Pressemitteilung vom 6. September 2018
Studie untersucht Szenarien des Kohleausstiegs in sechs Ländern – In allen Ländern kann zu vertretbaren Kosten auf Kohle verzichtet werden – Sorgfältige Planung und Einbindung aller Stakeholder sind essentiell für den Erfolg des Ausstiegs
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hat sich an einer Vergleichsstudie zu sechs Ländern - Deutschland, Polen, Südafrika, Australien, Indien und China – und ihrem möglichen Weg aus der Kohle beteiligt. Die Studie zeigt, dass Deutschland bei weitem nicht alleine ist: Vor dem Hintergrund der internationalen Klimaverpflichtungen und wachsender Sorgen um Luftqualität und Gesundheit stellt sich - nicht nur in diesen sechs teilweise stark durch Kohleenergie geprägten Ländern - zunehmend die Frage nach der Zukunft dieses Rohstoffes.
Im Rahmen des Projekts „Coal Transitions – Research and Dialogue on the Future of Coal“ koordiniert von Iddri-Sciences Po und finanziert von der dänischen Stiftung KR Foundation wurden seit 2016 sechs Länder, die Kohle produzieren und/oder verbrauchen, intensiv beleuchtet. Die Länderstudien wurden von Forschungseinrichtungen im jeweiligen Land erstellt: neben dem DIW Berlin (Deutschland) waren dies die Australian National University (Australien), University of Cape Town (Südafrika), Institute for Structural Research IBS Warsaw (Polen), Indian Institute of Technology IIT Ahmedabad (Indien) und Tsinghua University Beijing (China). Darüber hinaus untersuchte das DIW Berlin mit dem COALMOD-World-Modell die Auswirkungen von Kohleausstiegsszenarien auf den globalen Markt und die großen Anbieter, insbesondere im Hinblick auf die ökonomische Nachhaltigkeit von weiterer Förderinfrastruktur. In einem Synthesebericht werden die Ergebnisse und Empfehlungen aus allen Arbeiten des Projekts zusammenfasst.
Eine wichtige Erkenntnis der Studie ist, dass der Verzicht auf Kohle in allen untersuchten Ländern nicht nur wünschenswert ist, sondern auch kostenverträglich realisierbar ist; in Südafrika liegen die Kosten eines Energiesystems ohne Kohle sogar niedriger als die Kosten, die ein Festhalten an der Kohle mit sich bringen würde.
Die Analysen zeigen ebenfalls, dass es eine ganze Reihe relevanter Konzepte und Szenarien gibt, die auch Deutschland als Inspiration für die weitere Planung ihres Kohleausstiegs dienen könnten. Die Weichen dafür müssen aber so früh wie möglich gestellt werden, um Wertverluste zu vermeiden und den Strukturwandel sozialverträglich zu gestalten.
„Insgesamt zeigt der Blick über die Grenzen Deutschlands, dass vielen Ländern ähnliche Herausforderungen bevorstehen und dass viele Ansätze, Optionen und Ideen existieren, den Kohleausstieg ökonomisch nachhaltig und sozial verträglich zu gestalten“, fasst der Energieökonom Pao-Yu Oei vom DIW Berlin, einer der Autoren der Studie, zusammen.
Kohlewende dient nicht nur dem globalen Klimaschutz
Der wirtschaftliche und soziale Nutzen der Kohlewende geht weit über den Klimaschutz hinaus. In Indien beispielsweise würde eine geringere Abhängigkeit von Kohlekraft, die Wasser zur Kühlung benötigt, dazu beitragen, Konflikte um Wasser in bestimmen Regionen zu verringern. In China und Indien würde die Reduzierung der Kohlenutzung gleichzeitig die gravierende Luftverschmutzung erheblich reduzieren.
Die Studienautorinnen und –autoren stellen Szenarien vor, die einen kosteneffizienten Ausstieg aus der Kohle bis 2050 für alle sechs Länder aufzeigen. In allen Ländern spielt ein steigender Anteil an erneuerbaren Energien, vor allem an Wind- und Sonnenenergie, bei der Substitution von Kohle die Hauptrolle.
„Um die Transformationskosten der Energiesysteme möglichst gering zu halten, ist es wichtig, dass die Politik in allen betroffenen Ländern die Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien verbessert und hier bestehende Hürden beseitigt“, so Mitautor Jörn Richstein vom DIW Berlin.
Die Frage des Wertverlusts von Vermögenswerten an Produktionsanlagen („stranded assets“), die vor allem Rohstoff- und Energieunternehmen betrifft und gesamtwirtschaftlich von großer Bedeutung sein kann, wurde ebenfalls untersucht und am DIW Berlin modelliert. „Wir empfehlen allen Ländern, Anreize für neue Investitionen in Kohle so frühzeitig wie möglich abzubauen, wie das China und Deutschland de facto bereits praktizieren, um zu vermeiden, dass Vermögen vernichtet wird“, so DIW-Energieökonomin Franziska Holz.
Wandel gemeinsam gestalten – kohärente Strategie statt Einzelmaßnahmen
Ein wichtiger Aspekt beim Kohleausstieg sind die Folgen für Beschäftigte und betroffene Regionen. Die Analyse zeigt, dass es bereits zahlreiche Ideen und Ansätze gibt, wie der Wandel sozialverträglich und zukunftsorientiert gestaltet werden kann.
Dabei gilt es aus positiven und negativen Erfahrungen für zukünftige Transformationsprozesse zu lernen: So sind Weiterbildungsmaßnahmen für Beschäftigte selten zielführend, wenn sie nicht in Kombination mit konkreten Jobperspektiven angeboten werden; auch die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen als Anreiz, Unternehmen in bestimmte Regionen anzusiedeln, war selten ein Erfolg.
Erfolgreich waren in der Vergangenheit dagegen die Ansiedlung öffentlicher Einrichtungen (u.a. Hochschulen), On-the-job Weiterbildung sowie eine Ausrichtung der Bildungsinstitutionen an zukünftigen Bildungsbedürfnissen. Von wesentlicher Bedeutung für den Erfolg der Maßnahmen ist die Einbettung in eine langfristige Strategie und eine möglichst frühe und aktive Gestaltung des Wandels. Dabei ist es wichtig, alle Beteiligten sehr früh in den Prozessen einzubinden und klare Zeithorizonte zu benennen. Ein interessantes Beispiel für einen solchen Ansatz war der Kohleausstieg in der niederländischen Region Limburg, der es durch eine intelligente Kombination vieler Maßnahmen gelang, den Wandel bereits in den 1970-er Jahren erfolgreich zu gestalten.