Statement vom 25. Januar 2024
Zu den Ergebnissen der heutigen Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB) äußert sich Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), wie folgt:
Die Entscheidung der EZB, den Leitzins noch nicht zu senken, ist verständlich und zu diesem Zeitpunkt auch richtig. Allerdings hätte ich mir von der EZB eine klarere Kommunikation gewünscht, die auf die Notwendigkeit von Zinssenkungen in diesem Jahr hinweist. Ein expliziter Hinweis, dass die Zinswende in diesem Jahr bevorsteht und Zinssenkungen notwendig sein werden, um das Ziel der Preisstabilität mittelfristig nicht zu gefährden, indem die Inflation unter zwei Prozent gedrückt wird, wäre sinnvoll gewesen.
Eine solche kommunikative Vorbereitung von Zinssenkungen wäre wichtig gewesen, um die Finanzierungsbedingungen zu verbessern. Denn die Geldpolitik ist die größte Bremse für die wirtschaftliche Entwicklung im Euroraum in diesem Jahr und vor allem für Deutschland. Die deutsche Wirtschaft dürfte in diesem Jahr kaum wachsen und viele Unternehmen halten sich mit ihren Investitionen zurück, da die Finanzierungsbedingungen sehr restriktiv, also die Zinsen hoch, sind. Dies gilt insbesondere für die Baubranche, aber auch für viele Industriebranchen.
Die Gefahr, dass die EZB in den kommenden zwei Jahren das Zwei-Prozent-Ziel bei der Inflation sogar „unterschießt“, ist mittlerweile genauso groß wie eine weiterhin zu hohe Inflation. Die Inflation im Euroraum ist in den vergangenen Monaten insgesamt schneller gesunken als erwartet. Sowohl die schwächere wirtschaftliche Entwicklung als auch der deutliche Rückgang der Energiepreise sind zwei der wichtigsten Gründe.
Der EZB stehen einige sehr schwierige Jahre mit einer stark schwankenden Inflation bevor. Denn es ist wahrscheinlich, dass geopolitische Konflikte, Probleme bei den Lieferketten und Anpassungen bei relativen Preisen immer wieder zu temporären Schocks für die Inflation führen werden. Auch die Lohnentwicklung dürfte in den nächsten zwei bis drei Jahren sehr dynamisch sein, da Beschäftigte ihre erheblichen Reallohnverluste der vergangenen Jahre werden kompensieren wollen. Eine solche Anpassung muss jedoch nicht problematisch sein, zumal eine anhaltende Lohn-Preis-Spirale unwahrscheinlich ist. Die EZB muss durch solche temporären Schocks hindurchschauen und stärker die mittlere und längere Frist im Blick behalten.
Themen: Geldpolitik