DIW Wochenbericht 15/16 / 2020, S. 283-294
Dorothea Schäfer, Michael Stöckel, Henriette Weser
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„SBBS würde als neuer diversifizierter Staatsanleihetyp die Anleihen mehrerer Euroländer bündeln. Eine solche Anleihe wäre das erste wirklich länderübergreifende und sichere europäische Wertpapier, in das Banken investieren könnten. Davon würden sowohl diese als auch die Staaten profitieren – eine klassische Win-Win-Situation.“ Dorothea Schäfer
Wenn Staaten und Banken gegenseitig zu abhängig voneinander sind, leidet die Stabilität des gesamten Finanzsystems. Das war eine Lehre aus der Finanz- und Staatsschuldenkrise im Euroraum. Mehr als zehn Jahre nach deren Beginn scheint es jedoch nicht gelungen, die ungünstige Verquickung von Banken und Staaten zu reduzieren: Der sogenannte Home Bias ist, wie dieser Wochenbericht zeigt, noch immer stark ausgeprägt. Viele europäische Banken tendieren nach wie vor dazu, vorwiegend Staatsanleihen ihres Heimatlandes zu kaufen. Als eine Lösungsmöglichkeit wird angesehen, dass Banken Staatsanleihen in ihren Bilanzen künftig mit Eigenkapital hinterlegen müssen – bisher ist das nicht erforderlich, da die Staatstitel regulatorisch als risikolos gelten, was sie gleichwohl nicht sind. Wie weitergehende Berechnungen in diesem Bericht zeigen, wäre eine solche Reform jedoch für viele Banken mit einem erheblichen Kapitalbedarf verbunden und könnte den Euroraum ins Wanken bringen – zumal das Problem des Home Bias sogar noch verstärkt werden würde. Deshalb müsste eine künftige Kapitalunterlegungspflicht für Staatsanleihen mindestens von weiteren Maßnahmen begleitet werden, beispielsweise der Einführung eines neuen, diversifizierten Staatsanleihetyps.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat Anfang Juli 2019 signalisiert, zur Einführung der einheitlichen europäischen Versicherung für Bankeinlagen (EDIS, European Deposit Insurance Scheme) bereit zu sein. Bislang besteht die Bankenunion aus nur zwei Säulen, dem einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) und dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM und BRRD)Der SRM (Single Resolution Mechanism) gilt für den Euroraum. BRRD (Banking Recovery and Resolution Directive) ist das Äquivalent für die Europäische Union.. EDIS würde die Bankenunion komplettieren.Vgl. Ruth Berschens (2019): Scholz’ Vorstoß zur EU-Einlagensicherung kommt in Brüssel gut an. Handelsblatt vom 7. November (online verfügbar; abgerufen am 25. März 2020. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Bislang gibt es allerdings noch keine einheitliche deutsche Position, denn der Koalitionspartner CDU/CSU steht der Einführung weiterhin skeptisch gegenüber. Überraschenderweise hat das Bundesfinanzministerium die Einführung von EDIS mit risikogewichteten Kapitalanforderungen für Staatsanleihen verknüpft. Bisher müssen Banken für Staatsanleihen, die sie in ihren Wertpapierbeständen halten, kein Eigenkapital als Risikovorsorge hinterlegen – Staatspapiere werden regulatorisch quasi als risikolos betrachtet, was sie de facto natürlich nicht sind. Ein eigentlich im Jahr 2017 schon ad acta gelegter, weil vom Baseler Ausschuss abgelehnter Regulierungsvorschlag wird mit dem EDIS-Vorstoß also erneut auf die Agenda gesetzt.
Ein wesentlicher Grund dafür ist der sogenannte Staaten-Banken-Nexus. Dieser Begriff beschreibt die starke gegenseitige Abhängigkeit der Solvenz von Banken und Staaten. Banken haben in der Vergangenheit stark dazu tendiert, überproportional viele Staatsanleihen ihres jeweiligen Heimatlandes zu erwerben.Vgl. Dominik Meyland und Dorothea Schäfer (2018): EU-Staatsanleihen in Bankbüchern: Home Bias allgegenwärtig, aber Eigenkapitalbedarf sehr unterschiedlich. DIW Wochenbericht Nr. 49, 1043–1051 (online verfügbar); sowie Dominik Meyland und Dorothea Schäfer (2017): Risikogewichtung für EU-Staatsanleihen: Herausforderung für italienische Banken. DIW Wochenbericht Nr. 28, 575–582 (online verfügbar). Diese Neigung wird als Home Bias bezeichnet. Die Staaten-Banken-Verflechtung ist besonders ausgeprägt, wenn der Home Bias hoch ist. Mit der Reform der Risikogewichtung von Staatsanleihen ist daher oft die Hoffnung verbunden, die Neigung der Banken zum Home Bias zu zügeln. Der Anreiz zu einem starken Home Bias hängt jedoch nicht nur vom Kapitalprivileg für Staatsanleihen ab.
Um abschätzen zu können, inwieweit der im Rahmen der EDIS-Initiative gemachte Reformvorschlag von Bundesfinanzminister Scholz geeignet ist, den Home Bias und damit den Staaten-Banken-Nexus zu entschärfen, ist zunächst eine Quantifizierung des Home Bias notwendig (Kasten 1). Im zweiten Schritt lassen sich dann die potentiellen Kapitalbedarfe für die Banken ermitteln (Kasten 2). Anhand derer kann beurteilt werden, ob mit der angestrebten Kapitalunterlegungspflicht starke Anreize für Banken gesetzt werden, den Home Bias zu reduzieren und die Diversität des eigenen Staatsanleiheportfolios zu erhöhen. Auf Basis der erhaltenen Befunde lässt sich schließlich auch die Zielgenauigkeit alternativer Vorschläge zur besseren Streuung der Staatsanleiheportfolios in den Bankbüchern überprüfen.
Neben den Stresstests führt die European Banking Authority (EBA) seit 2011 regelmäßig sogenannte Transparency Exercises (TEs) mit europäischen Banken durch. Dabei werden auch deren Investitionen in Staatsanleihen erhoben und veröffentlicht.
Für diesen Bericht werden die TEs der Jahre 2016 und 2018 verwendet.Der Erhebungszeitraum von TE 2016 liegt zwischen 31. Dezember 2015 und 30. Juni 2016 (online verfügbar), der von TE 2018 zwischen 31. Dezember 2017 und 30. Juni 2018 (online verfügbar). Untersucht wird das Engagement der Banken mit Blick auf Staatsanleihen zu den Stichtagen 31. Dezember 2015 und 30. Juni 2018. Die TE 2016 umfasst Banken aus 19 Ländern, die TE 2018 Banken aus 23 Ländern. Die Analyse beschränkt sich auf jene Staaten, die an beiden TEs teilgenommen haben. Neben den bankindividuellen Daten aus den TEs wird jeweils auch das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU-Mitgliedstaaten herangezogen (Tabelle).Die BIP-Daten sind der Global-Economic-Monitor-Datenbank der Weltbank entnommen. Die EBA-Datenbasis enthält keine Bilanzsummen. Diese sind den Geschäftsberichten der einzelnen Banken zu den beiden Stichtagen entnommen.Auch andere webbasierte Quellen wurden herangezogen in Fällen, in denen keine Geschäftsberichte verfügbar waren. Bilanzsummen von Banken außerhalb des Euroraums werden mit Hilfe der Referenzkurse der EZB umgerechnet.Vgl. Europäische Zentralbank: Euro foreign exchange reference rates (online verfügbar).
In Millionen Euro2
Land1 | 2015 | 2018 | Zunahme (in Prozent) |
---|---|---|---|
Belgien | 418728 | 457709 | 9,3 |
Bulgarien | 46060 | 54822 | 19,0 |
Dänemark | 278085 | 302524 | 8,8 |
Deutschland | 3083156 | 3406376 | 10,5 |
Finnland | 213846 | 234608 | 9,7 |
Frankreich | 2239260 | 2395798 | 7,0 |
Griechenland | 180269 | 187296 | 3,9 |
Vereinigtes Königreich | 2659648 | 2422400 | −8,9 |
Irland | 267352 | 323829 | 21,1 |
Italien | 1681578 | 1799977 | 7,0 |
Luxemburg | 52512 | 58683 | 11,8 |
Niederlande | 702903 | 779111 | 10,8 |
Österreich | 350661 | 390068 | 11,2 |
Portugal | 183146 | 204296 | 11,5 |
Schweden | 457078 | 486876 | 6,5 |
Slowakei | 39415 | 45940 | 16,6 |
Spanien | 1101223 | 1223662 | 11,1 |
Ungarn | 112827 | 132290 | 17,3 |
Zypern | 18076 | 20924 | 15,8 |
EU insgesamt | 15078284 | 16086250 | 6,7 |
1 In der Stichprobe sind keine Banken aus Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Rumänien, Slowenien und Tschechien enthalten.
2 Die Dollarwerte sind mit dem Dollar/Euro-Wechselkurs zu den beiden Stichtagen umgerechnet. Der Rückgang des britischen Bruttoinlandsprodukts ist auf die Verschlechterung des Wechselkurses zwischen Dollar und Britischem Pfund zurückzuführen.
Quelle: Weltbank.
EU-Staatsanleihen machen einen substantiellen Anteil der Bilanzsumme von Banken aus (Abbildung). Ein Home Bias liegt vor, wenn im gesamten EU-Staatsanleiheportfolio der Bank () überproportional viele Anleihen des eigenen Sitzlandes () vorhanden sind.Die Capital Requirement Regulation (CRR), Artikel 114(4), erlaubt es, Staatsanleihen, die in eigener Währung herausgegeben werden, ein Null-Risikogewicht beizulegen. Damit sind alle Staatsanleihen und auch Kredite von Banken an die Euroraum-Mitgliedstaaten im Standardansatz von der Risikogewichtung freigestellt. Das Risikogewicht von null gilt im Rahmen des sogenannten „permanent partial use“ (CRD IV) auch für jene Banken, die den Internal-Risk-Based-Ansatz nutzen und daher eigentlich das Risiko der Staatsanleihen mit eigenen Modellen schätzen müssten. Hinzu kommt, dass Banken EU-Staatsanleihen nicht unterlegen müssen, wenn die nationale Regulierungsbehörde des betreffenden EU-Staates die Anwendung eines Risikogewichts von null für die in eigener Währung begebenen Staatsanleihen erlaubt. Die Kombination aus diesen Regulierungen führt dazu, dass EU-Banken generell keine Eigenmittel nachweisen müssen, wenn sie in EU-Staatsanleihen investieren oder Kredite an Staaten und Gebietskörperschaften vergeben, vgl. Europäischer Stabilitätsmechanismus (2016): Tackling sovereign risk in European banks (online verfügbar). Referenzgröße für die Überproportionalität ist der Anteil der Wirtschaftskraft des Sitzlandes () an der gesamten Wirtschaftskraft aller EU-Staaten ().Zur Konstruktion des Referenzportfolios können Anteile des BIP herangezogen werden, vgl. Isabel Schnabel und Ulrich Schüwer (2016): What Drives the Relationship between Bank and Sovereign Credit Risk? German Council of Economic Experts. Working Paper 07/2016; aber auch Anteile der Staaten an der Gesamtverschuldung der EU-Staaten, vgl. Kenneth R. French und James M. Poter-ba (1991): Investor Diversification And International Equity Markets. American Economic Review 81(2), 222–226. Dementsprechend gilt:Zur Berechnung des Anteils der eigenen Volkswirtschaft an der Wirtschaftskraft der EU wird für den ersten Stichtag das BIP des Jahres 2015 herangezogen. Beim zweiten Stichtag 30. Juni 2018 werden die aggregierten BIP-Quartalsdaten für den Zeitraum vom 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2018 verwendet.
Theoretisch kann der Home Bias Ausprägungen zwischen null und unendlich annehmen. Bei einem Wert von null besitzt die Bank keinerlei inländische Staatsanleihen. Ein Wert größer als eins zeigt, dass die Bank mehr heimische Staatsanleihen in ihrem Staatsanleiheportfolio hält als es dem wirtschaftlichen Gewicht ihres Heimatlandes in der EU entspricht. Ist beispielsweise der Anteil der heimischen Anleihen am gesamten Staatsanleiheportfolio doppelt so hoch wie der Anteil des nationalen BIP am Gesamt-BIP der Europäischen Union, nimmt der Indikator den Wert von zwei an. Je höher der Home Bias ausfällt, desto stärker ist die Solvenz der Bank mit der Solvenz des Staates verflochten.
Um den Vergleich auf Länderebene herstellen zu können, werden die Werte pro Bank zu einem durchschnittlichen Home Bias der heimischen Banken pro Mitgliedstaat zusammengefasst. Neben dem einfachen wird auch ein gewichteter durchschnittlicher Home Bias berechnet. Die Gewichtung fußt auf dem Anteil der Bilanzsumme einer Bank an der Gesamtbilanzsumme aller Banken des betreffenden Staates und trägt damit der unterschiedlichen Größe beziehungsweise Systemrelevanz der einzelnen Banken Rechnung.
Der einfache Durchschnitt wird pro Mitgliedstaat gemäß
errechnet, wobei i für die einzelne Bank und N für die Anzahl der beteiligten Banken des Mitgliedstaates stehen, für die eine Bilanzsumme verfügbar war.
Der gewichtete Durchschnitt ergibt sich gemäß
In Ländern, in denen für eine oder mehrere Banken die Daten zur Bilanzsumme fehlen, wird der gewichtete Durchschnitt nur auf Basis der Banken mit vollständigen Bilanzdaten errechnet. Nimmt beispielsweise ein Land mit sieben Banken an der TE teil und fehlen für zwei dieser sieben Banken die Bilanzsummen, wird die aggregierte Bilanzsumme nur für die fünf Banken mit vollständigen Daten errechnet. Der Gewichtungsfaktor ergibt sich dann als Anteil der jeweiligen Bank mit vollständigen Daten an der aggregierten Bilanzsumme der fünf Banken.
Gemäß Basel III und der daraus abgeleiteten europäischen Regulierung CRR/CRD IV müssen Banken ihre Investitionen teilweise mit Bankkapital finanzieren. Unter der Annahme, dass dies nach erfolgter Reform auch für Staatsanleihen gilt, ergibt sich der Kapitalbedarf (KB) durch
.
Der Gesamtwert der Staatsanleihen eines europäischen Landes i in den Büchern der Bank, , wird mit dem Risikogewicht und der Kapitalanforderung von acht Prozent multipliziert.In Basel III kann die Quote von acht Prozent der risikogewichteten Aktiva durch eine Mischung aus Eigenkapital, zu Eigenkapital umwandelbaren Fremdkapitalinstrumenten und langfristigem, nachrangigem Fremdkapital erfüllt werden. Aufgrund dieses Mischcharakters verwendet die Regulierung den Begriff Eigenmittel (anstelle von Eigenkapital). Eigenmittel bestehen aus Tier-1- und Tier-2-Kapitalinstrumenten. Mindestens sechs Prozent müssen Kernkapital (Tier 1) sein. Das Kernkapital setzt sich seinerseits aus hartem Kernkapital von 4,5 Prozent (Core Tier 1 oder Common Equity Tier 1 in Form von eingezahltem Eigenkapital und offenen Rücklagen) und zusätzlichem Kernkapital von mindestens 1,5 Prozent zusammen. Zu letzterem gehören auch die mit Basel III eingeführten bedingten Pflichtwandelanleihen (contingent convertible bonds oder auch CoCos genannt). Das Ergänzungskapital (Tier 2) kann auch aus Fremdkapital bestehen, allerdings muss dieses dann für mindestens fünf Jahre eingezahlt und nachrangig sein, vgl. Deutsche Bundesbank (2019): Eigenmittel (online verfügbar). Folgt die zukünftige Kapitalunterlegung bei Staatsanleihen dem Standardansatz (Abbildung), bestimmt das Rating der Staaten die Höhe des Risikogewichts.Der Standardansatz ordnet jeder Ratingkennziffer ein festes Risikogewicht zu. Die Banken haben hier keinen diskretionären Spielraum, da zur Bestimmung von Ausfallwahrscheinlichkeit und Risikogewicht keine bankinternen Risikomodelle zum Einsatz kommen. Eine Investition in Anleihen eines Staates mit einem Rating von BB+ würde aufgrund des beizulegenden Risikogewichts von 100 Prozent Kapital in Höhe von acht Prozent der Investitionssumme erfordern. Das momentan geltende Risikogewicht erlaubt es den Banken hingegen, alle Käufe von Staatsanleihen aus EU-Mitgliedstaaten ohne Verlust tragendes Bankkapital und damit zu 100 Prozent mit Fremdkapital zu finanzieren.Auch bei Krediten an Staaten oder Gebietskörperschaften gilt das Null-Risikogewicht.
Die drei großen Ratingagenturen veröffentlichen für jeden EU-Mitgliedstaat regelmäßig Ratings, die verwendet werden können, um den zusätzlichen Kapitalbedarf von Banken bei Abschaffung des Kapitalprivilegs abzuschätzen. Zur Ermittlung des Risikogewichts zu den jeweiligen Stichtagen werden hier die Ratingkennziffern der Agentur Fitch herangezogen. Eine Reihe von Staaten wies Mitte des Jahres 2018 ein weitaus besseres Rating auf als Ende 2015. Bei etlichen Staaten sind die Heraufstufungen allerdings nicht stark genug, um auch das Risikogewicht verändern zu können (Tabelle). Im Falle von Griechenland, Portugal, Spanien und Ungarn schlägt sich die Ratinganpassung aber auch in einem niedrigeren Risikogewicht für deren Staatsanleihen nieder.
In Millionen Euro
Land | 2015 | 2018 |
---|---|---|
Belgien | AA | AA− |
Bulgarien | BBB− | BBB |
Dänemark | AAA | AAA |
Deutschland | AAA | AAA |
Finnland | AAA | AA+ |
Frankreich | AA | AA |
Griechenland | CCC | B |
Irland | A+ | A+ |
Italien | BBB+ | BBB |
Luxemburg | AAA | AAA |
Niederlande | AAA | AAA |
Österreich | AA+ | AA+ |
Portugal | BB+ | BBB |
Schweden | AAA | AAA |
Slowenien | A+ | A+ |
Spanien | BBB+ | A− |
Vereinigtes Königreich | AA+ | AA |
Ungarn | BB+ | BBB− |
Zypern | B+ | BB+ |
Anmerkung: Staatsanleihen der grün hinterlegten Länder würden auch künftig nicht risikogewichtet, müssten also weiterhin von den Banken nicht mit Eigenkapital unterlegt werden.
Quelle: Fitch Ratings.
Der durchschnittliche zusätzliche Kapitalbedarf pro Bank eines Mitgliedstaates ergibt sich durch Gewichtung des Kapitalbedarfs pro Bank mit dem Anteil der Bank an der Gesamtbilanzsumme aller beteiligten Banken des Mitgliedstaats.
Je stärker Staat und inländische Banken verquickt sind, desto geringer ist die Widerstandsfähigkeit des einen in der Krise des anderen. Insolvenzgefährdete Banken schränken die Kreditvergabe ein, die Wirtschaft schrumpft und die Staatseinnahmen brechen ein. In der großen Finanzkrise im Anschluss an die Lehman-Insolvenz im Jahr 2008 haben riesige staatliche Rettungspakete für die heimischen Banken auch die Ausgaben der Staaten stark in die Höhe getrieben, weshalb die Solvenz mancher EU-Mitgliedstaaten in Frage stand.Die Staatsschuldenquote Deutschlands stieg beispielsweise von knapp 64 Prozent im Jahr 2007 auf 82 Prozent im Jahre 2010. Der Anstieg war eine unmittelbare Folge des mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz von 2008 beschlossenen Bankenrettungspakets über 480 Milliarden Euro und der Einrichtung von zwei „Bad Banks“ (Erste Abwicklungsanstalt und FMS Wertmanagement) durch die Finanzmarktstabilisierungsanstalt (FMSA) des Bundes.Vgl. auch Marius Kokert, Dorothea Schäfer und Andreas Stephan (2014): Niedriger Leitzins: Eine Chance in der Euro-Schuldenkrise. DIW Wochenbericht Nr. 7, 115–126 (online verfügbar). Wegen der gestiegenen Ausfallwahrscheinlichkeit verlangen Investoren in einer staatlichen Verschuldungskrise bei Neuemissionen von Staatsanleihen höhere Risikoprämien. Parallel dazu fallen die Kurse der Altanleihen. Halten die einheimischen Banken viele Anleihen des eigenen Staates, führen starke Kursverluste mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer neuen Bankenkrise (Abbildung 1). Aus diesem Teufelskreis der gegenseitigen Abhängigkeit können Banken und Staaten nur ausbrechen, wenn Banken ihr Staatsanleiheportfolio diversifizieren und den Home Bias vermeiden. Auch in der aktuellen Corona-Krise ist die enge Verflechtung zwischen Staaten und Banken eine Quelle der gegenseitigen Ansteckung und krisenhaften Zuspitzung.
Der Home Bias wird durch das Risikogewichts- und Kapitalprivileg der Staatsanleihen befördert. Dennoch hat der Baseler Ausschuss auch bei der Reform von Basel III das Null-Risikogewicht für Staatsanleihen, unabhängig vom tatsächlichen Ausfallrisiko, nicht angetastet. Damit können Banken die Käufe von Staatsanleihen weiterhin zu 100 Prozent mit Fremdkapital finanzieren und müssen kein zusätzliches Bankkapital zur Absicherung des Engagements in der Bilanz nachweisen.Eigenkapital sichert die Fremdkapitalgeber einer Bank dagegen ab, an den Verlusten der Bank teilhaben zu müssen. Zu den Fremdkapitalgebern gehören neben kurzfristig investierenden Geldmarktfonds und anderen institutionellen Investoren vom Kapitalmarkt auch alle Bankkunden mit Guthaben auf Giro- und Sparkonten. Die Absicherung der Geldgeber ist umso besser, je mehr Eigenkapital und weiteres verlusttragendes Kapital, zum Beispiel bedingte Pflichtwandelanleihen oder langfristige Nachranganleihen, zur Verfügung stehen, um auftretende Verluste abzudecken.
Die von Seiten Olaf Scholz‘ gestellte Bedingung für die Einführung von EDIS facht die Diskussion um die Risikogewichtung von Staatsanleihen wieder an. Die BefürworterInnen der Risikogewichtung werben damit, den Teufelskreis der gegenseitigen Abhängigkeit von Staaten und Banken endlich durchbrechen zu wollen. GegnerInnen dieser Sicht führen ins Feld, dass die Stabilität des Euroraums und der Europäischen Union gefährdet sei. Sie fürchten Kapitallücken bei den Banken und höhere Kosten für den Staat bei dessen Kreditaufnahme. Gerade für hochverschuldete Länder könnte beides eine kaum zu bewältigende Herausforderung darstellen.
Die vorliegenden Berechnungen belegen einen ausgeprägten Home Bias der Banken in den einzelnen Volkswirtschaften. Das gilt sowohl bei Betrachtung des einfachen durchschnittlichen Home Bias (Abbildung 2) als auch bei Betrachtung des gewichteten durchschnittlichen Home Bias (Abbildung 3), der die Größe beziehungsweise Systemrelevanz einzelner Banken berücksichtigt (Kasten 1). Bei Banken in Mitgliedstaaten mit einem niedrigen BIP ist der Home Bias tendenziell am höchsten. Mit Anteilen der heimischen Staatsanleihen im Portfolio, die den Anteil des Sitzlandes an der EU-Wirtschaftsleistung um mehrere hundert Male überschreiten, haben die zypriotischen, bulgarischen und slowenischen Banken den stärksten durchschnittlichen Home Bias. Immerhin war er im Jahr 2018 deutlich geringer als noch im Jahr 2015.Für Zypern lässt sich der starke Rückgang dadurch erklären, dass 2018 eine weitere zypriotische Bank in die Transparency Exercise integriert wurde, die keine inländischen Staatsanleihen in den eigenen Büchern hatte. Ebenfalls einen im gewichteten Durchschnitt hohen Home Bias weisen die Banken in Ungarn, Portugal und Griechenland auf. In Irland sank der durchschnittliche Home Bias von 2015 bis 2018. Der gewichtete durchschnittliche Home Bias luxemburgischer Banken nahm zwischen 2015 und 2018 stark zu, von 28 auf einen Wert von gut 134. Auch der durchschnittliche Home Bias der finnischen Banken vervielfachte sich im betrachteten Zeitraum: Der Anteil heimischer Staatsanleihen am Portfolio betrug 2018 gut das 60-fache des finnischen BIP-Anteils in der EU.
In Dänemark wuchs der durchschnittliche Home Bias zwischen 2015 und Mitte 2018 um etwa die Hälfte auf einen Wert von gut 22 an. Der schwedische Home Bias stieg von gut 14 auf einen Wert über 16. Belgische Banken reduzierten ihren Home Bias im Zeitraum von 2015 bis 2018 von knapp 14 auf einen Wert von zwölf. Auch österreichische Banken hatten im gewichteten Durchschnitt in beiden Jahren einen Anteil heimischer Staatsanleihen in ihren Portfolios, der den Anteil der österreichischen an der europäischen Wirtschaftsleistung um weit mehr als das zehnfache überschritt. Im Jahr 2018 lag der Wert mit gut 14 aber immerhin etwas niedriger als drei Jahre zuvor (mehr als 16).
In den Niederlanden, Spanien, Italien, Frankreich, Deutschland und Großbritannien hatte der Index 2015 und Mitte 2018 einen Wert von unter zehn. Niederländische und spanische Banken verzeichneten 2018 mit jeweils knapp dem zehnfachen Staatsanleiheanteil in Relation zum nationalen Anteil an der EU-Wirtschaftsleistung den höchsten gewichteten durchschnittlichen Home Bias in dieser Ländergruppe.
Zwischen 2015 und 2018 verharrte der Anteil heimischer Staatsanleihen im Portfolio italienischer Banken im gewichteten Durchschnitt beim Fünf- bis Sechsfachen des italienischen Anteils am EU-BIP. In Frankreich stagnierte der Wert beim Vierfachen des französischen BIP-Anteils.
Der Home Bias in Großbritannien stieg von etwa drei (2015) auf den Wert von knapp vier (2018). Deutsche Banken führten die Liste der Länder mit dem niedrigsten Home Bias im Jahr 2018 an: Der Anteil deutscher Staatsanleihen im Portfolio lag „nur“ beim knapp Dreifachen des deutschen Anteils an der Wirtschaftsleistung der Europäischen Union. Im Vergleich zum Jahr 2015 ergab sich diesbezüglich nahezu keine Veränderung.
Insgesamt gesehen ist der durchschnittliche Home Bias der Banken in der Mehrzahl der betrachteten Mitgliedstaaten zwar zurückgegangen. Doch selbst der vergleichsweise niedrige Wert für Deutschland zeugt noch von einem starken Home Bias beim Kauf von Staatsanleihen durch einheimische Banken. Und vielerorts ist das Niveau extrem viel höher. Das bestätigt auch ein Blick auf den Home Bias der 20 größten Banken in der Stichprobe (Abbildung 4).
Die Berechnung der Kapitallücken gibt Aufschluss darüber, ob der Vorschlag einer Kapitalunterlegung von Staatsanleihen das Problem der Verflechtung zwischen einem Staat und dessen Banken lösen kann. Nur Banken, deren Sitzstaaten Ratings schlechter als „AA–“ haben, bekämen durch die EDIS-Bedingung einen Anreiz, den Home Bias zu reduzieren. Denn gemäß des Standardansatzes müssten nur sie die einheimischen Staatsanleihen mit Kapital unterlegen. Für alle anderen Banken wäre der Kapitalbedarf für heimische Staatsanleihen in ihren Portfolios weiterhin null und der Anreiz zum Home Bias bliebe bestehen. Auch die Einführung eines Konzentrationsfaktors würde daran nichts ändern, wenn dieser mit einem Risikogewicht multipliziert werden soll und ein Risikogewicht von null für hoch solvente Staatsanleihen weiterhin erlaubt bliebe.Eine solche Gewichtung des Konzentrationsfaktors mit dem Risikogewicht der Staaten ist in dem EDIS-Vorschlag des Bundesfinanzministeriums vorgesehen.
Das Rating von Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, Niederlande, Schweden und dem Vereinigten Königreich liegt derzeit bei oder über der „AA–“-Schwelle. Der Kapitalbedarf für den Bestand an einheimischen Staatsanleihen läge daher für diese Staaten auch nach einer Reform bei null (Kasten 2).
Bei den Banken aus diesen Ländern könnte die Pflicht zur Kapitalunterlegung die Diversität in den Staatsanleiheportfolios sogar noch weiter reduzieren und damit den Home Bias verstärken. Eine entsprechende Regelung würde nämlich den herrschenden Status Quo der Kapitalregulierung, die Gleichbehandlung aller EU-Staatsanleihen, aufheben. Das wäre dann der Fall, wenn nach erfolgter Reform vermehrt „fremde“ Staatsanleihen mit Kapitalunterlegungspflicht abgestoßen und durch heimische Anleihen mit einem Null-Risikogewicht ersetzt würden.
Die Befunde zeigen, dass insbesondere italienische und spanische Banken stark von einer Kapitalunterlegung betroffen wären. Der Kapitalbedarf insgesamt hätte sich 2018 auf 9,6 beziehungsweise 6,4 Milliarden Euro belaufen (Abbildung 5). Pro Bank wäre dies im Falle einer risikogewichteten Eigenkapitalunterlegung ein durchschnittlicher Bedarf von 2,3 Milliarden Euro beziehungsweise 1,2 Milliarden Euro gewesen (Abbildung 6). Mit großem Abstand folgen belgische, französische und portugiesische Banken mit einem Kapitalbedarf von durchschnittlich 648 Millionen Euro, 586 Millionen Euro und 413 Millionen Euro.
Relativ zum vorhandenen Kernkapital hätte der hypothetische Kapitalbedarf Mitte 2018 in fast allen betrachteten Ländern immerhin niedriger gelegen als Ende 2015 (Abbildung 7). Ausnahmen sind Schweden und Großbritannien. Bezogen auf das harte Kernkapital wäre der Kapitalbedarf portugiesischer Banken Mitte 2018 mit knapp neun Prozent am höchsten gewesen.
In Italien und Spanien bräuchten Banken aufgrund ihres Home Bias viel zusätzliches Kapital. Damit wären die Folgen einer reformierten Kapitalunterlegung für die Stabilität des gesamten Euroraums vermutlich gravierend. Ein weiteres Problem dieses Instruments ist, dass Banken in Staaten mit einer Risikogewichtung von null keinen Anreiz haben, die Anzahl heimischer Staatsanleihen in ihrem Besitz zu verringern, da für sie trotz der Reform keinerlei zusätzliche Kosten entstünden. Das gilt auch für den Fall der Einführung eines risikogewichteten Konzentrationszuschlages. Des Weiteren würde die Kapitalunterlegung keinesfalls eine breit angelegte Diversifizierung bewirken, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit die Konzentration jener Staatsanleihen mit einem Null-Risikogewicht in den Büchern der Banken erhöhen. Diese Staatspapiere würden somit noch knapper werden als ohnehin schon.
Aus diesen Gründen ist es dringend notwendig, andere Wege zu beschreiten, um die Verquickung zwischen Banken und Staat zu reduzieren.Kritisierbar ist auch, dass die Risikoeinschätzungen der Ratingagenturen fehlerhaft sein können und es in der Vergangenheit auch oft gewesen sind, vgl. zum Beispiel Carmen M. Reinhart (2002): Default, currency crises, and sovereign credit ratings. World Bank Economic Review, 16(2), 151–170; Marco Pagano und Paolo Volpin (2010): Credit ratings failures and policy options. Economic Policy, 401–431; Hans-Helmut Kotz und Dorothea Schäfer (2013): Rating-Agenturen: fehlbar und überfordert. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 82(4), 135–162 (online verfügbar); und Alexander M. Karminsky und Ella Khromova (2016): Modelling banks’ credit ratings of international agencies. Eurasian Economic Review 6, 341–363. Die Kapitalunterlegung von Staatsanleihen würde den großen Ratingagenturen noch mehr als bisher die Rolle von Quasi-Regulierungsinstanzen zuweisen. Das widerspricht einer zentralen Lehre aus der großen Finanzkrise, wonach die Abhängigkeit der Kapitalregulierung von den Urteilen der Ratingagenturen eher zurückgedrängt werden sollte, vgl. Financial Stability Board (2010): Reducing Reliance on Credit Ratings (online verfügbar). Im Folgenden werden drei Konzepte dahingehend geprüft, ob sie in der Lage sind, die oben genannten Mängel der Kapitalunterlegung abzumildern oder zu beseitigen.
Eine Abfederungsstrategie besteht darin, die Risikogewichtung von Staatsanleihen und damit deren Kapitalunterlegung nur für neu gekaufte Staatsanleihen zu verlangen. Mit einer solchen Regelung könnte die Bank die Belastung durch die neue Eigenkapitalunterlegung selbst bestimmen und der Kapitalbedarf würde nicht sprunghaft nach oben schnellen. Die Anpassung an einen erhöhten Kapitalbedarf könnte langsam erfolgen.Der Vorschlag, die Risikogewichtung von Staatsanleihen nur für neu gekaufte Staatsanleihen zu verlangen, wurde bereits in einem früheren DIW Wochenbericht eingebracht, vgl. Dominik Meyland und Dorothea Schäfer (2017): Risikogewichtung für EU-Staatsanleihen: Herausforderung für italienische Banken. DIW Wochenbericht Nr. 28, 575–582 (online verfügbar). Für Banken in Sitzländern, die ein Rating von „AA–“ oder besser haben, würde dies den Home Bias dennoch nicht verringern.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) hat in seinem Jahresgutachten 2018/19 erneut eine risikogewichtete Kapitalunterlegung vorgeschlagen.Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2018): Vor wichtigen Wirtschaftspolitischen Weichenstellungen. Jahresgutachten 2018/19 (online verfügbar). Eine Eigenkapitalunterlegungspflicht war in anderer Form bereits im Gutachten 2015/16 vorgeschlagen worden. Dabei soll die risikogewichtete Kapitalunterlegung durch eine risikogemäße Großkreditgrenze für staatliche Forderungen ergänzt werden.Die Großkreditgrenzen sollen mit der Bonität der Länder variieren. Für Länder niedrigster Bonität wurde 2015 vom Sachverständigenrat eine Grenze von 25 Prozent der anrechenbaren Eigenmittel vorgeschlagen. Diese Grenze steigt über 50 Prozent für B– bis BB+, 75 Prozent für BBB– bis BBB+, 90 Prozent für A– bis A+ auf 100 Prozent für AA– bis mit AAA bewertete Länder an. Alternativ kann sich der SVR auch vorstellen, die risikogewichtete Eigenkapitalunterlegung mit dem bereits bekannten Konzentrationszuschlag für Staatsanleihen zu kombinieren.Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2015): Zukunftsfähigkeit in den Mittelpunkt. Jahresgutachten 2015/16(online verfügbar) Die sogenannte Sovereign Concentration Charges Regulation (SCCR) sieht vor, dass für Banken aller Euroländer ein Kernkapitalzuschlag fällig wird, falls der Wert der Staatsanleihen eines Eurolandes, ausgedrückt als Anteil am Kernkapital, den Schwellenwert von 33 Prozent überschreitet. Je höher der Anteil ist, desto größer soll der Zuschlag sein (Tabelle). Der absolute Wert des Zuschlags erhöht die risikogewichteten Aktiva und reduziert die Kernkapitalquote. Banken mit hohen Konzentrationen brauchen daher mehr Kernkapital, um die regulatorisch vorgegebenen Mindestquoten zu erreichen.
Anteil der Staatsanleihen eines Landes am Kernkapital einer Bank (in Prozent) | < 33 | 33–50 | 50–100 | 100–200 | 200–300 | 300–500 | > 500 |
---|---|---|---|---|---|---|---|
Zuschlag zu den risikogewichteten Aktiva in Prozent des Wertes der Staatsanleihen in Prozent | – | 15 | 30 | 50 | 100 | 200 | 500 |
Quelle: Nicolas Véron (2017): Sovereign Concentration Charges: A New Regime for Banks’ Sovereign Exposures. European Parliament (online verfügbar).
Anders als der Konzentrationsfaktor im Vorschlag des Finanzministeriums baut die SCCR nicht auf der Risikoeinschätzung der Ratingagenturen auf. Der Vorschlag behandelt Banken in Sitzländern mit einem schlechteren Rating genauso wie Banken in Sitzländern mit einem besseren Rating, so dass die Ratingagenturen für die Funktionsfähigkeit des Vorschlags keine Rolle spielen. Positiv ist zudem, dass die SCCR auch bei Banken, die in „AA–“ oder höher eingestuften Ländern ansässig sind, auf eine Reduzierung des Home Bias hinwirkt, da jegliche starke Konzentration von Anleihen eines Landes sanktioniert würde. Der SCCR soll gemäß SVR ebenfalls parallel zu EDIS eingeführt werden.Der ursprüngliche Vorschlag zu den Konzentrationszuschlägen kommt von Nicolas Véron (2017): Sovereign Concentration Charges: A New Regime for Banks’ Sovereign Exposures. European Parliament (online verfügbar). Veron zielt allerdings nicht auf den Home Bias ab, sondern allgemein auf eine Verminderung der Konzentration der Anleihen von Mitgliedstaaten des Euroraums in den Bankbüchern. Explizit betont er, dass alle Staatsanleihen des Euroraums gleichbehandelt werden. Unter der Annahme, dass die höchste Staatsanleihenkonzentration bei den heimischen Staatsanleihen auftritt, wirkt eine SCCR Home-Bias-minimierend.
Ein gänzlich anderer Weg wird mit dem Konzept der Sovereign Bond-Backed Securities (SBBS) beschritten.Vgl. ESRB High-Level Task Force on Safe Assets (2018): Sovereign bond-backed securities: a feasibility study, Volume I (online verfügbar) and Volume II (online verfügbar). Vgl. dazu auch Philip Lane und Sam Langfield (2018): The feasibility of sovereign bond-backed securities for the euro area (online verfügbar). SBBS bündeln bereits ausgegebene Staatsanleihen der Euroländer und bilden durch Verbriefung und Tranchierung einen neuen, für den Euroraum qua Konstruktion vollständig diversifizierten Staatsanleihetypus. Dabei wird durch das „Wasserfallprinzip“Das Wasserfallprinzip ist ein Verlustabsorptions- beziehungsweise Zahlungsflussgrundsatz, der in der Verbriefung angewendet wird. Kredite, die durch ein Institut verbrieft werden, werden gebündelt und nach der Ausfallwahrscheinlichkeit sortiert. Nach der Sortierung werden die Kredite nach absteigender Bonität in unterschiedliche Tranchen zusammengefasst. Es handelt sich mindestens um zwei Tranchen, die zueinander in einer hierarchischen Reihenfolge stehen, da die Tranche mit höherem Risiko einen Risikopuffer für die Tranche mit weniger Risiko und besserem Rating darstellt. Das Wasserfallprinzip beschreibt also einerseits die Reihenfolge der Verlustabsorption, die von stark risikobehafteter zur, gemäß Ratingkennziffer, risikofreien Tranche aufsteigt. Andererseits bezieht es sich auf die Reihenfolge der Bedienung der Verbriefung, sprich die Auszahlung der Zahlungsflüsse. Als erstes wird die risikofreie Tranche bedient, als letztes die Tranche mit dem schlechtesten Rating. Für eine detaillierte Ausführung vgl. Stephan Ricken (2008): Verbriefung von Krediten und Forderungen in Deutschland. Betriebswirtschaftliche Handlungshilfen 213. Hans Böckler Stiftung (online verfügbar). erreicht, dass Seniortranchen deutlich sicherer sind als Junior- oder Eigenkapitaltranchen. Seniortranchen wäre ein Risikogewicht von null beizulegen. Im Zentrum des SBBS-Vorschlags stehen zwei Ziele: Erstens soll der Home Bias der Banken in allen Ländern des Euroraums abgemildert oder beseitigt werden und an dessen Stelle ein stark diversifiziertes Staatsanleiheportfolio treten. Zweitens liegt den SBBS die Vorstellung zugrunde, dass die Kapitalunterlegung der Staatsanleihen eingeführt werden könnte, ohne die Stabilität des Euroraums zu gefährden, wenn SBBS als Anlagealternative zur Verfügung stünden. Auch die Banken in den Staaten mit fragilen Staatsfinanzen hätten dann Zugang zu den Seniortranchen der SBBS und damit Zugang zu einem „Safe-Asset“. Es ist keine Frage, dass die Banken des Euroraums ein solch hochliquides Anlageinstrument benötigen.Vgl. Andreas Breitenfellner und Helene Schuberth (2017): Europe Needs More than a Capital Markets Union: Focus on the Integration of Euro Area Sovereign Debt Markets. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 86(2), 9–20 (online verfügbar). Durch die hohe Diversifikation und die Beilegung eines Risikogewichts von null verspricht sich das European Systemic Risk Board, dass auch Banken in Staaten mit einem Risikogewicht von null das vollständig diversifizierte Wertpapier SBBS den heimischen Staatsanleihen vorziehen würden. Damit würde vermutlich auch der Renditedruck für die (extrem knappen) null-gewichteten Staatsanleihen des Euroraums etwas abgemildert.
Die Banken in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterliegen dann einem sogenannten Home Bias, wenn das Gewicht der einheimischen Staatsanleihen im eigenen EU-Staatsanleiheportfolio höher ist als der Anteil des Sitzlandes an der Wirtschaftskraft der Europäischen Union. Ein starker Homebias hat eine sehr ungünstige Verquickung von Banken und Staaten zur Folge, die im Krisenfall zu gegenseitigen Ansteckungseffekten führen kann. Die Befunde des vorliegenden Wochenberichts belegen, dass der Home Bias in den betrachteten Ländern beziehungsweise bei den betrachteten europäischen Großbanken weiterhin stark und teilweise sogar extrem ausgeprägt ist, obwohl er in den meisten Fällen von 2015 bis 2018 immerhin zurückgegangen ist. Selbst die deutschen Banken, die im gewichteten Durchschnitt den geringsten Home Bias aufweisen, haben anteilig drei Mal mehr heimische Staatsanleihen in ihren Bilanzen als der Anteil des deutschen Bruttoinlandsprodukts an der EU-Wirtschaftsleistung beträgt. Auch ein solcher Wert bedeutet noch eine sehr enge Verbindung zwischen der Solvenz des Staates und der Solvenz der in diesem Staat ansässigen Banken.
Wie im Jahr 2008 schmerzlich spürbar wurde und wie sich nun auch im Jahr 2020 zeigt, kündigen sich Finanzmarktkrisen nicht an. Um die Auswirkungen einer Bankenkrise so gering wie möglich zu halten, müssen in der Europäischen Union Maßnahmen ergriffen werden, die die enge Verknüpfung von Banken- und Staaten(in)solvenz reduzieren. Die Nebenbedingung zur gemeinsamen europäischen Einlagenversicherung EDIS, nämlich die Kapitalunterlegung von Staatsanleihen, bleibt bei der Verfolgung dieses Ziels jedoch bestenfalls auf halbem Wege stehen, schlechtestenfalls kann sie selbst sogar zum Krisentreiber im Euroraum werden.
Daher sind andere, nicht notwendigerweise alternative, sondern eher vorbereitende und flankierende Instrumente nötig. Über zehn Jahre nach der Finanz- und Staatsschuldenkrise im Euroraum steht mit der Corona-Krise die nächste Bewährungsprobe für die Stabilität der Banken bevor. Die Zeit ist mehr als reif dafür, Regulierungen einzuführen, die einerseits die Stabilität der Banken fördern, andererseits aber die Finanzierungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten verbessern und die Stabilität und den Zusammenhalt des Euroraums und der EU als Ganzes stärken. Die Kapitalunterlegung für Staatsanleihen ist dafür nicht geeignet. Im Gegenteil, ihre Einführung würde für manche Eurostaaten hohe Hürden und zusätzliche Kosten bei der Finanzierung des Staatsbudgets bedeuten und vermutlich zu schweren Verwerfungen innerhalb des Euroraums führen.
Trotz des verbesserten Ratings einiger Länder ist zum jetzigen Zeitpunkt davon abzuraten, Staatsanleihen mit einer Kapitalunterlegungspflicht zu belegen. Die Einführung einer solchen Pflicht sollte nur in Begleitung flankierender Maßnahmen, zum Beispiel der Einführung eines neuen diversifizierten Staatsanleihetypus, wie SBBS, erfolgen. Wohl aber sollten die Kapitalpuffer der Banken weiter gestärkt werden. Weiterhin muss der Gesetzgeber rasch Vorsorge dafür treffen, den Großbanken im Falle einer systemischen Krise schnell und auch gegen Widerstände staatliches Beteiligungskapital zuführen zu können.
JEL-Classification: G20;G28;G01;G38;G32
Keywords: Sovereign Exposure, Home Bias, Capital Requirement Regulation, Sovereign Bond Backed Securities
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-15-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/219368