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Politische Lähmung in den USA wahrscheinlich – auch unser Problem? Kommentar

DIW Wochenbericht 46 / 2022, S. 608

Guido Baldi

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Nach den Zwischenwahlen in den USA bleibt auf der politischen Ebene kaum Zeit zum Durchatmen. Denn nun werden die Spekulationen darüber beginnen, wer von den Demokraten und Republikanern in das Rennen um die wohl äußerst kontroversen Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren einsteigen wird. Auch wenn die Zwischenwahlen in beiden Parteien die moderateren Kräfte etwas stärken könnten, bleibt die Gesellschaft in vielen Bereichen gespalten. Das bedeutet politische Unsicherheit in einer Zeit, in der die US-Wirtschaft vermutlich in eine Rezession oder zumindest eine Wachstumsverlangsamung mit steigender Arbeitslosigkeit schlittern wird. Angesichts der immer noch hohen und erst langsam rückläufigen Inflation bleibt der Notenbank Fed kaum etwas anderes übrig, als die Zinsen weiter zu erhöhen. Sofern sich die Inflation nicht doch schneller als allgemein erwartet zurückbildet, werden die Zinsen wohl von heute vier Prozent noch auf etwa fünf Prozent steigen. Die restriktivere Geldpolitik wird die US-amerikanische Konjunktur bis zu den Präsidentschaftswahlen im November 2024 ausbremsen, was vor allem den Demokraten als der Partei des Amtsinhabers schaden dürfte.

Die Finanzpolitik hingegen wird wohl deutlich passiver sein. Denn Gelegenheit für Biden, der sich abkühlenden Konjunktur mittels Ausgabensteigerungen Schub zu verleihen, wird es vermutlich nur eingeschränkt geben. Die Republikaner werden wohl versuchen, Vorhaben von Joe Biden auszubremsen, was den politischen Betrieb teilweise lähmen dürfte. Angesichts der wohl zu umfangreichen und inflationstreibenden Fiskalpakete während der Pandemie kann eine passivere Fiskalpolitik aus makroökonomischer Sicht zwar durchaus positiv bewertet werden. Allerdings gibt es auch eine Kehrseite: Eine Rezession ohne gleichzeitigen fiskalischen Stimulus wird die wirtschaftliche Lage für viele Menschen schwieriger und den Wahlkampf noch heftiger machen als ohnehin schon zu erwarten ist. Ein Risiko besteht zudem darin, dass die regelmäßig anstehenden Anhebungen der Schuldenobergrenze für den Bundeshaushalt einmal mehr zum Spielball der Parteiinteressen werden und sich die Gefahr eines Zahlungsausfalls erhöht.

Die politische Lähmung und die zwei Jahre bis zum ungewissen Ausgang der US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen kommen für die europäischen Volkswirtschaften zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Sie werden bereits durchgeschüttelt durch die Energiekrise, die dramatisch hohe Inflation sowie die abgekühlte Weltwirtschaft. Die US-Wirtschaft wird durch diese Faktoren alles in allem weniger stark getroffen und sie hat zudem den pandemiebedingten Wirtschaftseinbruch besser verdaut als der Euroraum. So erreichte die US-Wirtschaftsleistung das Vorkrisenniveau von Ende 2019 bereits im Frühsommer 2021 wieder, während dies im Euroraum Ende 2021 und in Deutschland sogar erst im Sommer 2022 der Fall war.

Neben all den anderen Belastungen für die europäischen Volkswirtschaften kommt nun noch die Ungewissheit über den politischen Kurs der Vereinigten Staaten nach den kommenden Präsidentschaftswahlen hinzu – etwa was die Zukunft der transatlantischen Handelsbeziehungen, das Mittragen von klimapolitischen Zielen oder den militärischen Schutzschirm für Europa betrifft. Solche Unsicherheiten können etwa die Investitionsneigung der Unternehmen verringern und die bereits eingetrübten ökonomischen Aussichten zusätzlich dämpfen. Die drohende schwache wirtschaftliche Entwicklung macht es für uns in Europa aber schwieriger, die Energiewende oder die Erneuerung der Infrastruktur zu finanzieren. Auch in den USA braucht es Investitionen in die Energiewende und die Infrastruktur; unter Joe Biden hat die US-Regierung hierfür bereits beträchtliche finanzielle Mittel für die kommenden Jahre bereitgestellt. Vor diesem Hintergrund ist die sich abzeichnende politische Lähmung bis zu den Präsidentschaftswahlen für die USA wirtschaftspolitisch verkraftbar. Oder um eine alte Redewendung des ehemaligen US-Finanzministers John Connally aus dem Jahr 1971 abzuändern: Die anstehenden Präsidentschaftswahlen sind zwar vor allem für die USA selbst äußerst wichtig, werden aufgrund der hohen Bedeutung und der Unsicherheiten über den Ausgang aber auch ein großes Problem für Europa sein.

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