DIW Wochenbericht 34 / 2020, S. 591-599
Katja Schmidt, Jannes Jacobsen, Magdalena Krieger
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„Die Ergebnisse des Berichts zeigen, dass sich Geflüchtete und Aufnahmegesellschaft immer mehr annähern. Um noch vorhandene Sorgen und Skepsis auf beiden Seiten abzubauen, müssen weiterhin einige Anstrengungen unternommen werden.“ Katja Schmidt
Vor fünf Jahren suchten rund eine Million Menschen Zuflucht in Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel begegnete der Besorgnis in der Bevölkerung darüber mit ihrem bekannten Ausspruch „Wir schaffen das.“ Seitdem hat sich einiges getan. Wie dieser Bericht zeigt, nehmen die Sorgen der hier lebenden Bevölkerung mit Blick auf das Zusammenleben seit 2016 ab. Geflüchtete sorgen sich allerdings zunehmend über Fremdenfeindlichkeit. Gleichzeitig ist ihr Vertrauen in die Schlüsselinstitutionen des Staates hoch, jedoch im Bereich der öffentlichen Verwaltung vergleichsweise geringer. Stellschraube für den Aufbau von gegenseitigem Vertrauen könnte die Förderung persönlicher Kontakte zwischen Geflüchteten und Einheimischen sein. Es zeigt sich jedoch, dass bislang nur etwa die Hälfte der Geflüchteten regelmäßig Kontakt zu Deutschen hat. Gerade unter geflüchteten Frauen ist der Austausch mit Deutschen noch gering. Staatliche Initiativen zur Schaffung diverser sozialer Netzwerke könnten ein wichtiger Schritt zu einem weiteren Zusammenwachsen sein.
In der öffentlichen Debatte über die Einwanderung Geflüchteter seit 2015 sind zwei wichtige Aspekte zu beobachten: Die Reaktion der hier lebenden Bevölkerung auf die gewachsene Fluchtzuwanderung und die Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt sowie in das Bildungs- und Ausbildungssystem. Während die Einschätzung der ansässigen Bevölkerung bislang eher ambivalent war – einerseits geprägt von Engagement für Geflüchtete, andererseits gezeichnet von großen Sorgen über ZuwanderungJannes Jacobsen, Philipp Eisnecker und Jürgen Schupp (2017): Rund ein Drittel der Menschen in Deutschland spendeten 2016 für Geflüchtete, zehn Prozent halfen vor Ort – immer mehr äußern aber auch Sorgen. DIW Wochenbericht Nr. 17, 347–358 (online verfügbar, abgerufen am 20. Juli 2020. Dies gilt, insofern nicht anders vermerkt, für alle Onlinepublikationen in diesem Bericht). – wurde für Geflüchtete eine vergleichsweise schnelle und gelungene Integration konstatiert.Herbert Brücker et al. (2019): Geflüchtete machen Fortschritte bei Sprache und Beschäftigung. DIW Wochenbericht Nr. 4, 55–70 (online verfügbar).,Herbert Brücker, Yuliya Kosyakova und Eric Schuß (2020): Integration in Arbeitsmarkt und Bildungssystem macht weiter Fortschritte. IAB-Kurzbericht Nr. 4 (online verfügbar). Für den Zusammenhalt einer Gesellschaft spielen allerdings noch weitere, auch subjektive Aspekte von Integration eine wichtige Rolle. Darunter fallen beispielsweise das Ausmaß der Sorgen von Geflüchteten, die von ihnen wahrgenommene Diskriminierung, ihr Vertrauen in Institutionen sowie ihre Möglichkeiten, mit Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft in Kontakt zu treten. Diese Aspekte gilt es in Bezug zu den Einstellungen, Erwartungen und Gefühlen der Mitglieder der Aufnahmegesellschaft zu setzen.
Dieser Bericht beleuchtet auf Basis der in Zusammenarbeit mit Kantar erhobenen Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)Das SOEP ist eine repräsentative jährliche Wiederholungsbefragung privater Haushalte, die seit 1984 in Westdeutschland und seit 1990 auch in Ostdeutschland durchgeführt wird; vgl. Jan Goebel et al. (2018): The German Socio–Economic Panel (SOEP). Journal of Economics and Statistics, 239(29), 345–360, DOI: https://doi.org/10.1515/jbnst-2018-0022. das Zusammenleben von Geflüchteten und Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft im Jahr 2018. Untersucht werden subjektive und soziale Faktoren der Integration Geflüchteter. Diese werden den Einstellungen der Mitglieder der Aufnahmegesellschaft gegenübergestellt. Ein besonderer Fokus wird dabei auf Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Räumen gelegt (Kasten 1).
Zur Abgrenzung von städtischen und ländlichen Gegenden wird die Definition des ländlichen Raums des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) verwendet.Vgl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (online verfügbar). Demnach werden Gemeinden entsprechend ihrer Größe, Bevölkerungsdichte und zentralörtlicher Funktion entweder als Agglomerationsraum, verstädterter Raum oder ländlicher Raum klassifiziert. Wir erfassen Agglomerationsräume und verstädterte Räume als städtische Gebiete und stellen diese den ländlichen Räumen gegenüber.
Städtische und ländliche Gebiete unterscheiden sich im Zugang zu und in der Vielfalt an gesellschaftlichen Möglichkeiten. Diese erlauben Rückschlüsse auf mögliche Zugangsbarrieren zu der dort ansässigen Bevölkerung. So unterscheiden sich städtische und ländliche Räume beispielsweise in den vorhandenen Integrationskonzepten und Angeboten an Sprach- und Integrationskursen. Weiter nutzen Geflüchtete hauptsächlich den öffentlichen Nahverkehr, was in ländlichen Räumen mit deutlichen Einschränkungen der Mobilität einhergeht. Auch persönliche Beziehungsstrukturen unterscheiden sich in ländlichen und städtischen Räumen – während man auf dem Land die Nachbarn kennt, herrscht in städtischen Räumen mehr Anonymität. Diese und weitere Unterschiede können sich auf die Integrationschancen Geflüchteter auswirken.Tabea Rösch, Hanne Schneider, Johannes Weber und Susanne Worbs (2020): Integration von Geflüchteten in ländlichen Räumen. Forschungsbericht 36. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (online verfügbar). Da Geflüchtete aufgrund der Verteilung anhand des Königsteiner Schlüssels und von WohnsitzauflagenDie Verteilung von Asylantragsstellern auf die Bundesländer richtet sich nach dem Königsteiner Schlüssel. Der Königsteiner Schlüssel (online verfügbar) gibt die Verteilungsquote auf die Bundesländer an und basiert auf den Steuereinnahmen und der Bevölkerungszahl der Bundesländer. Zusätzlich unterliegen Geflüchtete, die Sozialleistungen in Anspruch nehmen, einer Wohnsichtauflage (online verfügbar), die ihren Wohnort festschreibt. wenig Freiheit bei der Wahl ihres Wohnorts haben, wird in diesem Bericht erwartet, dass zwischen städtischen und ländlichen Gebieten Unterschiede im Integrationsverlauf bestehen (Kasten 2).
Population
Befragt wurden Personen, die in Deutschland leben, darunter keine Geflüchteten.
Sorgen
Machen Sie sich Sorgen über die Zuwanderung nach Deutschland?
Einstellungen zu Geflüchteten
Die hier ausgewerteten Fragen richten sich auf persönliche, subjektive Einschätzungen zu fünf Bereichen mit jeweils elf möglichen Abstufungen, wobei der Wert eins die negativste und der Wert elf die positivste mögliche Bewertung ausdrücken:
Das Thema Flüchtlinge ist in Deutschland umstritten. Was würden Sie persönlich zu den folgenden Fragen sagen?
Für eine einfachere Interpretation der Ergebnisse werden die Bewertungsstufen wie folgt eingeteilt: 1–4 „Eher negativ.“, 5–7 „Ambivalent.“, 8–11 „Eher positiv.“
Engagement
Die nächste Frage zielt auf das Engagement der Befragten im Hinblick auf die Flüchtlingsthematik. Konkret wurde gefragt: „Welche der folgenden Aktivitäten haben Sie im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik seit dem letzten Jahr gemacht und welche haben Sie (auch) in Zukunft vor zu machen?“ Im vorliegenden Bericht wird nur auf die bereits ausgeübte Arbeit vor Ort mit Flüchtlingen eingegangen, zum Beispiel Behördengänge oder Sprachförderung:
Die erfolgreiche Integration von Zuwanderern hängt unter anderem vom allgemeinen Meinungsklima in der aufnehmenden Gesellschaft ab.U.a. Christian S. Czymara und Alexander W. Schmidt-Catran (2016): Wer ist in Deutschland willkommen? Eine Vignettenanalyse zur Akzeptanz von Einwanderern. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 68, 193–227; M. Verkuyten (2004): Emotional reactions to and support for immigrant policies: Attributed responsibilities to categories of asylum seekers. Social Justice Research, 17(3), 293–314. Erfahren Zugewanderte Ablehnung, zum Beispiel in Form sozialer Distanz oder von Diskriminierung, werden ihnen Chancen gesellschaftlicher Teilhabe erschwert. Aus diesem Grund wird zunächst das Stimmungsgefüge in der Aufnahmegesellschaft betrachtet. Hierzu werden in der SOEP-Befragung jährlich die Sorgen erfragt, die sich die Befragten zum Thema Zuwanderung machen. Die Antwortkategorien reichen von „keine Sorgen“ über „einige Sorgen“ bis zu „große Sorgen“.
Der Anteil der Befragten, der sich „große Sorgen“ über Zuwanderung macht, ist zwischen 2013 und 2016 deutlich gestiegen (Abbildung 1). Nach dem Erreichen des Höhepunkts der Fluchtzuwanderung nach Deutschland 2015/16 sinkt dieser Anteil in den beiden Folgejahren. Während 2016 noch fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) große Sorgen über Zuwanderung äußert, ist dies 2018 nur noch ein knappes Drittel (32 Prozent). Zählt man jedoch auch die Personen hinzu, die sich immerhin „einige Sorgen“ machen, zeigt sich, dass das Thema Zuwanderung auch 2018 einen Großteil der Befragten in Deutschland beunruhigt: Zusammengenommen haben rund drei Viertel der Bevölkerung (74 Prozent) einige oder große Sorgen beim Thema Zuwanderung. Zum Vergleich: Im Jahr 2013 waren dies rund zehn Prozentpunkte weniger (63 Prozent). Analog hierzu entwickelte sich der Anteil der Befragten, der sich „keine Sorgen“ aufgrund von Zuwanderung macht. Während dieser 2016 auf 16 Prozent und damit auf den geringsten Wert in der Beobachtungsreihe sank, stieg er im Verlauf von zwei Jahren wieder um zehn Prozentpunkte: 2018 geben etwa ein Viertel der Befragten an, sich keine Sorgen über Zuwanderung zu machen.
Es lässt sich resümieren, dass die Sorgen seit 2016 insgesamt abnehmen, allerdings weiterhin über dem Niveau von 2013 liegen.
In der soziologischen Forschung werden unter anderem kulturelle und ökonomische Bedrohungswahrnehmungen auf Seiten der Mitglieder der Aufnahmegesellschaft für eine verstärkte Ablehnung von Zuwanderern verantwortlich gemacht.Christian S. Czymara und Alexander W. Schmidt-Catran (2016): Wer ist in Deutschland willkommen? Eine Vignettenanalyse zur Akzeptanz von Einwanderern. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 68, 193–227. So zeigt sich beispielsweise, dass sich Personen, die Geflüchtete als Bedrohung für das gesellschaftliche Leben in Deutschland wahrnehmen, eher mit der rechtspopulistischen AfD identifizieren, die eine Fluchtzuwanderung ablehnt.Holger Lengfeld und Clara Dilger (2018): Kulturelle und ökonomische Bedrohung. Eine Analyse der Ursachen der Parteiidentifikation mit der „Alternative für Deutschland“ mit dem Sozio-oekonomischen Panel 2016. Zeitschrift für Soziologie 47(3), 181–199.
Anhand der Daten des SOEP kann gezeigt werden, wie ausgeprägt derartige Bedrohungswahrnehmungen unter den Befragten der ansässigen Bevölkerung im Jahr 2018 sind. Auf einer 11-er Skala, auf der eins die negativste und elf die positivste Bewertung ausdrückt, bewerten SOEP-Befragte den Einfluss von Geflüchteten auf „Wirtschaft“, „Kultur“, und „Deutschland als Lebensort“ sowie die kurz- und langfristigen Folgen der Fluchtzuwanderung. Für eine vereinfachte Interpretation werden die Bewertungsstufen in drei Kategorien eingeteilt: 1–4 „eher negativ“, 5–7 „ambivalent“, 8–11 „eher positiv“.
2018 äußern die meisten der Befragten (40 Prozent) eine ambivalente Einstellung zu den Auswirkungen der Zuwanderung Geflüchteter auf die deutsche Wirtschaft, etwa ein Viertel bewertet sie als eher gut und ein Drittel als eher schlecht (Abbildung 2). Für das kulturelle Leben in Deutschland werden die Auswirkungen der Fluchtzuwanderung von über einem Drittel der Befragten als ambivalent eingestuft, ebenfalls von über einem Drittel als eher negativ und von über einem Viertel der Befragten als eher bereichernd. Gleichzeitig finden nur 14 Prozent der Befragten, dass Deutschland durch Geflüchtete zu einem besseren Ort zum Leben wird, während fast 40 Prozent eher negative Auswirkungen erwarten. Die meisten Befragten (45 Prozent) entscheiden sich für die Kategorie, die die Auswirkungen als eher ambivalent beschreibt. Auf die Fragen, ob ein starker Zuzug von Geflüchteten kurz- und langfristig mehr Risiken oder mehr Chancen birgt (Abbildung 3), geben nur etwa acht Prozent der Befragten an, dass sie kurzfristige Chancen erkennen, während fast zwei Drittel kurzfristig eher Risiken vermuten. Dieser Wert ist in der langfristigen Einschätzung mit 40 Prozent deutlich geringer. Gleichzeitig sieht immerhin rund ein Viertel der Befragten langfristig die Chancen der Fluchtzuwanderung überwiegen.
Die Bewertungen fallen in ländlichen Regionen durchweg signifikant skeptischer aus als in städtischen Räumen. Der deutlichste Unterschied lässt sich in Bezug auf die kulturellen Auswirkungen erkennen. Auf dem Land empfinden 22 Prozent den Einfluss von Geflüchteten als kulturell bereichernd, während dies in den städtischen Räumen sieben Prozentpunkte mehr sind (29 Prozent). Die Bewertung von Risiken und Chancen hingegen unterscheidet sich zwischen Befragten in städtischen und denen in ländlichen Räumen nur geringfügig: Kurzfristig überwiegen für acht Prozent der Städter und für sieben Prozent der Landbevölkerung die klaren Chancen der Fluchtzuwanderung. Langfristig geht der Blick in die Zukunft wieder etwas deutlicher auseinander: Hier überwiegen für 29 Prozent der Städter eher die Chancen, während dies nur für 24 Prozent der Befragten in ländlichen Räumen zutrifft.
Insgesamt zeigt sich eine positive Entwicklung des Meinungsklimas in der aufnehmenden Gesellschaft. Dieser wird im Folgenden die Perspektive der Geflüchteten gegenübergestellt.
Die Perspektive der Geflüchteten wird anhand der Sondererhebung IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten in Deutschland untersucht (Kasten 3Siehe dazu in dieser Ausgabe des DIW Wochenberichts auch den Kasten im Editorial von Cornelia Kristen und C. Katharina Spieß (2020): Fünf Jahre danach: Eine Zwischenbilanz zur Integration von Geflüchteten. DIW Wochenbericht Nr. 34, 559–562.). Grundsätzlich zeigen die Daten, dass die Sorgen aufgrund von Fremdenfeindlichkeit unter Geflüchteten zwischen 2016 und 2018 leicht zugenommen haben. Mehr als jeder Dritte der erwachsenen Geflüchteten berichtet im Jahr 2018, dass er oder sie „einige“ (26 Prozent) oder „große Sorgen“ (zwölf Prozent) aufgrund von Fremdenfeindlichkeit hat. Dies impliziert einen statistisch signifikanten Anstieg von rund fünf Prozentpunkten derjenigen Geflüchteten, die einige oder große Sorgen äußern, innerhalb von zwei Jahren seit 2016.
Sorgen
Machen Sie sich Sorgen um Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass in Deutschland?
Wahrgenommene Diskriminierung
Wie häufig haben Sie persönlich die Erfahrung gemacht, hier in Deutschland aufgrund Ihrer Herkunft benachteiligt worden zu sein?
Vertrauen in Institutionen
Wie viel Vertrauen haben Sie persönlich in die folgenden deutschen Einrichtungen?
Für eine einfachere Interpretation der Ergebnisse werden die Bewertungsstufen wie folgt eingeteilt: 0–2 „geringes Vertrauen“, 3–7 „mittleres Vertrauen“, 8–10 „hohes Vertrauen“
Kontakt zu Deutschen
Wie oft verbringen Sie Zeit mit Deutschen?
Wir fassen die Kategorien „täglich“ bis „jede Woche“ zu „regelmäßigem Kontakt“ zusammen und ordnen die verbleibenden Kategorien dem „seltenen Kontakt“ zu.
Wie oft haben Sie Kontakt zu Deutschen in Ihrem Freundeskreis/in Ihrer Nachbarschaft/an Ihrem Arbeitsplatz?
Wir fassen die Kategorien „täglich“ bis „jede Woche“ zu „regelmäßigem Kontakt“ zusammen und ordnen die verbleibenden Kategorien dem „seltenen Kontakt“ zu.
Im Hinblick auf konkrete Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit zeigen die Befragungsdaten jedoch, dass die Sorgen nicht nur mit dem tatsächlich Erlebten der Geflüchteten zusammenhängen könnten. So berichtet beispielsweise nicht einmal jeder Zehnte der erwachsenen Geflüchteten, dass er oder sie sich häufig aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert fühlt (Abbildung 4). Rund jeder Dritte fühlt sich bislang selten und über die Hälfte gar nicht diskriminiert. Die Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Gebieten sind nicht signifikant.
Ebenso zeigen vertiefende Analysen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, dass sich Geflüchtete in Deutschland über die vergangenen Jahre hinweg unverändert willkommen fühlen.Christina de Paiva Lareiro, Nina Rother und Manuel Siegert (2020): Geflüchtete verbessern ihre Deutschkenntnisse und fühlen sich in Deutschland weiterhin willkommen. BAMF-Kurzanalyse 1. 1–19. (online verfügbar) Ein Blick auf die Sorgen und die wahrgenommene Diskriminierung fördert somit ein zweigeteiltes Bild zu Tage. Einerseits werden vermehrt Sorgen aufgrund von Fremdenfeindlichkeit geäußert, allerdings deuten die Daten nicht darauf hin, dass diese Sorgen nur auf selbst Erlebtes zurückzuführen sind. Es wird vermutet, dass die Sorgen aufgrund von Fremdenfeindlichkeit auch durch Medienberichte beeinflusst sein könnten. Vor dem Hintergrund der migrationsfeindlichen und rassistischen Proteste beispielsweise im rheinland-pfälzischen Kandel nach dem Sommer 2015 erscheint diese Interpretation naheliegend. Aufgrund der Anschläge in Hanau und Halle, die zeitlich nach der Befragung liegen, lässt sich weiterhin vermuten, dass die Sorgen der Geflüchteten weiter ansteigen könnten.
Soll diesen Sorgen begegnet werden, könnte ein wichtiger Schritt sein, die Betroffenen solcher Übergriffe anzuhören. So ist im Anschluss an das Attentat in Hanau beispielsweise vielfach Kritik geäußert worden, dass Minderheiten nicht ausreichend vor Angriffen geschützt würden.Vgl. Pressemitteilung des Zentralrats der Muslime in Deutschland vom 20. Februar 2020 (online verfügbar). Ein wichtiger politischer Schritt könnte sein, Konzepte zu entwickeln, um Minderheiten aktiver zu schützen.
Ein weiterer Indikator, um ein Bild des Einlebens und Eingewöhnens der Zugewanderten zu beschreiben, ist das geäußerte Vertrauen in zentrale Institutionen des Staates: die öffentliche Verwaltung, die Polizei, die Gerichte. Dies ist aus zweierlei Perspektive von Relevanz. Erstens kommen Geflüchtete aufgrund ihrer Einwanderungsgeschichte und Asylbegehren regelmäßig mit der Verwaltung und in einigen Fällen mit der Polizei und den Gerichten in Kontakt. Ein hohes Vertrauen in diese Institutionen ist somit auch ein Indikator für die Akzeptanz, die dem Handeln dieser Institutionen entgegengebracht wird. Daher spiegelt, zweitens, das Vertrauen in diese Institutionen auch das Vertrauen in ein gerechtes Funktionieren des Rechtsstaates wider. Dieses sollte im Idealfall hoch sein.
Zur öffentlichen Verwaltung, dem Rechtssystem und der Polizei befragt, äußern Geflüchtete grundsätzlich ein hohes Maß an Vertrauen. Auf einer Skala von 0 bis 10 (10 steht für hohes Vertrauen) äußern rund 60 Prozent der Geflüchteten hohes Vertrauen in die Polizei. Rund die Hälfte aller Befragten hat zudem hohes Vertrauen in das Rechtssystem. Allerdings zeigt sich bei der öffentlichen Verwaltung ein differenzierteres Bild – hier attestiert nur jeder Dritte großes Vertrauen.
Rechnet man die jeweiligen Abstufungen der 11er Skala bis zum Wert 8 ebenfalls als großes Vertrauen hinzu, steigen die Vertrauenswerte in die drei Institutionen substantiell jeweils bis auf über 60 Prozent (Abbildung 5 zeigt exemplarisch aggregierte Werte für das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung). Im Hinblick auf Stadt-Land-Unterschiede ergeben die Daten, dass das Vertrauen auf dem Land tendenziell geringer ist, allerdings lässt sich dieser Unterschied statistisch nicht absichern.
Zusammenfassend zeigt sich somit, dass das Vertrauen in Schlüsselinstitutionen des Staates grundsätzlich hoch ist, jedoch besteht insbesondere bei der öffentlichen Verwaltung noch Verbesserungspotential. Das Vertrauen könnte gestärkt werden, indem die Entscheidungsfindung in der öffentlichen Verwaltung transparenter gemacht wird, um das Wirken dieser Institution für Geflüchtete nachvollziehbarer zu gestalten.
Ein weiterer wichtiger Faktor, um Vertrauen ganz grundsätzlich zu stärken und Sorgen abzubauen, ist aus soziologischer Perspektive der Zugang zu sozialen Netzwerken. Soziale Netzwerke können eine Brückenfunktion zwischen ansonsten getrennten Gruppen einnehmen und daher den Zugang von Zugewanderten zu gesellschaftlichen Institutionen und Informationen begünstigen.Mark S. Granovetter (1973): The Strength of Weak Ties. American Journal of Sociology 78(6), 1360–1380.
Im nächsten Abschnitt wird darauf aufbauend zwei Fragen nachgegangen. Erstens, inwieweit sind Geflüchtete bereits in soziale Netzwerke integriert, und zweitens, was bestimmt den Zugang Geflüchteter zu interethnischen Netzwerken?
Im Jahr 2018 wurden die Geflüchteten der IAB-SOEP-BAMF-Erhebung gefragt, wie oft sie Zeit mit Deutschen verbringen. Mögliche Antworten sind „täglich“, „mehrmals pro Woche“, „jede Woche“, „jeden Monat“, „selten“ sowie „nie“ (Kasten 3). Die Befragungsdaten zeigen, dass 57 Prozent der befragten Geflüchteten regelmäßig, das heißt täglich bis wöchentlich, Zeit mit Deutschen verbringen. Von den Geflüchteten, die in ländlichen Regionen Deutschlands leben, sind es sogar zwei Drittel. Der Unterschied von circa zehn Prozentpunkten zu den Geflüchteten, die in städtisch geprägten Gebieten wohnen, ist jedoch statistisch nicht signifikant.
Die Befragungsdaten legen weiterhin nahe, dass Geflüchtete vor allem im Rahmen ihres Freundeskreises Zeit mit Deutschen verbringen. 43 Prozent der Befragten geben an, dass sie regelmäßig freundschaftlichen Kontakt zu Deutschen pflegen (Abbildung 6). Dies trifft insbesondere auf Geflüchtete in ländlichen Regionen zu. Daneben spielt der nachbarschaftliche Kontakt sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten eine wichtige Rolle. So berichten insgesamt 40 Prozent der Befragten, dass sie regelmäßig Kontakt mit ihren deutschen Nachbarn haben. Dahingegen sind vergleichsweise wenige Geflüchtete an ihrem Arbeitsplatz in Kontakt zu Deutschen. Betrachtet man die Gruppe der Geflüchteten, die im Jahr 2018 erwerbstätig sind, gibt lediglich jeder Vierte an, dass er oder sie regelmäßig mit Deutschen in ihrem Berufsleben interagieren. Damit zeichnet sich ab, dass sich Geflüchtete und Mitglieder der Aufnahmegesellschaft nicht zwingend an ihren Arbeitsplätzen begegnen.
Ein weiterer wichtiger Berührungspunkt zwischen Geflüchteten und Einheimischen sind ehrenamtliche Tätigkeiten, denen im Anschluss an den „Sommer der Migration“ im Jahr 2015 viele Menschen nachgingen. Hierzu wurde die ansässige Bevölkerung im SOEP befragt (Kasten 2). So leisteten im Jahr 2016 circa ein Drittel der deutschen Bevölkerung Geld- oder Sachspenden für Geflüchtete und sechs Prozent engagierten sich vor Ort für Geflüchtete.Jannes Jacobsen, Philipp Eisnecker und Jürgen Schupp (2017): Rund ein Drittel der Menschen in Deutschland spendeten 2016 für Geflüchtete, zehn Prozent halfen vor Ort – immer mehr äußern aber auch Sorgen. DIW-Wochenbericht 17. 347–358. (online verfügbar). Im Jahr 2018 gaben sieben Prozent der SOEP-Befragten an, dass sie sich vor Ort für Geflüchtete engagieren, beispielsweise im Rahmen von Behördengängen. Somit bietet auch das ehrenamtliche Engagement eine Plattform für Geflüchtete und Einheimische, miteinander in direkten Kontakt zu treten. Stadt-Land-Unterschiede im ehrenamtlichen Engagement der Aufnahmegesellschaft zeigen sich nicht.
Insgesamt ergibt sich somit ein gemischtes Bild zum Kontakt zwischen Geflüchteten und Deutschen. Während über die Hälfte der Geflüchteten bereits regelmäßig mit Deutschen in Kontakt steht, verbleiben 43 Prozent der befragten Geflüchteten ohne regelmäßigen Zugang zu solchen sozialen Netzwerken. Dies wirft die Frage auf, welche Faktoren zum Kontakt zwischen Geflüchteten und der Aufnahmegesellschaft beitragen.
Die Ergebnisse einer multivariaten RegressionsanalyseIn den multivariaten Regressionsanalysen betrachten wir die Erwerbstätigkeit von Geflüchteten und deren Sprachfähigkeit nicht als Erklärungsfaktoren für die Häufigkeit interethnischer Kontakte, da Wechselwirkungen bestehen können: Wenn ein Geflüchteter erwerbstätig ist, kann angenommen werden, dass er oder sie auch regelmäßiger mit Deutschen in Kontakt steht. Gleichzeitig kann der regelmäßige Kontakt zu Deutschen auch das Sprungbrett in Erwerbstätigkeit darstellen (Verena Seibel, Frank von Tubergen (2013): Job-search methods among non-western immigrants in the Netherlands. Journal of Immigrant & Refugee Studies 11.3. 241–258). Eine ähnliche Logik kann auf Sprachkenntnisse angewendet werden. Damit ist die kausale Richtung der Effekte nicht zu bestimmen und kann zu Fehlinterpretationen führen. zeigen, dass geflüchtete Frauen mit signifikant geringerer Wahrscheinlichkeit (16 Prozent) regelmäßigen, das heißt täglichen oder wöchentlichen Kontakt zu Deutschen haben als geflüchtete Männer (Tabelle 1). Auch das Leben in einer Gemeinschaftsunterkunft ist mit einer signifikant geringeren Wahrscheinlichkeit für die regelmäßige Interaktion mit Deutschen verbunden. Hingegen ist der regelmäßige Kontakt zwischen Deutschen und Geflüchteten umso wahrscheinlicher, je länger die Geflüchteten bereits in Deutschland ansässig sind.
Zeit mit Deutschen | |
---|---|
Geschlecht (Referenz: Männlich) | −0,16*** |
(0,02) | |
Alter | −0,01*** |
(0,00) | |
Jahre seit Ankunft | 0,04*** |
(0,02) | |
Herkunftsregion (Referenz: Syrien) | |
Afghanistan | 0,01 |
(0,03) | |
Irak | 0,02 |
(0,04) | |
Rest der Welt | 0,03 |
(0,03) | |
Integrationskurs (Referenz: Nein) | −0,04 |
(0,02) | |
Gemeinschaftsunterkunft (Referenz: Nein) | −0,10*** |
(0,03) | |
Kinder (Referenz: Nein) | 0,02 |
(0,02) | |
Stadt (Referenz: Nein) | −0,04 |
(0,04) | |
N | 4178 |
Anmerkungen: * p < 0,05, ** p<0,01, *** p<0,001. Kontrolliert für Bundesländer. Geminderte Fallzahl durch fehlende Werte bei der abhängigen Variable sowie bei Angaben zum Leben in einer Gemeinschaftsunterkunft, zu Kindern sowie zum Bundesland.
Abhängige Variable: Zeit mit Deutschen (1 = Regelmäßiger Kontakt, 0 = Unregelmäßiger Kontakt)
Regressionsmethode: Lineare Regression, unstandardisierte Koeffizienten, robuste Standardfehler
Quellen: IAB-BAMF-SOEP Befragung Geflüchteter in Deutschland, v.35 (gewichtet), Welle 2018, N = 4178; eigene Berechnungen.
So werden sich mit der Zeit Geflüchtete und Deutsche vermutlich regelmäßiger in ihren sozialen Netzwerken begegnen. Der geringere regelmäßige Kontakt zwischen geflüchteten Frauen und Deutschen lässt allerdings darauf schließen, dass sich weibliche Geflüchtete besonderen Hindernissen gegenübersehen, die politischer Aufmerksamkeit bedürfen.
Der Bericht zeigt, dass der Weg des Zusammenwachsens von Geflüchteten und ihrer Aufnahmegesellschaft noch nicht abgeschlossen ist. Zwar nehmen die Sorgen der ansässigen Bevölkerung ab und nähern sich langsam dem Niveau des Jahres 2013 an, doch überwiegt auch im Jahr 2018 die Skepsis der Aufnahmegesellschaft über die kurz- und langfristigen Auswirkungen der Fluchtzuwanderung nach Deutschland. Demgegenüber stehen wachsende Sorgen Geflüchteter bezüglich Fremdenfeindlichkeit, zum Teil mangelndes Vertrauen in Schlüsselinstitutionen des deutschen Staates sowie weiterhin begrenzter Zugang zu interethnischen Netzwerken.
Die soziale und subjektive Integration Geflüchteter erscheint somit als langfristiges gesellschaftliches Projekt, das noch nicht abgeschlossen ist und weiterhin der öffentlichen Aufmerksamkeit bedarf. Dies gilt insbesondere für den ländlichen Raum, da die dort ansässige Bevölkerung Geflüchteten besonders skeptisch gegenübersteht, wenngleich hier regelmäßige Kontakte im Freundeskreis häufiger vorkommen als in der Stadt. Ein erster Schwerpunkt staatlicher Intervention müsste sein, die Sorgen rund um Zuwanderung und Fremdenfeindlichkeit abzubauen. Hierfür sollten interethnische, soziale Netzwerke gestärkt werden, um positive Narrative zwischen Neuankommenden und Alteingesessenen zu initiieren. Diese können abstrakte Sorgen auf beiden Seiten abbauen. Neben dem Erschaffen neuer, positiver Narrative nehmen solche Netzwerke überdies eine wichtige Brückenfunktion zwischen ansonsten getrennten gesellschaftlichen Gruppen ein. Es gilt daher, zukünftig über das Angebot der Integrationskurse hinauszugehen und beispielsweise die vielfach seit 2015 entstandenen Tandemprojekte der Zivilgesellschaft zu verstetigen, in den ländlichen Raum zu tragen und somit nachhaltig zu gestalten.Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2020): Flüchtlingspolitik und Integration – Menschen stärken Menschen (online verfügbar). Insbesondere geflüchtete Frauen sollten hier in den Blick genommen werden. Im Einklang mit früheren Analysen zu struktureller Integration kann gezeigt werden, dass sie auch beim Zugang zu interethnischen Netzwerken benachteiligt sind. Um auch Frauen eine Brücke in die hiesige Gesellschaft zu bauen, gilt es ganz besonders, deren Bedürfnisse, beispielsweise mit Blick auf die Betreuung von Kindern, zu beachten.Ludovica Gambaro, Guido Neidhöfer und C. Katharina Spieß (2019) Kits-Besuche von nach Deutschland geflüchteten Familien verbessert die Integration ihrer Mütter. DIW-Wochenbericht 44. 805–812. (online verfügbar).
Darüber hinaus deuten die Analysen darauf hin, dass insbesondere das Wirken der öffentlichen Verwaltung transparenter gestaltet werden sollte. Grundsätzlich besteht bei Geflüchteten ein hohes Maß an Vertrauen in die Polizei, den Rechtsstaat und mit Abstrichen auch in die öffentliche Verwaltung. Allerdings könnte es problematisch sein, dass rund ein Drittel bis ein Viertel der Geflüchteten dieses große Vertrauen in demokratische Schlüsselinstitutionen nicht teilt. Das Vertrauen gilt es anhand transparenter Verfahren noch mehr zu stärken, um die bestehende Legitimität dieser Institution bei den Geflüchteten nicht zu gefährden.
Themen: Migration, Arbeit und Beschäftigung
Keywords: refugees; concerns about immigration; trust; integration; bridging ties
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-34-5
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226725