahl an Studien genutzt wird, ist das Konzept der Big 5 (z.B. im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) und anderen sozioökonomischen Surveys wie dem HILDA Survey in Australien oder dem Add Health Survey in den USA). Das von den Psychologen Costa und McCrea (1999) entwickelte Konzept der Big 5 basiert auf einem Fünf-Faktoren- Modell, wonach die Persönlichkeit eines Individuums durch die Eigenschaften Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit beschrieben werden kann.  Basierend auf diesem Modell wird zur Identifikation der Persönlichkeitseigenschaften im SOEP und anderen Studien auf eine 15-Item bzw. 16-item Batterie zurückgegriffen  (vgl. Gerlitz/Schupp, 2005). Mit Hilfe dieser 15 bzw. 16 Items können Werte für die Eigenschaften der Persönlichkeit eines Individuums gemessen werden. Zur Bildung der fünf Faktoren werden dann entweder additive Indizes mit den jeweils einen Faktor theoretisch konstituierenden Items verwendet oder Faktorenanalysen durchgeführt (Dehne/Schupp, 2007).

Big 5: Sozialpsychologisches Konstrukt zur Messung der Persönlichkeitseigenschaft

Persönlichkeitsmerkmale – die sogenannten „Big Five“


  • Extraversion bezieht sich auf Persönlichkeitsdispositionen wie Geselligkeit, Aktivität, Tatendrang, Durchsetzungsfähigkeit und Begeisterungsfähigkeit.
  • Verträglichkeit umfasst die Facetten der Nachgiebigkeit, der Freimütigkeit, der Bescheidenheit, der Kooperationsbereitschaft, des Vertrauens und Altruismus.
  • Die Gewissenhaftigkeit meint das Streben nach Leistung, Besonnenheit, Kompetenz, Ordnungsliebe, Pflichtbewusstsein und Selbstdisziplin.
  • Neurotizismus bezieht sich auf Facetten der Ängstlichkeit, der Traurigkeit, der Unsicherheit, der Irritierbarkeit, der Impulsivität und der Vulnerabilität.
  • Die Dimension der Offenheit für Erfahrung erfasst die Bereitschaft und Wertschätzung von Phantasie, von neuen Ideen, von Ästhetik, von Gefühlen, die Bereitschaft für Abwechslung sowie ein flexibles Normen- und Wertesystem.


Quelle: Lang/Lüdtke , 2005

Eine wachsende Zahl an  Studien von Ökonomen bestätigen die Relevanz von Persönlichkeitseigenschaften beispielsweise in Bezug auf das Verhalten und die Ergebnisse am Arbeitsmarkt, z.B. bezüglich der Wahrscheinlichkeit, sich selbstständig zu machen (z.B. Caliendo/Fossen/Kritikos, 2014), dem Arbeitslosigkeitsrisiko (z.B. Viinikainen/Kokko, 2012) oder der erzielbaren Löhnen (z.B. Cobb-Clark/Tan, 2011, Lindqvist/Vestman, 2011 oder Heineck/Anger, 2010). Auch in anderen Lebensbereichen von ökonomischer Relevanz konnte die Bedeutung der Persönlichkeitseigenschaften bestätigt werden. So zeigen z.B. Tyas/Weel (2013) den Zusammenhang von Gewissenhaftigkeit und Gesundheit auf oder Bjerre, Peter und Spieß (2011). den Zusammenhang von Persönlichkeitseigenschaften von Müttern und der Präferenz für unterschiedliche Betreuungsarrangements für ihre Kinder.

Bedeutung von Persönlichkeitseigenschaften bei Bildungsentscheidungen

Mehrere Studien haben in den letzten Jahren die Bedeutung von Persönlichkeitseigenschaften bei Bildungsentscheidungen und Bildungserfolgen untersucht. Es gibt eine ökonomische Evidenz dafür, dass neben den kognitiven Eigenschaften die nicht-kognitive Eigenschaften einen großen Teil der Variation in der Bildungsbeteiligung zwischen Individuen erklären. Cunha und Heckman (2007) zeigen, dass nicht-kognitive Fähigkeiten, wie z.B. die Persönlichkeitseigenschaften den Erwerb von kognitiven Eigenschaften fördern, indem sie Kinder unternehmenslustiger und offener für das Lernen machen. Auf der anderen Seite können aber auch kognitive Eigenschaften die nicht-kognitiven positiv beeinflussen. Eigenschaften wie Beharrlichkeit oder Interesses am Lernen, können dazu führen, dass Menschen länger im Bildungssystem bleiben (Almund et al., 2011).

Heckman (2006) findet, dass eine Verbesserung der Persönlichkeitseigenschaften, der Selbstkontrolle und des Selbstwertgefühls die Wahrscheinlichkeit, ein Universitätsstudium abzuschließen, um etwa 25 Prozent erhöht – bei konstanten kognitiven Eigenschaften. Die Evidenz bezüglich des Zusammenhangs zwischen einzelnen Persönlichkeitseigenschaften und Bildung ist jedoch sehr unterschiedlich.  Einige Studien zeigen, dass insbesondere die Persönlichkeitseigenschaften Gewissenhaftigkeit und Offenheit für neue Erfahrungen eine Rolle bei Bildungsentscheidungen und Leistungen spielen (Borghans et al., 2011b). Auch für Deutschland zeigen Almund et al. (2011) auf Basis von  Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) einen positiven Zusammenhang zwischen Gewissenhaftigkeit und den Jahren, die in Bildung investiert werden. Des Weiteren zeigen sie einen negativen Zusammenhang zwischen Bildungsjahren und Neurotizismus auf. Für andere Eigenschaften, wie die Offenheit für neue Erfahrungen, konnte ein Zusammenhang mit einzelnen Aspekten der Bildungsbeteiligung wie z.B. der Fehlquote in Kursen bzw. Vorlesungen oder dem Schwierigkeitsgrad der besuchten Kurse nachgewiesen werden (Almund et al., 2011).

Hohe Korrelation zwischen kognitiven Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften

Ein Kanal des Erklärungswerts von Persönlichkeitseigenschaften für Bildung verläuft über den Zusammenhang von Persönlichkeitseigenschaften und Intelligenz. Eine Meta-Analyse von Poropat (2009) zum Zusammenhang zwischen den Persönlichkeitseigenschaften und Intelligenz, als Maß für kognitive Fähigkeiten, auf verschiedenen Bildungsebenen zeigt, dass der Zusammenhang zwischen schulischen Leistungen (gemessen am Notendurchschnitt) und Gewissenhaftigkeit fast so groß ist wie der Zusammenhang zwischen schulischen Leistungen und Intelligenz (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Zusammenhang zwischen den Big 5 und schulischen Leistungen 

Quelle: Poropat (2009)
Anmerkung: Grade Point Average (GPA) ein Notendurchschnitt im US-Bildungswesen.

„Renditen“ von Persönlichkeitseigenschaften hängen vom sozio-ökonomischen Umfeld ab

Persönlichkeitseigenschaften spielen auch bei Erklärungsansätzen für den Befund, dass das Erreichen eines hohen Bildungsabschluss in den meisten Ländern noch immer stark vom Elternhaus abhängt (siehe z.B. Storck 2013 für Deutschland), eine Rolle. Sowohl die durchschnittlichen Werte der Persönlichkeitseigenschaften auf der Big 5-Skala als auch der Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften auf die Bildungsbeteiligung unterscheiden sich nach dem Umfeld, in dem ein Bildungsteilnehmer aufwächst. Neben dem Unterschied in den finanziellen Möglichkeiten für direkte monetäre Bildungsinvestitionen von Eltern in ihre Kinder ist die Weitergabe von kognitiven und nicht-kognitiven Fähigkeiten ein weiterer relevanter Kanal, durch den sich eine geringe Bildungsmobilität verfestigt (vgl. z.B. Lundberg, 2013a,b). Shelly Lundberg zeigt in Ihren zwei Aufsätzen aus dem Jahr 2013 zum einen, dass sich Kinder und junge Erwachsene je nachdem, in welchem Umfeld sie als Schüler aufgewachsen sind,  im Mittel in ihren Persönlichkeitseigenschaften unterscheiden und  sie zum anderen unterschiedlich stark von bestimmten Eigenschaften profitieren (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Persönlichkeitseigenschaften von jungen Erwachsenen nach sozio-ökonomischem Status (Add Health Survey) 

Quelle: Lundberg (2013a)
Anmerkung:  Group 1= hoher sozio-ökonomischer Status beide Eltern in Haushalt, Group 2= hoher sozio-ökonomischer Status, alleinerziehendes Elternteil, Group 3= niedriger sozio-ökonomischer Status, beide Eltern in Haushalt, Group 4= niedriger sozio-ökonomischer Status, alleinerziehendes Elternteil.

Für die Wahrscheinlichkeit einen Universitätsabschluss zu erlangen, zeigt Lundberg (2013a, 2013b), dass insbesondere die Offenheit für neue Erfahrungen wichtig für Schüler mit niedrigem sozioökonomischem Status ist, während diese Eigenschaft bei anderen Schülern kaum eine Rolle spielt. Für Schüler mit höherem sozio-ökonomischen Status ist dagegen die Gewissenhaftigkeit von größerer Bedeutung.

Was bedeutet das für die Bildungspolitik?

Wie James Heckman und seine Koautoren immer wieder betonen, bringen nicht nur frühe Investitionen in kognitive Fähigkeiten hohe „Payoffs“ sondern auch Investitionen in nicht-kognitive Fähigkeiten. Andere Arbeiten, wie z.B. die von Shelly Lundberg verfestigen diese Meinung und zeigen darüber hinaus, dass Bildungsprogramme, welche die nicht-kognitiven Fähigkeiten stärken, zielgerichteter auf auf bestimmte Gruppen ausgerichtet sein sollten.

 

Quellen

Almlund, M., Duckworth, A. L., Heckman, J. und Kautz, T. (2011). Personality psychology in economics. NBER Working Paper 16822. NBER.

Borghans L., Golsteyn B.H.H., Heckman J.J, Humphries J. E. (2011a) Identification Problems in Personality Psychology. Personality and Individual Differences, 51 (3), 315-320

Borghans L., Duckworth A.L., Heckman J. J., Weel B. (2011b). The Economics and Psychology of Personality Traits. Journal of Human Resources, 43 (4), 972-1059

Borghans, L., Meijers H., & Ter Weel, B. (2008). The Role Of Noncognitive Skills In Explaining Cognitive Test Scores," Economic Inquiry, Western Economic Association International, vol. 46(1), 2-12, 01

Bjerre, L., Peter, F. und Spieß, K. (2011). Child Care Choices in Western Germany Also Correlated with Mother's Personality, DIW Economic Bulletin 5/2011, 20-26.

Caliendo, M., Fossen, F. und Kritikos, A. (2014). Personality characteristics and the decisions to become and stay self-employed Small Business Economics, Springer US, 42, 787-814

Cobb-Clark, D. A und Tan, M.(2011). Noncognitive skills, occupational attainment, and relative wages, Labour Economics , 18, 1 - 13

Cunha, F. und Heckman, J. J. (2007). The techonology of skill formation, American Economic Review Papers and Proceedings 97 (2), 31–47.

Dehne, M. und Schupp, J. (2007)Persönlichkeitsmerkmale im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) -Konzept, Umsetzung und empirische Eigenschaften. Research Notes 26, DIW Berlin

Gerlitz, J.Y., und Schupp, J. (2005). Zur Erhebung der Big-Five-basierten Persönlichkeitsmerkmale im SOEP, Research Notes 4, DIW Berlin.

Lang, F. R. und Lüdtke, O. (2005). Der Big Five-Ansatz der Persönlichkeitsforschung: Instrumente und Vorgehen. In: Schumann, S. (Hrsg.): Persönlichkeit: eine vergessene Größe der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden, 32.

Lindqvist, E. und Vestman R. (2011). The Labor Market Returns to Cognitive and Noncognitive Ability: Evidence from the Swedish Enlistment.  American Economic Journal: Applied Economics, 3(1), 101-28.

Lundberg, S. (2013a). The College Type: Personality and Educational Inequality. Journal of Labor Economics, Vol. 31, No. 3, 421-441

Lundberg, S. (2013b). Educational Inequality and the Returns to Skills. IZA Discussion Paper No. 7595, Institute for the Study of Labor (IZA).

McCrae, R. and Costa, P. J. (1999), Afive-factor theory of personality, in L. A. Pervin und O. John, eds, ‘Handbook of Personality: Theory and Research’, Guilford, New York, 139–153.

Poropat, A. (2009). A meta-analysis of the five-factor model of personality and academic performance, Psychological Bulletin, 135(2), 322-38.

Prevoo, Tyas und ter Weel, Bas (2013). The Importance of Early Conscientiousness for Socio-Economic Outcomes: Evidence from the British Cohort Study, IZA Discussion Paper No. 7537, Institute for the Study of Labor (IZA).

Storck, J. (2013). Hochschulstudium: Nicht ausgeschöpfte Potentiale trotz „Akademisierungswahn“, DIW Roundup Nr. 2, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung,

Viinikainen, J. und  Kokko, K. (2012). Personality traits and unemployment: Evidence from longitudinal data, Journal of Economic Psychology, 33, 1204 – 1222

Weinhardt, M. und Schupp, J. (2011): Multi-Itemskalen im SOEP Jugendfragebogen. DIW Data Dokumentation 60.


Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/111818

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