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Grundeinkommen: Liberaler Sozialismus: Kommentar

DIW Wochenbericht 36/37 / 2023, S. 510

Stefan Bach

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Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine alte Utopie der Sozialpolitik. Die Idee: Alle Menschen bekommen Geld vom Staat, unabhängig von Bedürftigkeit oder Erwerbsfähigkeit. Damit dies auf einem existenzsichernden Niveau liegt, schlägt die Initiative Mein Grundeinkommen 1200 Euro im Monat vor, Kinder und Jugendliche erhalten die Hälfte. Aber das wird teuer und kostet den Fiskus gut 1100 Milliarden Euro im Jahr.

Dieses Grundeinkommen soll die existenzsichernden Sozialleistungen wie Bürgergeld, Grundsicherung im Alter, Kinderzuschlag, Wohngeld oder BAFöG ersetzen, das Kindergeld kann ebenfalls wegfallen. Dadurch spart der Staat aber nur gut 100 Milliarden Euro. Es verbleibt also ein Finanzbedarf von knapp 1000 Milliarden Euro, immerhin ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts. Um das zu finanzieren, müsste das Steueraufkommen verdoppelt werden, wie unsere aktuelle Studie zeigt. Die Einkommensteuer müsste auf durchschnittlich gut 60 Prozent steigen oder die Mehrwertsteuer kräftig erhöht werden. Auch Steuervergünstigungen könnten abgeschafft oder vermögensbezogene Steuern gestärkt werden.

Der Staat gibt also das Grundeinkommen in die linke Tasche und nimmt es mit höheren Steuern aus der rechten wieder heraus. Im Durchschnitt wird die Bevölkerung nicht stärker belastet, aber es wird umverteilt von oben nach unten. Menschen mit geringen und mittleren Einkommen profitieren per Saldo. Bei ihnen übersteigt das Grundeinkommen die zusätzlichen Steuerbelastungen. Draufzahlen müssen die Menschen mit hohen Einkommen oder Vermögen. Werden diese stärker besteuert, würde ein großer Teil der Bevölkerung profitieren. Bei einer Finanzierung über eine proportionale Einkommensteuer oder die Mehrwertsteuer wäre die Umverteilung weniger ausgeprägt, aber immer noch erheblich.

Die Einkommensverteilung gleicht sich also deutlich an, Einkommensarmut verschwindet weitgehend, Geringverdienende werden deutlich bessergestellt. Dass die Menschen besser abgesichert sind, dürfte ihre Lebensqualität und Entfaltungsmöglichkeiten erhöhen. Stigmatisierungen und Sanktionsdrohungen bei der Grundsicherung entfallen, dafür erforderliche Bürokratie kann eingespart werden.

Ist das eine realistische Utopie? Ein dritter Weg zwischen (Neo-)Liberalismus und Sozialismus? Die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung wird nicht grundsätzlich verändert, niemand wird bevormundet, die Wohlhabenden werden nicht enteignet. Aber die Steuersätze auf eigene Einkommen oder auch Konsum und Vermögen müssen kräftig steigen, die Wohlhabenden verlieren.

Viele werden dies nicht akzeptieren. Zu befürchten ist, dass dann weniger gearbeitet und investiert wird. Vor allem für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen werden reduzierte Arbeitszeiten interessant, da sie per Saldo mehr Geld zur Verfügung haben. Oder sie könnten früher in Rente gehen, eine Auszeit nehmen, weniger gut bezahlten Tätigkeiten nachgehen oder auf Karrieremöglichkeiten verzichten. Ferner steigen die Anreize, sich in Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit zu betätigen. Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen könnten versuchen, Steuergestaltungen zu nutzen. Es kann auch gegenläufige Effekte geben. Bildungsniveau und Leistungsbereitschaft könnten steigen, damit auch die Produktivität. Die genauen Wirkungen sind schwer zu prognostizieren.

Ein weiterer Nachteil ist, dass das Grundeinkommen besondere Bedürfnisse des Einzelfalls nicht berücksichtigt – es soll ja möglichst einfach an alle gezahlt werden, ohne aufwändige Prüfungen. Sonderbedarfe, etwa Behinderung oder Krankheit, müssten aber weiterhin genauer ermittelt werden wie bisher.

Grundsätzlich ist ein existenzsicherndes Grundeinkommen für alle zwar möglich, aber derzeit wenig realistisch. Dennoch fasziniert das Konzept viele, es hat politisches Potenzial. Viele Entwicklungen weisen bereits in diese Richtung: Beim Bürgergeld wurden Bedürftigkeitsprüfung und Sanktionen abgebaut. Auch das geplante Klimageld ist ein kleines Grundeinkommen, mit dem Einnahmen aus der CO2-Bepreisung zurückgegeben werden sollen. Das eröffnet Perspektiven für mehr.

Stefan Bach

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Staat

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