DIW Wochenbericht 12 / 2020, S. 248
get_appDownload (PDF 85 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 4.2 MB)
Die Deutschen nehmen viel zu viel Zucker zu sich. Hoher Zuckerkonsum gilt als wesentliche Ursache für den seit Jahren zunehmenden Anteil übergewichtiger Menschen. Im Jahr 2017 waren die Hälfte der Erwachsenen und jedes siebte Kind in Deutschland übergewichtig. Die gesundheitlichen Folgen von übermäßigem Zuckerkonsum reichen von Typ II Diabetes über koronare Herzerkrankungen bis zu Zahnkaries. Nichtsdestotrotz ist der Gesetzgeber in Deutschland bislang kaum tätig geworden, wenn es darum geht, hohen Zuckerkonsum einzuschränken.
Dabei zeigen andere Länder, dass es durchaus Handlungsoptionen gibt. Eine Vielzahl von Ländern hat Steuern auf zuckergesüßte Getränke eingeführt, darunter Mexiko, Großbritannien, Frankreich, Norwegen und Finnland. Softdrinks und Limonaden stehen im Fokus, da sie in der Regel keine Nährstoffe enthalten, kein Sättigungsgefühl erzeugen und daher einen „unnötigen“ Mehrkonsum von Zucker bedeuten. Zudem werden sie insbesondere von Kindern und Jugendlichen konsumiert, die die Langzeitfolgen nicht immer berücksichtigen dürften. Obwohl Deutschland europaweit das Land ist, in dem die meisten Softdrinks pro Kopf getrunken werden, hat Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) die Wirkung einer Steuer bislang bezweifelt.
Die meisten Evaluationen von Steuern in anderen Ländern zeigen hingegen, dass Softdrinksteuern wirken. In Mexiko hat die Steuer die Preise um zehn bis 14 Prozent erhöht. Die Käufe sind nach der Steuereinführung um durchschnittlich sechs Prozent im ersten Jahr und um zehn Prozent im zweiten Jahr gesunken. In Dänemark hat eine Steuererhöhung auf Softdrinks die Preise um elf Prozent erhöht, woraufhin die Käufe um 13 Prozent gesunken sind. Auch in den USA haben Steuern in einer Reihe von Städten wie Philadelphia und Berkeley zu einem Rückgang im Konsum geführt.
Doch welche Konsumentinnen und Konsumenten reduzieren den Konsum besonders? Wirken die Steuern also an der richtigen Stelle? Die Antwort ist: teils, teils. Eine Studie mit britischen Daten zeigt, dass Jugendliche auf Preisanreize stärker reagieren als ältere Menschen. Der Effekt wäre somit an der richtigen Stelle eingetreten. Jedoch reagieren Konsumentinnen und Konsumenten, die viel Zucker zu sich nehmen, weniger stark. Dies relativiert die Wirkung der Steuer. Studien mit amerikanischen und mexikanischen Daten haben zudem gezeigt, dass ärmere Menschen ihren Softdrinkkonsum stärker reduzieren, wenn Steuern eingeführt werden. Gerade ärmere Menschen leiden aber auch häufiger unter Übergewicht und profitieren daher besonders von einer Reduktion des Zuckerkonsums.
Besonders vielversprechend an einer Zuckersteuer ist jedoch, dass sie den Produzenten ökonomische Anreize geben kann, ihre Produkte weniger gesundheitsschädlich zu machen. In Deutschland setzt die Politik dazu bislang auf die freiwillige Selbstverpflichtung der Produzenten. Die Softdrinksteuer im Vereinigten Königreich zeigt jedoch, dass eine Steuer diesen Prozess beschleunigen kann. Im Jahr 2018 hat das Vereinigte Königreich eine nach Zuckergehalt gestaffelte Steuer eingeführt. Viele Produzenten haben mit einer deutlichen Zuckerreduktion reagiert, um unter eine niedrigere Steuerrate zu fallen.
Eine Softdrinksteuer wirkt also sowohl bei Konsumentinnen und Konsumenten als auch bei Produzenten, sie wird die Probleme mit Fehlernährung und Übergewicht jedoch nicht im Alleingang lösen. Um einen Bewusstseinswandel im Hinblick auf Fehlernährung zu erreichen, benötigt es weiterer Maßnahmen. Vielversprechend ist die Lebensmittelampel, die dieses Jahr in Deutschland endlich genehmigt werden soll, die aber verpflichtend gemacht werden müsste, um effektiv zu sein. Darüber hinaus sollte über ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel nachgedacht werden. Nach dem Vorbild von Tabakprodukten könnten auch Warnhinweise auf den Verpackungen von Süßigkeiten und Limonaden über die Folgen von hohem Zuckerkonsum informieren. Wie auch immer die Maßnahmen gestaltet sind, feststeht, dass entschiedenes politisches Handeln gefordert ist.
Eine längere Fassung des Beitrags ist am 8. März 2020 in „Sonntag“, der Wochenendbeilage der Ostsee-Zeitung und anderer Lokalzeitungen des RND-Netzwerks, erschienen.
Themen: Steuern
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-12-6
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/219360