Von Martin Gornig
Leistungsfähige Infrastrukturen – unter anderem Straßen, Brücken, Strom und digitale Netze – sind zentrale Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit und die Wachstumspotentiale eines Landes. Dies gilt gerade für eine technologisch führende Volkswirtschaft wie Deutschland mit relativ hohen Steuern und Löhnen: Da das Land nicht mit einer billigen Arbeitskraft punkten kann, ist eine gute Infrastruktur als komparativer Vorteil umso bedeutender. Im internationalen Vergleich ist Deutschland im Durchschnitt mit Infrastrukturen gut ausgestattet.[1] Aber nicht alleine die Menge zählt, sondern auch die Qualität und der richtige bedarfsorientierte Zuschnitt der Infrastruktur. An diesem Punkt scheiden sich in Deutschland die Geister:[2] Sind unsere Infrastrukturen leistungsfähig? Wurde und wird in sie genug investiert? Ein Überblick der verschiedenen Kennzahlen zum Umfang und vor allem zur Qualität der Infrastruktur zeigt, dass das nicht der Fall ist: Deutschland investiert zu wenig in seine Infrastruktur und gefährdet damit seinen Wohlstand ebenso wie seinen regionalen Zusammenhalt. Um dem entgegen zu wirken, kommt es gerade jetzt, wo die finanziellen Spielräume der öffentlichen Hand wieder geringer werden,[3] darauf an, für die Finanzierung insbesondere kommunaler Investitionen ein sicheres Fundament zu schaffen.
Für die Einschätzung der Gesamtmenge an Infrastruktur gibt es einfache Maße. Dem Umfang der staatlichen Infrastruktur kann man sich durch das Bruttoanlagevermögen der Gebietskörperschaften annähern. Hier fließen alle öffentlichen Gebäude (Schulen, Verwaltungsgebäude, Museen) ein, alle Verkehrswege und Netze, die dem Staat im weitesten Sinne gehören. Dieses Bruttoanlagevermögen wächst Jahr für Jahr und würde nur schrumpfen, wenn mehr Infrastruktur zerstört oder verschrottet würde, als Bruttoinvestitionen getätigt werden. Das tritt nur im Fall von Krieg oder Naturkatastrophen ein.
Schwieriger ist es, wenn es um die Angemessenheit, also um die Qualität und Struktur von Infrastruktur geht. Auf große Defizite weist hier anekdotische Evidenz zum Zustand von Straßen und Schulgebäuden oder zur Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung hin. Auch Befragungen im Rahmen des KfW-Kommunalpanels zum Investitionsbedarf weisen seit Jahren immer höhere Werte aus. Für 2018 wurde der Spitzenwert von fast 160 Milliarden Euro gemeldet. Bei allen Vorteilen, die eine Befragung der konkret handelnden und verantwortlichen Personen vor Ort besitzt, besteht allerdings bei den Ergebnissen eine gewisse Verzerrungsgefahr. So ist nicht auszuschließen, dass ein gewisses strategisches Antwortverhalten und Selbstverstärkungseffekte zum Tragen kommen.
Ein objektiv nachvollziehbarer Orientierungspunkt für die Abschätzung des Investitionsbedarfs sind die Abschreibungen auf die öffentliche Infrastruktur. Die Abschreibungen sind eine kalkulatorische Größe, die den Wertverzehr einer Infrastruktureinrichtung über ihre Lebensdauer abbilden soll. Es kann sein, dass die öffentliche Hand punktuell in einem bestimmten Jahr mehr abschreiben muss, als sie in der Infrastruktur investiert: Die Nettoinvestitionen sind dann negativ. Passiert das über mehrere Jahre hinweg, so wird der Werteverzehr des Anlagevermögens nicht ausgeglichen. In diesem Sinne sind negative Nettoinvestitionen ein Indikator dafür, dass der öffentliche Kapitalstock, also die öffentliche Infrastruktur, verschlissen wird bzw. mehr und mehr veraltet.
In Deutschland weist das Statistische Bundesamt die Nettoinvestitionen nach Sektoren und Gebietskörperschaften seit dem Jahr 1991 aus (Abbildung 1).
Die Nettoinvestitionstätigkeit des Staates war in den 1990er Jahren, unmittelbar nach der Wiedervereinigung, sehr rege. Seitdem ist sie deutlich zurückgegangen und ist sogar seit der Jahrtausendwende teilweise negativ. Vor allem die Kommunen haben ihren Kapitalstock nicht erweitert beziehungsweise dessen Erhalt nicht gewährleistet: Seit 2003 waren ihre Investitionen per Saldo negativ. 2012 bis 2017 übersteigen die Abschreibungen die Bruttoinvestitionen jährlich um über fünf Milliarden Euro. Auch aktuelle Zahlen zeigen kaum Besserung: Im Jahr 2018 investierten die Kommunen in Deutschland gut vier Milliarden Euro weniger, als sie Abschreibungen auf ihren Kapitalstock tätigten.
Einen anderen, objektiv nachvollziehbaren Hinweis auf den Zustand der Infrastruktur erhält man durch den Bezug der Bruttoinvestitionen auf das vorhandene Anlagevermögen. Diese Relation gibt den Anteil neuer Anlagen am Anlagenbestand an. Sie lässt sich somit als einen Indikator für den Modernitätsgrad interpretieren. Werden Investitionen in Ausbau und Modernisierung unterlassen und lediglich Ausgaben für die Instandhaltung der Infrastruktur getätigt, veraltet diese mehr und mehr. Ist der Anteil neuer Anlagen dagegen hoch, dürfte auch das technologische Niveau der Infrastruktur hoch sein.
Als Indikator für die Veränderung des Modernitätsgrades wurden die Anteile der Bruttoinvestitionen eines Jahres in Prozent des zum Jahresende des Vorjahres vorhandenen Kapitalstocks berechnet (Abbildung 2). Demnach halbierte sich die Erneuerungsrate bzw. der Modernitätsgrad bei den kommunalen Infrastrukturen zwischen 1991 und 2005 von fast vier Prozent auf weniger als zwei Prozent. Seinen Tiefpunkt erreicht die Erneuerungsrate bei der kommunalen Infrastruktur 2012. Der Anteil der aktuellen Investitionen betrug dann zum Vorjahresende nur noch 1,5 Prozent des Kapitalstocks.
War Anfang der 1990er Jahre die Erneuerungsrate bei den Gemeinden noch ähnlich hoch wie beim Bund, ist sie heute in den Kommunen deutlich niedriger. Auch gegenüber dem Modernitätsgrad der Bundesländer sind die Gemeinden immer weiter zurückgefallen. 2018 ist die Modernitätsrate in den Gemeinden nur halb so hoch wie bei Bund und Ländern.
Jeder einzelne der hier verwendeten Indikatoren zur Abbildung von Qualität und Angemessenheit der Infrastrukturausstattung besitzt sicherlich seine methodischen wie messtechnischen Schwächen. Zusammengenommen laufen sie aber alle in die gleiche Richtung: Die geringe Investitionstätigkeit des Staates führt zu einer schleichenden Überalterung der öffentlichen Infrastruktur, insbesondere in den Kommunen.
Leistungsfähige kommunale Infrastrukturen sind aber nicht nur eine wesentliche Voraussetzung für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und die Schaffung von Wachstumspotentialen.[4] Unter dem Blickwinkel gleichwertiger Lebensbedingungen ist die kommunale Infrastrukturausstattung vor allem auch Teil der Daseinsvorsorge.[5] Von zentraler Bedeutung ist die Sicherung der Versorgung der Bürger mit öffentlichen Gütern im weiteren Sinne. Hierunter fallen insbesondere Infrastrukturen und Einrichtungen aus dem Bereich Bildung, Soziales, Gesundheit und Verkehr. Mangelnde Infrastrukturinvestitionen gefährden so nicht nur die mittelfristigen wirtschaftlichen Entwicklungschancen der Regionen, sondern auch unmittelbar die Versorgungssicherheit und Zufriedenheit der Bevölkerung.
Eine Trendwende ist also dringend erforderlich. Sie wird weder durch Konjunkturprogramme noch durch einzelne Bundesinitiativen gelingen. Verbesserungen der Bildungsinfrastruktur oder im sozialen Wohnungsbau, wie zuletzt im Jahr 2018 im Bundestag beschlossen, sind sicherlich wichtig. Das Investitionsdefizit der Gemeinden betrifft aber die gesamte Breite kommunaler Infrastrukturen. In welchen Bereichen, in welcher Kommune welche Investitionsprojekte vordringlich angegangen werden sollen, kann nur vor Ort entschieden werden. Zudem erhöhen solche Bundesinitiativen nicht die langfristige Planungssicherheit und motivieren die Kommunen nicht, dauerhaft ihre Bau- und Planungskapazitäten wieder zu erhöhen.[6]
Gefragt sind langfristig angelegte Regelwerke, die eine dauerhafte Erhöhung der Investitionsspielräume finanzschwacher Kommunen ermöglichen. Einen Ansatzpunkt stellt die Weiterentwicklung der vorhandenen Bund-Länder Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) und „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) dar. Die GRW müsste beispielsweise so umgebaut werden, dass gezielt eine größere Zahl von bedürftigen Kommunen von den Kofinanzierungsmitteln des Bundes und der Länder profitieren kann. Im Rahmen der GRW geht es auch darum, die bisherige enge Bindung allein an wirtschaftsnahe Infrastrukturen aufzulösen, um die gesamte Breite kommunaler Investitionen fördern zu können.[7] Alternativ könnte auch eine neue Gemeinschaftsaufgabe ins Auge gefasst werden. Bei diesem Vorschlag steht die Sicherung der regionalen Daseinsvorsorge im Mittelpunkt. Die Eckpunkte würden dabei von Bund und Ländern gemeinsam formuliert und finanziert. Die Umsetzung erfolgt durch die Kommunen.[8] Für die Finanzierung könnten auch freiwerdende Mittel aus dem Solidaritätszuschlag verwendet werden.
[1] World Economic Forum (2018): The Global Competitiveness Report (online verfügbar, abgerufen am 10. Mai 2019. Dies gilt sofern nicht anders vermerkt auch für alle anderen Onlinequellen in diesem Bericht).
[2] Michael Grömling, Michael Hüther und Markos Jung (2019): Verzehrt Deutschland seinen staatlichen Kapitalstock? Wirtschaftsdienst 99, Heft 1, 25-31; Martin Gornig (2019): Infrastrukturinvestitionen statt Subventionen. Wirtschaftsdienst 99, Supplement 1, 44-48.
[3] Bundesministerium der Finanzen (2019): Ergebnisse der 155. Sitzung des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ vom 7. bis 9. Mai 2019 in Kiel. Pressemitteilung vom 9. Mai 2019 (online verfügbar).
[4] Siehe hier exemplarisch David Alan Aschauer (1989): Is public expenditure productive? Journal of Monetary Economics 23.2, 177-200.
[5] Vgl. Akademie für Raumforschung und Landesplanung (2016): Daseinsvorsorge und gleichwertige Lebensverhältnisse neu denken – Perspektiven und Handlungsfelder. Positionspapier aus der ARL 108 (online verfügbar).
[6] Siehe Martin Gornig und Claus Michelsen (2017): Kommunale Investitionsschwäche: Engpässe bei Planungs- und Baukapazitäten bremsen Städte und Gemeinden aus. DIW Wochenbericht Nr. 11, 211-219 (online verfügbar).
[7] Siehe Expertenkommission „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ (2015): Abschlussbericht (online verfügbar).
[8] Vgl. Jens Kersten, Claudia Neu und Berthold Vogel (2015): Regionale Daseinsvorsorge - Begriff, Indikatoren, Gemeinschaftsaufgabe. WISO Diskurs Januar 2015 (Gutachten im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung) (online verfügbar).
Themen: Verkehr, Regionalwirtschaft, Öffentliche Finanzen, Konjunktur
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/196847