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„Tarifeinigung im öffentlichen Dienst ist nur eine Notlösung“

Statement vom 24. April 2023

Bund, Kommunen und Gewerkschaften haben sich auf einen neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst geeinigt. Dazu eine Einschätzung von Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin):

BlockquoteDie Tarifeinigung im öffentlichen Dienst ist eine Notlösung, die kurzfristig zwar den Arbeitskampf beendet, die grundlegenden Probleme jedoch nicht löst. Die Einigung bedeutet durchschnittliche Lohnerhöhungen von rund elf Prozent. Positiv ist, dass Menschen mit geringen Löhnen prozentual sogar ein höheres Lohnplus bekommen – sie erfahren im Alltag allerdings auch eine deutlich höhere Inflation als Menschen mit hohen Löhnen. 

Dennoch bedeutet dieser Tarifabschluss einen Kaufkraft- und Wohlstandsverlust für die Beschäftigten. Denn nach einer Inflationsrate von rund sieben Prozent im Jahr 2022, voraussichtlich sechs Prozent im Jahr 2023 und wohl noch einmal etwa drei Prozent im Jahr 2024 werden die Löhne im öffentlichen Dienst am Ende der Laufzeit rund sechs Prozent weniger Kaufkraft haben. Dies bedeutet, dass es wohl mindestens noch weitere fünf Jahre dauern wird, bis die Löhne im öffentlichen Dienst den Kaufkraftverlust aufgeholt und die Beschäftigten den Wohlstand haben, den sie 2021 hatten. Ich erwarte daher auch in den kommenden Jahren eine deutliche Zunahme der Arbeitskämpfe in Deutschland, auch im öffentlichen Dienst.

Für die Kommunen bedeuten die Mehrkosten von 17 Milliarden Euro eine massive finanzielle Belastung, die zu weiteren Einschränkungen der Daseinsfürsorge führen wird. Nicht erst seit dieser Krise, sondern seit mehr als 20 Jahren sind knapp ein Drittel der Kommunen in Deutschland überschuldet und nicht in der Lage, die Daseinsfürsorge ausreichend zu gewährleisten. Die Investitionslücke bei den Kommunen belief sich bereits vor dieser Krise auf 160 Milliarden Euro. Die Krise der Kommunen wird sich so lange weiter verschärfen, bis die Politik eine dringend notwendige Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs, eine bessere finanzielle Ausstattung und eine Entschuldung der Kommunen umsetzt. Die Gelder des Staates sind vorhanden: Der Staat ist der große Gewinner dieser Inflation, denn bei Bund und Ländern sprudeln die Steuereinnahmen. Allerdings hat vor allem der Bund durch die Steuerentlastung im Zuge des Abbaus der kalten Progression einen großen Teil dieser Gelder lieber an Besserverdienende zurückgegeben.

Meine Erwartung ist, dass ohne Reformen der Tarifabschluss die Lage für alle Beteiligten verschlechtern wird – Beschäftigte im öffentlichen Dienst müssen den Gürtel enger schnallen, die Fachkräftelücke wird sich vergrößern und die Daseinsfürsorge vor allem der Kommunen wird sich weiter verschlechtern.

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