Medienbeitrag vom 31. März 2021
Dieser Gastbeitrag von Alexander S. Kritikos ist am 31.03.2021 im Tagesspiegel erschienen.
Die zweite Phase der pandemiebedingten Ausgangsbeschränkungen dauert nun schon geschlagene fünf Monate an und ein Ende ist noch nicht absehbar. Auch im April ist mit keinen größeren Öffnungsperspektiven zu rechnen. Ganz im Gegenteil: Trotz aller Eindämmungsmaßnahmen rollt die dritte Welle der Pandemie auf uns zu und die Rufe nach einem schärferen Lockdown mehren sich. Der zeitliche Ablauf des Stufenplans mit fünf Öffnungsschritten ist bereits wieder Makulatur.
Trotzdem kommt die Wirtschaft ganz anders durch diese zweite Phase: Vor allem das verarbeitende Gewerbe, immer noch ein Rückgrat der Wirtschaft in Deutschland, hatte in der ersten Phase Federn lassen müssen. Die Automobilproduktion und andere Teile des verarbeitenden Gewerbes standen für kurze Zeit sogar komplett still. Im April 2020 waren knapp sieben Millionen Menschen in Kurzarbeit. Ganz anders jetzt: Im zweiten Lockdown produziert die Industrie durchgehend stabil und wächst sogar, solange es nicht unabhängig von der Pandemie zu Lieferengpässen kommt, etwa aufgrund blockierter Schifffahrtswege wie kürzlich im Suezkanal.
Das Allzeithoch des Deutschen Aktienindex im laufenden Monat verstärkt den Eindruck, trotz Pandemie stünde wirtschaftlich alles zum Besten. Doch es ist bei weitem nicht so. Denn während die überwiegende Mehrheit der abhängig Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe (und anderen nicht betroffenen Sektoren wie dem Bau oder der Versicherungswirtschaft) trotz aller pandemischer Sorgen einen Job haben und kaum finanziellen Druck verspüren, treffen die Ausgangsbeschränkungen andere Bereiche erheblich: vor allem den stationären Handel, die Gastronomie und Hotellerie, die Kultur- und Kreativwirtschaft, die Eventbrche, die Reisebranche und weitere Dienstleistungsbereiche. Obwohl diese vom Lockdown betroffenen Branchen geschätzt rund 20 Prozent der Wertschöpfung in Deutschland ausmachen, werden ihre massiven wirtschaftlichen Sorgen von den insgesamt noch positiven Prognosen über den Anstieg des Bruttoinlandsprodukts verdeckt – derzeit werden für das Jahr 2021 drei Prozent erwartet.
Das Problem für die Politik ist, dass in den betroffenen Branchen anteilig mehr Selbständige arbeiten als etwa im verarbeitenden Gewerbe, es aber kein bewährtes Instrumentarium zur Unterstützung von Selbstständigen in einer solchen Krise gibt, wie etwa das Kurzarbeitergeld bei den abhängig Beschäftigten. Viele Selbständige haben hohe Umsatz- und Einkommensverluste erlitten und sehen sich in der Pandemie immer wieder – und manche, wie in der Eventbranche, fortlaufend – in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Einige haben aufgegeben.
Es hat nicht an Versuchen gemangelt, dieser Erwerbsform staatliche Unterstützung zukommen zu lassen. Nach der Soforthilfe im vergangenen Frühjahr wurde mit den Überbrückungshilfen I, II (einschließlich November- und Dezemberhilfen) und III (einschließlich Neustarthilfe für Soloselbstständige und Härtefallhilfen) sowie steuerlicher Maßnahmen eine inzwischen eher unübersichtliche Zahl von Hilfspaketen auf den Weg gebracht. Auch auf den vereinfachten Zugang zur Grundsicherung wird verwiesen.
Aber so beeindruckend diese Vielzahl von Hilfspaketen erscheint, geholfen haben sie den betroffenen Selbständigen nur sehr begrenzt. Mit Ausnahme der Neustarthilfe, die in überschaubarem Ausmaß Lebenshaltungskosten deckt, ersetzen alle anderen Hilfen fixe Betriebskosten. Viele Selbstständige haben aber keine fixen Betriebskosten und können sich davon nicht den Kühlschrank füllen.
Das betrifft vor allem die mehr als zwei Millionen Soloselbständigen in Deutschland. Und während die Soforthilfe immerhin relativ unkompliziert und innerhalb weniger Tage ausbezahlt wurde, warten viele Selbstständige im März 2021 noch immer auf die sogenannten Novemberhilfen. Auch das Stellen der Hilfsanträge ist bei den Überbrückungshilfen aufwendig und kostspielig, muss doch eine Steuerberatung zwischengeschaltet sein. Außerdem parken viele Betroffene die Hilfen auf dem Konto – aus Sorge, sie müssten sie zurückzahlen. All das schwächt die Wirkung erheblich, wenn sie nicht ganz ausbleibt, weil Selbständige zu lange auf Auszahlungen warten müssen.
Selbstständige sind aufgrund der staatlich verfügten Eindämmungsmaßnahmen finanziell in Not geraten. Weitere Maßnahmen wie Homeschooling setzen sie zusätzlich unter Druck. In dieser Situation brauchen sie von der Politik verlässliche, mit wenig Aufwand zu beantragende und schnell gewährte finanzielle Hilfen. Leider trifft kaum eine dieser Eigenschaften auf die Hilfspakete zu. Die vielzitierte Bazooka ist zu dem geworden, was das Wort bezeichnete, bevor eine Waffe so genannt wurde: eine Posaune, die Lärm macht, aber keine größere Wirkung zeigt.
Unter den betroffenen Selbstständigen macht sich zunehmend Resignation breit. Trotz vieler Rückkopplungen zeigt sich die Bundesregierung nicht bereit, sich auf diese Erwerbsform wirklich einzustellen und sie wirkungsvoll und verlässlich zu unterstützen. Hinzu kommt ein zweites Problem. Auch ein Jahr nach Beginn der Pandemie stehen in der Diskussion über den Umgang mit ihr prioritär Beschränkungen zur Disposition. Konzepte, die schrittweise Öffnungen auf Basis von Impfungen, Hygienemaßnahmen, Tests und Nachverfolgung anstreben, finden sich dagegen nur in einzelnen Pilotprojekten. Wenn es schon nicht möglich ist, vernünftigere Unterstützungsangebote für Selbständige zu entwickeln, ist es höchste Zeit, aus erfolgreichen Pilotprojekten eine vorsichtige Öffnungsstrategie zu entwickeln, die alle verfügbaren Technologien einsetzt und nicht die dritte Welle verstärkt. Selbstständige brauchen eine solche Perspektive dringend.
Themen: Arbeit und Beschäftigung