Direkt zum Inhalt

Wo Deutschland und China wirklich zu protektionistisch sind

Blog Marcel Fratzscher vom 15. März 2018

Dieser Beitrag ist am 15. März bei SPIEGEL ONLINE erschienen.

US-Präsident Donald Trump hat mit seinem Vorwurf, China, Deutschland und andere betrieben Protektionismus, nicht ganz Unrecht. Viele hören es nicht gerne, aber Deutschlands riesiger Leistungsbilanzüberschuss in Höhe von rund acht Prozent der Wirtschaftsleistung ist nicht in erster Linie das Resultat deutscher Exportstärke, sondern der deutschen Import- und Investitionsschwäche. Um einen Handelskonflikt zu vermeiden, der letztlich vor allem Deutschland schaden würde, muss sich die Bundesregierung guten Argumenten öffnen und eigene Schwächen eingestehen.

Ohne Frage verhält sich Donald Trump in seiner Handelspolitik äußerst aggressiv und unklug. Seine Protektionismus-Vorwürfe fußen auf falschen Argumenten – es stimmt schlichtweg nicht, dass Deutschland den Euro manipuliert oder Europa Exporte zu Dumping-Preisen in die USA schickt. Richtig ist aber, dass es noch immer massiven Protektionismus und Manipulationen im Welthandelssystem gibt, was einzelnen Ländern, Sektoren und auch Menschen massiven Schaden zufügt. Daher ist es wichtig, die falschen von den richtigen Argumenten zu trennen.

Es ist mittlerweile Konsens, dass die Globalisierung in einigen Bereichen zu weit gegangen ist. Der türkisch-amerikanische Ökonom Dani Rodrik nennt dies "Hyper-Globalisierung", bei der die Regeln des Welthandelssystems nicht nur liberalisiert, sondern vor allem zugunsten bestimmter Interessengruppen, wie multinationalen Konzernen, verändert wurden.

Trump hat auch nicht Unrecht, wenn er über den Protektionismus in China klagt. Kaum ein anderes Land gewährt den heimischen Unternehmen durch eigene Regeln und Subventionen solch globale Wettbewerbsvorteile und macht gleichzeitig ausländischen Konkurrenten das Leben so schwer, wenn diese in China investieren, produzieren und ihre Produkte verkaufen möchten.

Viele Experten sind sich in dieser Analyse zu China einig, meinen aber, dass die Sache bei Deutschland anders liege. Dabei betreibt auch Deutschland auf seine Weise eine protektionistische Politik, die entscheidend zu den riesigen Handelsüberschüssen beiträgt. Problematisch sind dabei nicht zu hohe Exporte, sondern die Regulierung zahlreicher Dienstleistungssektoren und unzählige andere Hindernisse: eine ineffiziente Bürokratie, Unsicherheit bei der Energiewende, lange Genehmigungsverfahren, ein zunehmender Fachkräftemangel, hohe Hürden für die Finanzierung von Start-ups und eine schlechte Verkehrs- und digitale Infrastruktur.

All das macht es wenig attraktiv für Unternehmen, in Deutschland zu investieren. Geringere Investitionen führen in der Folge zu niedrigeren Importen, weniger Wachstum und letztlich zu einem höheren Überschuss der Leistungsbilanz. Wenn der Internationale Währungsfonds (IWF), die Europäischen Kommission und vieler andere das kritisieren, stoßen sie in Deutschland jedoch auf taube Ohren.

Die deutschen Steuern wirken protektionistisch

Auch die deutsche Steuerpolitik ist eine Art von Protektionismus. Kleine Unternehmen haben häufig das Nachsehen gegenüber großen Konzernen, die ihre Steuerlast ins Ausland verlagern können. Auch werden im internationalen Vergleich in Deutschland die Arbeitseinkommen recht stark und die Vermögenseinkommen ungewöhnlich gering besteuert, was letztlich nicht nur die wirtschaftliche und gesellschaftliche Polarisierung verstärkt, sondern auch den privaten Konsum reduziert.

Bessere Investitionsbedingungen und ein klügeres Steuer- und Transfersystem in Deutschland würden Unternehmen dazu veranlassen, wieder mehr in Deutschland zu investieren. Dadurch würden Innovation, Produktivität und Wachstumspotential der deutschen Wirtschaft gestärkt. Schneller steigende Löhne würden einen zusätzlichen Nachfrageimpuls geben und der Handelsüberschuss könnte sinken, denn mehr inländische Nachfrage zieht mehr Importe nach sich.

Mittel- bis langfristig wäre IWF-Berechnungen zufolge ein "gesunder" Leistungsbilanzüberschuss von drei bis vier Prozent der Wirtschaftsleistung möglich – anstelle von rund acht Prozent wie derzeit. Davon würde nicht nur Deutschland wirtschaftlich profitieren, sondern auch der schädliche Konflikt um die deutschen Exportüberschüsse endlich beigelegt.

Deutschland sollte die Kritik an seinen Handelsüberschüssen ernst nehmen, denn sie ist im Kern gerechtfertigt. Etwas mehr Selbstkritik und die Einsicht, dass die deutsche Wirtschaftspolitik trotz der ökonomischen Stärke nicht unfehlbar ist, stände Deutschland gut zu Gesicht. Die neue Bundesregierung sollte auf die europäischen und amerikanischen Partner zugehen, um sich gemeinsam für einen fairen Welthandel einzusetzen und einen offenen Handelskonflikt zu verhindern.

Themen: Märkte

keyboard_arrow_up