DIW Wochenbericht 51/52 / 2023, S. 766
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Seit 20 Jahren steht die Forderung nach Bürokratieabbau im Raum. Unbestritten haben aber seitdem trotz aller Initiativen verschiedener Bundesregierungen die Bürokratielasten für die Gesellschaft netto zugenommen. Mittlerweile wird vom Bürokratie-Burnout der Betroffenen gesprochen. In diesem Jahr scheinen diese Forderungen im Unterschied zu den vergangenen Jahren jedoch nicht so schnell zu verebben.
Es gibt zum Thema Bürokratie eine wissenschaftlich etablierte Position: Je höher die Regulierungsdichte, desto niedriger ist der Wohlstand eines Landes. Der Grund dafür scheint einleuchtend. Mehr Regulierungsvorschriften erhöhen zum Beispiel Produktionskosten, wenn damit der Aufwand für Berichtspflichten oder die Umsetzung der Vorschriften in den Unternehmen steigt. Gleiches gilt für Kosten und Zeit der Bürger*innen. Entsprechend schließen die Analysen zu diesem Thema mit der Forderung, Verwaltungsvorschriften zu vereinfachen – was man nun seit 20 Jahren in Deutschland vergeblich umzusetzen versucht.
Aber ist es die Regulierungsdichte allein, die uns ausbremst? Schließlich ist für die Umsetzung der Vorschriften die lokale Verwaltungsbürokratie verantwortlich. Die Verwaltung leistet im Austausch mit den lokalen Unternehmen und der Zivilgesellschaft in manchen Regionen qualitativ gute und schnelle, in anderen Regionen qualitativ schlechte und langsame Arbeit. Den Folgen dieser Unterschiede wurde bislang nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt. Dazu lohnt ein Blick in die nordischen Länder. In Finnland zum Beispiel finden sich Regionen, deren Verwaltung im EU-Vergleich qualitativ überproportional gut ist. In diesen Regionen zeigt sich, dass die in nordischen Ländern bekanntlich hohe Regulierungsdichte die Entwicklung der Wirtschaft und des Wohlstands nicht bremst, ganz im Gegenteil.
Es kommt also bei der Auswirkung von Regulierung darauf an, wie gut und wie schnell die regionale Administration entsprechende Vorschriften umsetzt und anwendet. Und inwieweit die Verwaltung bürokratische Schritte auf Unternehmen oder private Bürger*innen abwälzt oder diese aktiv entlastet und unterstützt. Im Unterschied etwa zu den finnischen Regionen lassen sich in Regionen, deren Verwaltung keine hochwertigen Dienstleistungen erbringt, herkömmliche Analysen bestätigen: Eine steigende Regulierungsdichte wirkt sich negativ auf die Wirtschaftskraft aus. Die unnötigen Verzögerungen in diesen Regionen führen zu verpassten Chancen auf Wachstum und erhöhen damit das Risiko, gegen Wettbewerber zu verlieren. Die Unternehmen reagieren mithin drastisch, wenn gewisse Belastungsgrenzen aufgrund schlechter Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung überschritten sind. Sie schließen oder verlagern ihre Betriebe an andere Standorte mit besserer Verwaltung. Diese Belastungsgrenzen sind in vielen Regionen Deutschlands überschritten.
Verwaltungen sind somit aktive Gestalter der Wirtschaftspolitik – im Guten wie im Schlechten. Jenseits der berechtigten Forderung nach einer Vereinfachung von Vorschriften lassen sich daraus Politikmaßnahmen ableiten. Wenn eine Region ihre wettbewerblichen Bedingungen verbessern will, muss sie die Qualität ihrer Verwaltung erhöhen. Dafür sind erhebliche Anstrengungen notwendig: von einer entsprechenden Qualifizierung der Führungsebene, um Verwaltungsabläufe effizienter zu strukturieren, über die gezielte Übertragung von mehr Verantwortlichkeiten auf das Fachpersonal, sowie dafür passende Weiterbildungsmaßnahmen für bestehendes Personal bis hin zu einer Verbesserung der Ausbildung und einer Überprüfung der Einstellungspraxis.
In Zukunft wird es also darum gehen, nicht nur vom Abbau von Bürokratie zu sprechen, sondern auch vom Aufbau eines sehr gut funktionierenden Verwaltungsapparats. Digitalisierte Prozesse und die Nutzung künstlicher Intelligenz können standardisierte Verwaltungsprozesse um ein Vielfaches beschleunigen. Wie das geht, lässt sich von manch nordischem Land lernen. Es wird eine Investition sein, die sich für den Standort Deutschland lohnt.
Der Beitrag ist am 6. November in einer längeren Fassung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.