DIW Wochenbericht 13 / 2022, S. 216
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Ob Deutschland ein Embargo gegen russisches Gas und Öl verhängen soll, ist derzeit eine der strittigsten Fragen. Der Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger fordert, man solle ein Embargo so lange durchhalten, bis es einen „stabilen Waffenstillstand“ in der Ukraine gibt. Die größte Hürde sind jedoch wir selbst: Unsere Unwilligkeit, auch nur kleinere Einschränkungen – wie ein Tempolimit oder höhere Spritpreise – in Kauf zu nehmen, dürfte ein Embargo politisch scheitern lassen.
Bei dem Ziel, sich nun schnell aus der Abhängigkeit von russischem Gas und Öl zu lösen, besteht in der EU große Einigkeit. Einig ist man sich auch, dass moralisch ein Embargo richtig sei. Dabei ist diese Einigkeit voll von Widersprüchen. Denn diese Forderungen gab es bereits nach Russlands Annexion der Krim. Politik und Wirtschaft haben damals aber das Gegenteil getan: Man hat den Bau von Nord Stream2 vorangetrieben und sich noch stärker von Russland abhängig gemacht.
Viele in Europa fragen: Wie lange kann Russland ein Embargo durchhalten? Eine vielleicht wichtigere Frage: Wie lange halten wir Deutschen ein Embargo durch? Die russische Diktatur zeigt seit langem, dass für sie das Wohlergehen der Bevölkerung kein relevanter Faktor ist. Anders ist dies in den Demokratien Europas: Hier spielt bei politischen Entscheidungen das Wohlergehen der Menschen eine zentrale Rolle. Bürgerinnen und Bürger nehmen ihre Regierungen in die Pflicht, die Kosten großer Krisen wie der Finanzkrise 2008/2009, der Pandemie oder jetzt des Krieges abzufedern oder ganz auszugleichen.
Und hier liegt der Widerspruch: Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger spricht sich für ein Embargo aus. Die meisten sprechen sich allerdings auch gegen vergleichsweise kleine Einschränkungen aus. Sie lehnen etwa ein Tempolimit, einen autofreien Sonntag oder einen Spritpreis von 2,30 Euro pro Liter ab. Es ist eine gefährliche Illusion entstanden, was ein Embargo für die Menschen bedeuten würde. Dies wird zudem von manchen in der Politik mit unrealistischen Versprechen weiter geschürt. So fokussieren sich viele Bemühungen darauf, andere Anbieter für fossile Energieträger im Mittleren Osten zu finden. Auch wenn diese notwendig sind, so gehört zur Wahrheit: Ein Embargo gegen Russland kann nur primär durch Einsparungen beim Verbrauch gelingen, wie auch Analysen der Denkfabrik Bruegel zeigen. Die Politik setzt aber keine Anreize, den Verbrauch zu reduzieren, sondern subventioniert ihn sogar noch. Selbst ein Tempolimit oder ein autofreies Wochenende scheinen Tabus zu sein.
Wenn aber schon kleine Maßnahmen nicht durchsetzbar sind, wie soll dann ein Embargo mit einer drohenden Rezession, hoher Inflation und Arbeitslosigkeit auf mehr Akzeptanz stoßen?
Und wie lange würde die Politik einen solchen Kurs durchhalten? Wenn man die Corona-Pandemie als Maßstab nimmt, dann ist die Antwort wohl: nur wenige Monate. Denn nach einem hohen Maß an Solidarität und wirtschaftlichen Einschränkungen im Frühling 2020 verflüchtigte sich diese Einigkeit und die Politik hatte weder den Mut noch die Möglichkeit, in den folgenden Corona-Wellen die Einschränkungen der ersten Welle wieder einzuführen. In der Abwägung erhielten Grundrechte und wirtschaftliche Interessen mehr und der Schutz von Gesundheit und Menschenleben zunehmend weniger Gewicht.
Ein Embargo gegen Gas und Öl aus Russland wäre moralisch wie politisch notwendig. Es dürfte jedoch am fehlenden Willen scheitern, den wirtschaftlichen Preis dafür zu zahlen. Schon jetzt traut die Politik den Menschen nicht die Wahrheit zu, nämlich dass ohne Energiewende, Verkehrswende und ohne zumindest temporäre Einschränkungen unseres täglichen Lebens weder mittelfristig die Auswirkungen des Kriegs zu bewältigen sind noch langfristig der Klimaschutz gelingen kann. Das sind die denkbar schlechtesten Voraussetzungen, um ein Embargo durchzuhalten.
Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 25. März 2022 bei Focus Online erschienen.
Themen: Energiewirtschaft
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-13-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/252295