Im Jahr 2015 wurde in Deutschland ein flächendeckender Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde eingeführt. Dieser gilt für die meisten abhängig Beschäftigten in Deutschland mit Ausnahmen von Langzeitarbeitslose, ungelernte Jugendliche unter 18 Jahren sowie bestimmte Gruppen von Praktikant*innen und Auszubildende.
Die Festsetzung des Mindestlohns erfolgt basierend der Empfehlung der Mindestlohnkommission, die aus stimmberechtigten Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseiten besetzt wird, sowie Mitgliedern aus der Wissenschaft ohne Stimmrecht. Seit der Einführung des Mindestlohns wurde dieser wiederholt angehoben. Die letztmalige Anhebung erfolgte zum 1.1.2025 auf 12,82 Euro brutto pro Stunde.
Die Einführung der Mindestlohnregelungen zielt auf die Verbesserung der Verdienste im Niedriglohnsektor ab. Gleichzeitig besteht eine Gefahr, dass ein hoher Mindestlohn Arbeitsplätze vernichten kann. Diese Erwartung geht auf die klassische neo-liberale Wirtschaftsschule zurück, die davon ausgeht, dass ein Mindestlohn einen negativen Beschäftigungseffekt mit sich bringt. Diese Theorie geht davon aus, dass sich der Arbeitsmarkt in einem Marktgleichgewicht befindet, und die Mindestlohneinführung über dem bestehenden Gleichgewichtsniveau erfolgt. Im Gegensatz dazu geht man im Monopsonmodell davon aus, dass der Arbeitsmarkt aufgrund unterschiedlicher Marktmacht nicht in einem Gleichgewicht ist und daher Löhne unterhalb des Marktgleichgewichts gezahlt werden. Gilt das Monopsonmodell so sollte die Einführung eines Mindestlohns nicht zwingenderweise zu steigender Arbeitslosigkeit führen.
Der Konsens mehrere internationalen empirischen Studien ist, dass ein Mindestlohn nicht immer zu Jobverlusten führt, dennoch sind diese nicht ausgeschlossen. In den ersten Jahren nach der Einführung des Mindestlohns in Deutschland wurde kein bedeutender Beschäftigungsrückgang festgestellt. Die Stundenlöhne im Niedriglohnsektor wuchsen und gleichzeitig hat der Niedriglohnsektor an Bedeutung verloren.Vgl. Markus M. Grabka (2024): Niedriglohnsektor in Deutschland schrumpft seit 2017. DIW Wochenbericht Nr. 5, S. 68–76. Die Verbesserung der Monatsverdienste erfolgte allerdings in einem eingeschränkten Maße. Denn einige Teilzeitbeschäftigte reduzierten ihre Arbeitszeit und viele Minijobs in diesem Segment haben eine feste Verdienstobergrenze. Die bisherige Wirkung des Mindestlohns muss im Kontext der eher günstigen Konjunkturlage und des Arbeitskräftemangels der vergangenen Jahre gesehen werden.
Ein großes Problem bei der Einführung des Mindestlohns weltweit ist die Nicht-Einhaltung des Gesetzes. Nach Schätzungen auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) für die ersten Jahre nach der Mindestlohneinführung, haben circa zwei Millionen anspruchsberechtigte Beschäftigte den Mindestlohn nicht erhalten. (Siehe WB 19/2017, Tabelle 1) Schätzungen der Verdiensterhebung – basierend auf den Arbeitgebermeldungen – lagen bei circa einer Million Beschäftigten mit Stundenlöhnen unter dem Mindestlohnniveau. Obwohl die Ausmaßschätzungen einzelner Aspekte der Schattenwirtschaft naturgemäß schwierig sind, geben sie einen Hinweis auf die strukturellen Defizite in der Durchsetzung des Mindestlohns. In Deutschland ist der Zoll und seine Finanzkontrolle Schwarzarbeit für die Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohns zuständig. Seit der Einführung des Mindestlohns wurde mehrfach auf den Personalmangel und andere Hürden für effiziente Kontrollen hingewiesen.
Die Nichteinhaltung des Mindestlohns variiert stark mit den Merkmalen der Beschäftigten (Tabelle 2). Beispielsweise ist Non-Compliance bei Nebentätigkeiten, bei Frauen, bei ausländischen Staatsbürgern, jungen ArbeitnehmerInnen und solchen im Rentenalter, bei Beschäftigten ohne Schulbildung und Beschäftigten in Ostdeutschland höher. Auch die Art der Tätigkeit spielt eine Rolle. Hier sind die Anteile derer, die trotz Anspruchs keinen Mindestlohn erhalten, bei befristet Beschäftigten und bei Beschäftigten in Klein- beziehungsweise Kleinstbetrieben, sowie bei Nebentätigkeiten überdurchschnittlich hoch.
Besonders auffällig für Non-Compliance sind Minijobs. Dort lag die Non-Compliance-Quote in den Jahren nach Einführung des Mindestlohns schätzungsweise bei circa 50 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse. Die festgesetzte Verdienstobergrenze der Minijobs schafft einen strukturellen Fehlanreiz für Beschäftigte und ihre Arbeitgeber, die formelle Beschäftigung in diesem Rahmen zu gestalten.
Stand: 13.1.25
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Was hat der Mindestlohn in Deutschland bewirkt? : Interview mit Alexandra Fedorets
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Mindestlohn: Ein steiniger Weg zu einer »High-Road«-Strategie, ifo Schnelldienst 4/2020
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Her mit der „Fair-Pay“-Plakette! Neue Ideen könnten dafür sorgen, dass der Mindestlohn endlich eingehalten wird, in: Süddeutsche Zeitung am 21.10.2018
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