Schuldenbremse lieber modifizieren als abschaffen: Kommentar

DIW Wochenbericht 5 / 2021, S. 76

Alexander Kriwoluzky

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Selten hat ein eher abstrakter Begriff wie die Schuldenbremse so die Gemüter erregt wie in den letzten Tagen. Für die einen ist die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ihr „Fetisch“ und fester Bestandteil einer wirtschaftspolitischen Grundordnung, für die anderen ein Zwangskorsett und der Grund für die zunehmende Unfähigkeit Deutschlands, sich den ökologischen und digitalen Herausforderungen der Zukunft zu stellen.

Auslöser war der Vorschlag des Chefs des Bundeskanzleramts, Helge Braun, die Schuldenbremse statt durch jährliche Einzelfallentscheidungen gleich für ein paar Jahre durch eine Grundgesetzänderung außer Kraft zu setzen. Der Vorschlag basiert auf der Einsicht, dass die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie die Sozialkassen und die öffentlichen Haushalte noch auf Jahre mit hohen Ausgaben belasten und Steuererhöhungen den wirtschaftlichen Aufschwung gefährden würden. Bleiben also nur noch neue Schulden als Ausweg. Versperrt die Schuldenbremse tatsächlich diesen Ausweg und sollte länger ausgesetzt oder sogar abgeschafft werden?

Ein Argument für die Schuldenbremse ist, dass sie funktioniert. Länder, die ihrer Fiskalpolitik Regeln auferlegen, kommen besser durch Krisen. Ein wichtiger Grund dafür ist der fiskalpolitische Spielraum, der es erlaubt, die Staatsausgaben in Krisenzeiten zu erhöhen. Dieser fiskalpolitische Spielraum wird durch einen geringeren Zinsaufschlag auf die Staatsanleihen und damit einer geringen zusätzlichen Belastung des Staatshaushaltes geschaffen. Solides Wirtschaften zahlt sich demnach in Krisenzeiten aus.

Diese positive Erfahrung hat Deutschland in der jetzigen Wirtschaftskrise gemacht. Und Helge Braun hat vollkommen recht, wenn er sagt, dass Steuererhöhungen dem Wirtschaftswachstum schaden und die langfristige Erholung gefährden.

Welche Alternative gibt es noch? Die Pandemie hat den Nachholbedarf Deutschlands in vielen Bereichen, vor allem in der Digitalisierung, aufgezeigt. Das Sparen als Folge der Schuldenbremse ging auf Kosten der öffentlichen Investitionen in eine moderne und nachhaltige Infrastruktur. Um die Infrastruktur grundlegend zu modernisieren, wird in Deutschland der zusätzliche jährliche Investitionsbedarf auf 30 bis 150 Milliarden Euro angesetzt. Das ist – bei einem jährlichen Bundeshaushalt von rund 500 Milliarden Euro – auf den ersten Blick kaum vereinbar mit einem soliden Staatshaushalt.

Allerdings haben öffentliche Investitionen einen starken Wachstumseffekt, da sie private Investitionen und Konsum nach sich ziehen. Der Wachstumseffekt ist gerade in der jetzigen Situation enorm. Zum einem ist der Investitionsstau so groß, dass jede zusätzliche Investition einen großen Effekt hat. In vielen Bereichen wird eben nicht die fünfte Spur der Autobahn gebaut, sondern es werden Grundlagen geschaffen.

Des Weiteren befindet sich die Wirtschaft schon länger in einem Umfeld niedriger Zinsen, in dem fiskalisch expansive Politik einen größeren Effekt auf die Wirtschaft hat als in normalen Zeiten. Kredite sind damit sehr günstig und es ist auch nicht zu erwarten, dass die Zentralbank ihre Zinsen auf absehbare Zeit anhebt. Jeder investierte Euro erhöht damit die Wirtschaftsleistung. Da die Tragfähigkeit der Schulden eines Landes relativ zur Wirtschaftskraft gemessen wird, erlaubt dies Deutschland, in der nächsten Wirtschaftskrise wieder günstig Kredite aufnehmen zu können. Und das nicht trotz, sondern aufgrund der Investitionen.

Deswegen muss die Schuldenbremse so modifiziert werden, dass sie dringend benötigte öffentliche Investitionen erlaubt. Dies sollte auch fest im Grundgesetz verankert sein. Andererseits sollte die Schuldenbremse nach dem Ende der Pandemie auch mittelfristig wieder gelten. So würde Deutschland in den Genuss sowohl der Wachstumseffekte der Investitionen als auch der Solidität der Staatsfinanzen kommen.

Alexander Kriwoluzky

Abteilungsleiter in der Abteilung Makroökonomie

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