DIW Wochenbericht 8 / 2021, S. 116
Ben Wealer, Erich Wittenberg
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Herr Wealer, am 11. März 2021 jährt sich der Reaktorunfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima zum zehnten Mal. In der Folge hat Deutschland beschlossen, aus der kommerziellen Nutzung von Kernkraft auszusteigen. Ließen sich die Risiken vielleicht doch handhaben oder ist die Kernkraft prinzipiell störanfällig? Seit Beginn der Nutzung der Kernenergie kam es tatsächlich immer wieder zu Störungen. Unsere Analyse zeigt, dass große Atomkatastrophen wie Fukushima oder Tschernobyl zwar eher selten sind. Aber es gibt eine Vielzahl von Zwischenfällen und in jedem Jahrzehnt auch größere Unfälle. Dass die Risiken nicht handhabbar sind, zeigt sich auch dadurch, dass die Kernenergie bis heute nicht versicherbar ist.
Wie häufig kommt es zu Störfällen? Mangels offizieller Daten lässt sich das schwer beantworten. Was sich aber bemerkbar macht, sind die steigenden Ausfallzeiten von Kernkraftwerken. Hier sind die Gründe vielfältig. Wir haben einen alternden Kraftwerkspark und damit längere Wartungszeiten. Ein Aspekt, der nach Fukushima auch dazu kam, sind gestiegene Sicherheitsanforderungen. Zudem kann man vermehrt externe Faktoren beobachten, die einen Einfluss auf die Ausfallzeiten haben. In Frankreich führen niedrige Flusspegel oder auch zu warmes Kühlwasser im Sommer dazu, dass Kraftwerke teilweise ganz abgeschaltet werden müssen.
Was bedeutet das für die Kapazitätsauslastung und die Wirtschaftlichkeit von Kernkraftwerken? Durch steigende Ausfallzeiten sinkt die Kapazitätsauslastung, und durch kürzere Wartungsintervalle und steigende Sicherheitsanforderungen wird der Betrieb von den Kernkraftwerken für die Betreiber zunehmend unwirtschaftlich. Das kann man sehr gut in den USA beobachten, wo Reaktoren Laufzeitverlängerungen bis zu 60 Jahren, teilweise sogar 80 Jahren bekommen, aber die Kraftwerke dann trotzdem früher vom Netz gehen, weil sie einfach unwirtschaftlich sind.
Wie hat sich die Nutzung von Kernkraft seit der Katastrophe von Fukushima global entwickelt? Interessant ist, dass der Anteil der Kernkraft an der Stromproduktion weltweit schon vor Fukushima rückläufig war. Das gilt auch für Japan. Schaut man sich die weltweiten Baustarts an, so waren diese schon in den siebziger Jahren rückläufig, also vor den bekannten Unfällen wie Three Mile Island 1979, Tschernobyl 1986 und auch vor Fukushima. Die Atomindustrie war also schon abseits der Unfälle auf dem absteigenden Ast.
Welche Länder halten noch immer am Atomstrom fest und wie hoch ist der Anteil dieser Länder an der globalen Stromerzeugung? Bis auf wenige Ausnahmen sind fast alle Netzanschlüsse in den letzten Jahren in China erfolgt. Fast die Hälfte der 52 Kraftwerke wird im asiatischen Raum gebaut., davon 15 in China. Der Neubau von Kernkraftwerken in Europa und Nordamerika ist vernachlässigbar. Atomkraft spielt insgesamt eine kleine Rolle in der Stromproduktion. Aktuell liegt der Anteil weltweit bei zehn Prozent.
Was bedeuten ihre Ergebnisse für die zukünftige Energiepolitik? Unsere Analyse zeigt vor allem die hohen Sicherheitsrisiken und die fluktuierende Fahrweise von Kernkraftwerken. Dies wurde bis dato in der energiewirtschaftlichen Analyse weitestgehend vernachlässigt. Kernkraft ist nicht nur unwirtschaftlich, sondern auch die komplizierteste und gefährlichste Art der Stromproduktion. Bis heute ist sie nicht versicherbar.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Europa, Energiewirtschaft
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-8-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/232995