Medienbeitrag vom 9. November 2021
Die Neuauflage des rot-rot-grünen Regierungsbündnisses in Berlin steht schon vor dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen stark unter Druck. Der Volkszorn über ständig steigende Mieten hat sich parallel zur Abgeordnetenhauswahl im Enteignungs-Volksentscheid Luft gemacht. Nach dem Scheitern des Mietendeckels stimmte die Mehrheit dafür, private Immobiliengesellschaften mit mehr als 3000 Wohnungen zu enteignen.
Dieser Gastbeitrag von Stefan Bach und Claus Michelsen, früherer Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik am DIW Berlin, ist am 09.11.2021 im Tagesspiegel erschienen.
Das ist ein weiterer fragwürdiger Versuch, den Berliner Wohnungsmarkt zu entspannen: Unklare Entschädigungsverpflichtungen bis zu höheren zweistelligen Milliardenbeträgen, Verunsicherung „guter“ Investoren und „fairer“ VermieterInnen – und damit ist noch keine einzige neue Wohnung gebaut, die das Problem dauerhaft entspannt. Sinnvollerweise wird der neue Senat das Thema erst mal mit langwierigen Prüfungsaufträgen auf die lange Bank schieben. Dann muss er aber auf den Bauplätzen der Stadt liefern.
Vieles an der heutigen Debatte erinnert an die Roaring Twenties – die tatsächlich nicht so goldenen 1920er Jahre, in denen Berlin tanzte, wuchs, und vor allem aus allen Nähten platzte. Schon zu Kaisers Zeiten waren die Wohnverhältnisse für die einfachen Leute ziemlich prekär – und nach 10 Jahren Baustopp durch Ersten Weltkrieg, Nachkriegswirren und Inflation katastrophal.
Dann klotzten entschlossene sozialdemokratische und linksliberale Stadtpolitiker zusammen mit der Bau- und Wohnungswirtschaft riesige Wohnungsbauprogramme auf die grüne Wiese. Bautechnisch und städtebaulich waren die Projekte gerade in Berlin häufig innovativ und richtungsweisend: Es entstanden die klassischen Siedlungen des „Neuen Bauens“, etwa die Hufeisensiedlung, die Weiße Stadt oder die die Waldsiedlung Zehlendorf – die Architektur-Nerds und Bildungsbürger bis heute begeistern und nach wie vor beliebte Wohnlagen sind.
Für die Finanzierung sorgte die „Hauszinssteuer“ – eine Sondersteuer auf die Mieterträge, mit der Vermögensgewinne der Immobilieneigentümer abgeschöpft wurden. Denn deren Schulden waren durch die Hyperinflation 1923 so gut wie verschwunden. Im Gegenzug wurde die strikte Mietpreisbremse aus der Kriegszeit sukzessive gelockert. Die Hauszinssteuer erzielte deutschlandweit ein jährliches Aufkommen von bis zu zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts – das wären heute rund 75 Milliarden Euro im Jahr, mehr als das Doppelte von Grundsteuer, Grunderwerbsteuer und Erbschaftsteuer zusammengenommen.
Auch heute wäre das eine probate Alternative zu den Enteignungs- und Regulierungsexperimenten der vergangenen Jahre, die weitgehend zum Scheitern verurteilt waren und sind. Motto: Wenn schon Enteignung, dann richtig und die Richtigen. Wir werden doch alle ständig enteignet – durch die Steuern. Und zwar ohne direkte Entschädigung, als Gegenleistung gibt es dafür die öffentlichen Leistungen.
Die Berliner Wohnungseigentümer sind während der Immobilienmarkthausse der letzten Jahre kräftig bereichert worden, ohne viel dafür getan zu haben. Generell ist Deutschland bei Immobilien ein Niedrigsteuerland. Und selbst in der Corona-Krise hielten sich die Mieten recht gut, nicht zuletzt, weil der Staat an anderer Stelle massiv ausgeholfen hatte und durch umfangreiche Transfers Mietausfälle verhinderte. Die fiskalisch gebeutelten Mittelschichten und Besserverdiener zahlen dagegen auf ihre Erwerbseinkommen schnell 30 Prozent Einkommensteuer und Soli, plus Sozialabgaben, plus indirekte Steuern auf den Verbrauch.
Wie könnte eine Mietensteuer also aussehen? Am einfachsten wäre eine moderate Belastung aller ImmobilieneigentümerInnen mit einem Steuersatz von zum Beispiel 3 Prozent auf die Nettokaltmiete. Das ist leicht zu erheben, eine Umlage über die Nebenkosten ist nicht vorgesehen. Allerdings würden dann „faire“ VermieterInnen mit günstigen Mieten und Miethaie gleichbehandelt. Mieten die unterhalb der ortüblichen Vergleichsmiete liegen würden in Reaktion wahrscheinlich im Rahmen des rechtlich möglichen angehoben, also auf die MieterInnen überwälzt.
Besser wäre eine progressive Mietensteuer. Diese könnte normale Mieten steuerfrei stellen, etwa bis zu 110 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete. Übersteigende Mietanteile würden dagegen zunehmend stärker belastet, zum Beispiel oberhalb von 110 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete mit 10 Prozent, oberhalb von 120 Prozent mit 20 Prozent und oberhalb von 130 Prozent mit 30 Prozent. Die Steuer würde hier auf die hohen Mieten und somit die damit realisierte „Bodenrente“ konzentriert.
Außerdem wäre eine Überwälzung der Steuer auf die MieterInnen kaum möglich, da sich die besteuerten Mieten bereits an den Marktmieten orientieren. Das Vergleichsmietenrecht verhindert in diesen Fällen eine Mieterhöhung in laufenden Verträgen. Aufwändiger ist allerdings die Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete. Dazu müsste man sich auf die wesentlichen wertbestimmenden Merkmale beschränken.
Nach unseren Berechnungen mit detaillierten Haushaltsdaten der amtlichen Statistik aus dem Jahr 2018 würde eine solche progressive Mietensteuer in Berlin immerhin ein jährliches Aufkommen von rund 200 Millionen Euro erzielen, das wären 1,2 Prozent der Berliner Steuereinnahmen 2018. Damit können Wohnungsbauprojekte angeschoben, Belegungsrechte für Sozialwohnungen erworben oder Haushalte in prekärer finanzieller Lage unterstützt werden.
So können mit dem Aufkommen beispielsweise die Mieten in 100.000 Wohnungen um 2,50 Euro je Quadratmeter und Monat gesenkt werden. Das Aufkommen könnte alternativ als Eigenkapital eingesetzt werden, um rund 7500 Wohnungen jährlich auf kommunalem Grund zu errichten. Dies entspricht immerhin knapp 50 Prozent der aktuellen Bautätigkeit in Berlin oder rund 125 Prozent der Bautätigkeit der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Dies würde den Wohnungsmarkt in Berlin entspannen und dadurch die Mieten für alle BerlinerInnen senken.
Themen: Immobilien und Wohnen