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Atomkraft: Von Ausstiegs- zu Einstiegspartys: Kommentar

DIW Wochenbericht 16 / 2023, S. 188

Claudia Kemfert

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Nun ist es vollbracht. Die letzten Atomkraftwerke in Deutschland sind am vergangenen Samstag vom Netz gegangen. Damit ist die Stromerzeugung aus Atomenergie in Deutschland Geschichte. Die einen feierten dies mit „Ausstiegspartys“, andere wollen immer noch nicht wahrhaben, dass nun endgültig Schluss ist mit der Atomenergie, und kämpfen für den Weiterbetrieb in Länderregie. Die Gespensterdebatten um die Atomenergie reißen nicht ab. Gemessen an Intensität und Quantität der Warnungen vor nun folgenden Stromengpässen könnte man den Eindruck bekommen, die Atomkraftwerke hätten 50 Prozent der gesamten Stromerzeugung produziert.

Fakt ist jedoch: Die restlichen drei Atomkraftwerke haben weniger als fünf Prozent zur Stromerzeugung in Deutschland beigetragen. Dass wir in Deutschland problemlos die restlichen Atomkraftwerke abschalten können, ohne dass die Lichter ausgehen, haben die vergangenen Monate bezeugt. Und eine Abschaltung wäre auch schon am 1. Januar möglich gewesen. Der letzte Winter hat gezeigt, dass die Gefahr eines Blackouts nie bestand. Weder sorgt der Beitrag zur Stromproduktion durch Atomkraftwerke für sinkende Strompreise noch für sinkende Emissionen.

Ohnehin ist das Kapitel Atomenergie nicht abgeschlossen: Die Kraftwerke müssen aufwändig rückgebaut werden, was Jahrzehnte dauern kann. Die Suche nach einem Endlager wird auf mindestens weitere 30 Jahre geschätzt. Und es ist ein Mythos anzunehmen, dass nun überall um uns herum und weltweit die Atomenergie auf dem Vormarsch ist, das Gegenteil ist der Fall: Wie unsere jüngste DIW Studie vom März gezeigt hat, gehen bis zum Jahr 2040 weltweit rund 200 Kernkraftwerke vom Netz und nur 53 werden aktuell neugebaut. Bei rund der Hälfte der laufenden Projekte treten derzeit teils erhebliche Verzögerungen von bis zu zehn Jahren auf. Der Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung geht immer weiter zurück: Lag er im Jahr 1985 bei mehr als 15 Prozent, so ist er bis 2021 auf unter zehn Prozent gefallen. Auch sind wir nicht „umzingelt“ von Atomenergie, in Europa gibt es nur wenige Neubauprojekte, die Hälfte aller Länder hat gar keine Atomenergie.

Es ist also irreführend, von einer weltweiten Renaissance der Atomkraft zu sprechen und Deutschland damit Rückschrittlichkeit zu attestieren, wenn es aus der Atomkraft aussteigt. Zu viel spricht gegen die Atomenergie. Nicht nur ist der Neubau von Kraftwerken langwierig, teuer und ohne staatliche Subventionen nicht finanzierbar. Genau deswegen gibt es so wenig Neubauprojekte. Würde man externe Kosten wie Neubau und Endlagerung einrechnen, zeigt sich, wie teuer Atomenergie tatsächlich ist. Atomenergie macht nur Verluste und muss staatlich subventioniert werden, um sich überhaupt zu tragen. Erneuerbare Energien und Windstrom sind hingegen deutlich billiger.

Auch die angeblich neue Atomtechnik von kleinen Reaktoren entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Fata Morgana. Der Blick nach Frankreich zeigt zudem: Atomkraft ist keine zuverlässige Energiequelle. Mehr als die Hälfte der AKW dort war wegen verschiedener Probleme zeitweise nicht am Netz. Deshalb mussten wir Frankreich mit Strom aushelfen – nicht umgekehrt. Der Betrieb der Atomanlagen hat den Umstieg auf erneuerbare Energien stets behindert, da Atomkraftwerke in der Kombination mit erneuerbaren Energien zu inflexibel sind und den Weg versperren für die echte Energiewende mit erneuerbaren Energien. Es ist gut und richtig, die Kraftwerke endlich abzuschalten und die Gespensterdebatten zur Atomenergie zu beenden. Um es zusammenfassend zu sagen: Atomenergie ist zu teuer, zu langsam, zu gefährlich und zu blockierend.

Mit genau der Leidenschaft und Intensität, mit der aktuell über den Sinn und Unsinn des Atomausstiegs debattiert wird, sollte jetzt endlich nach vorn geschaut und die echte Energiewende mit Energiesparen und erneuerbaren Energien umgesetzt werden. Nach dem Ausstieg kommt der Einstieg: in die erneuerbaren Energien und Energiesparen. Wir sollten nun „Einstiegspartys“ feiern – mit allen Bürgerenergien in ganz Deutschland!

Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

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