Statement vom 24. November 2021
Den Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP kommentiert Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), wie folgt:
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben mit dem Koalitionsvertrag einen vielversprechenden Start hingelegt. Die Harmonie und der Zusammenhalt der drei Parteien nach außen sind beeindruckend und scheinen eine gute, vertrauensvolle Basis für die Regierungsarbeit zu sein.
Der Koalitionsvertrag ist ausgewogen und ambitioniert. Er ist ausgewogen, da er dem Dreiklang an Aufgaben – dem Klimaschutz, der digitalen Transformation und der sozialen Erneuerung – gleichermaßen großes Gewicht gibt. Er ist ambitioniert, da er eine Fülle von Maßnahmen vorsieht, die nicht nur das Erreichen der Klimaschutzziele bis 2030 ermöglichen, sondern auch konsistent mit dem 1,5-Grad-Ziel sind. Damit würde Deutschland eine Vorreiterrolle in Europa einnehmen und ein wichtiges Signal an die Nachbarn senden.
Neben dem Kapitel zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz ist vor allem die soziale Agenda überzeugend. Der Koalitionsvertrag verspricht eine große Palette an Maßnahmen, um Bildung und Forschung, soziale Absicherung, Familien und Inklusion zu stärken. Ob dies gelingt, hängt nicht nur von der neuen Bundesregierung, sondern auch von den Bundesländern ab.
Die wirtschaftspolitische Agenda halte ich für zu wenig ambitioniert. Die Ampel-Koalition will zwar eine schnelle digitale Transformation und eine Entbürokratisierung, die Maßnahmen sind jedoch zu wenig konkret oder nicht immer realistisch. Der Schwerpunkt scheint zu sehr auf einer rückwärtsgewandten Wirtschaftspolitik zu liegen, den Hauptfokus auf die Industrie und Automobilbranche halte ich für ein schlechtes Signal.
Ich hätte mir auch einen wesentlich stärkeren Fokus auf Europa und Multilateralismus gewünscht, denn fast alle der besprochenen Bereiche werden eine engere Koordination auf europäischer Ebene verlangen.
Der Koalitionsvertrag beinhaltet massive Zukunftsinvestitionen. Es bleibt jedoch offen, wie diese finanziert werden sollen. Der Koalitionsvertrag löst den Widerspruch von Steuersenkungen, Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023 und höheren Staatsausgaben nicht nur nicht auf, sondern verschärft ihn.
Ungelöst bleibt auch die Finanzierung der Sozialsysteme, vor allem der gesetzlichen Rente, deren Kosten in Zukunft explodieren werden und ein frühzeitiges Gegensteuern erfordern. Hier sollte die Koalition in den kommenden Monaten nachbessern.