Sanktionskoalitionen erhöhen Kosten für Russland, aber Last der Mitgliedsländer sollte verteilt werden

DIW Wochenbericht 8 / 2024, S. 111-118

Sonali Chowdhry, Julian Hinz, Joschka Wanner, Katrin Kamin

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  • Multilaterale Zusammenarbeit verstärkte Wirkung der Sanktionen, die 2014 nach Annexion der Krim gegen Russland verhängt wurden
  • EU war ein zentraler Akteur in der Sanktionskoalition, auf deren Sanktionen 78 Prozent des gesamten Wohlfahrtsverlustes Russlands entfielen
  • Baltische Volkswirtschaften waren durch Sanktionen wirtschaftlich überproportional hoch belastet
  • Anpassungsfonds und andere Maßnahmen zur Lastenteilung könnten diese Asymmetrien verringern und so Stabilität der Sanktionskoalitionen erhöhen
  • Koordiniertes Vorgehen mit Schwellenländern würde Umgehung der Sanktionen erschweren und die Kosten für Russland weiter erhöhen

„Eine Beteiligung von wirtschaftlich starken Schwellenländern wie China, Vietnam und Brasilien an der Sanktionskoalition könnte den wirtschaftlichen Druck auf Russland erheblich verstärken. Auch wenn das politisch schwierig sein mag, sollten Anstrengungen zu Vereinbarungen mit diesen Ländern unternommen werden.“ Sonali Chowdhry

Zunehmend setzen Staaten auf Allianzen oder Koalitionen, um gemeinsam Sanktionen gegen ein Drittland zu verhängen. Die Auswirkungen einer solchen Koordination sind jedoch unklar. Dieser Wochenbericht analysiert die Sanktionswelle gegen Russland im Jahr 2014 anhand von 400000 Simulationen mit einem quantitativen Handelsmodell. Die Analyse zeigt, dass die multilaterale Zusammenarbeit bei den Sanktionen sowohl die Wohlfahrtsverluste im Inland verringert als auch die Wohlfahrtsverluste für Russland verstärkt hat. Innerhalb der Koalition bestehen jedoch erhebliche Ungleichheiten: In den baltischen Staaten verursachen die Russland-Sanktionen die höchsten wirtschaftlichen Kosten. Diese können aber durch eine Lastenteilung gemildert werden. Es zeigt sich auch, dass eine hypothetische Zusammenarbeit mit aufstrebenden Volkswirtschaften wie China die Wirkung von Sanktionen gegen Russland erheblich steigern kann.

Der Einsatz von Sanktionen, um geopolitische Ziele zu verfolgen, hat seit den 1970er Jahren rapide zugenommen, am stärksten jedoch im vergangenen Jahrzehnt. Sanktionen als eine Form der wirtschaftlichen Staatskunst werden oft als strategischer Ersatz für militärische Interventionen und damit als eine Form des „Krieges mit anderen Mitteln“ angesehen.infoRobert Blackwill und Jennifer M. Harris (2016): War by Other Means: Geoeconomics and Statecraft. Harvard University Press. Die wirtschaftlichen Kosten und der Sanktionsdruck – und damit die geopolitischen Einflussmöglichkeiten – hängen jedoch von den globalen Handelsnetzen ab. Dieser Wochenbericht beleuchtet diese Faktoren und unterstreicht die entscheidende Rolle von Koalitionen, das heißt von Länderbündnissen, die gemeinsam Sanktionen umsetzen.infoEine ausführliche Diskussion der Ergebnisse findet sich in der jüngsten Veröffentlichung der Autor*innen: Sonali Chowdhry et al. (im Erscheinen): Brothers in arms: The value of coalitions in sanctions regimes. Economic Policy: Special Issue on Geoeconomics sowie DIW Discussion Paper Nr. 2021 (online verfügbar, abgerufen am 31. Januar 2024. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen, sofern nicht anders angegeben).

Dieser Wochenbericht fällt auch mit dem zweiten Jahrestag des Beginns der russischen Invasion in der Ukraine und mit einer zunehmenden Sanktionsmüdigkeit in Deutschland zusammen. Obwohl die Europäische Union (EU) im Dezember 2023 ihr zwölftes Sanktionspaket in Kraft setzte, wächst die Skepsis über die Wirksamkeit dieser Maßnahmen.infoMaria Demertzis (2023): The limits of the effectiveness of EU sanctions against Russia. Bruegel Blog (online verfügbar). In der öffentlichen Diskussion konzentriert sich diese Skepsis auf die Befürchtung, dass Sanktionen den Ländern, die sie verhängen, mehr schaden als dem Zielland; so werde Deutschland durch diese Sanktionen mehr geschädigt als Russland. Diese Studie untersucht solche Behauptungen und bewertet insbesondere die Verteilung der wirtschaftlichen Kosten von Sanktionen gegen Russland, die 2014 nach der Besetzung der Krim verhängt wurden.

Darüber hinaus analysiert der Bericht die breitere Debatte über die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit Deutschlands und der EU inmitten zunehmender geopolitischer Spannungen. Die Ergebnisse unterstreichen, wie entscheidend robuste Koalitionen nicht nur innerhalb der EU, sondern auch mit westlichen Verbündeten als strategische Antwort auf diese Herausforderungen sind.

Diese Studie konzentriert sich auf die 2014 gegen Russland verhängten Sanktionen, da in diesem Jahr mehrere Länder restriktive Maßnahmen ergriffen haben, die zu diesem Zeitpunkt in ihrem Ausmaß beispiellos waren.infoZu den Ländern gehörten die Ukraine, alle 27 EU-Mitgliedstaaten, Norwegen, das Vereinigte Königreich, die USA, Kanada, Georgien, Albanien, Montenegro, Australien, Neuseeland und Japan. Darüber hinaus ermöglicht die Konzentration auf diese Episode, auf Daten aus mehreren Jahren zurückzugreifen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen zu bewerten (Kasten). Viele der Ergebnisse sind auch relevant für die Sanktionswellen gegen Russland, die als Reaktion auf die Invasion in die Ukraine ab dem 24. Februar 2022 verhängt wurden.

Methodisch besteht der erste Schritt darin, die durch die Russland-Sanktionen von 2014 verursachte Veränderung der Handelskosten mithilfe eines strukturellen Gravitationsmodells zu schätzen – ein Standardansatz in der internationalen Wirtschaft. Diese Kosten sind bilateral (das heißt spezifisch für Exporteure und Importeure), variieren zwischen den Sektoren und erfassen die Hindernisse für die Handelsströme.

Dazu werden Daten zu den bilateralen Handelsströmen zwischen 2000 und 2019 aus verschiedenen Standardquellen verwendet, die den Gütersektor (Base pour l'Analyse du Commerce International BACI), den Dienstleistungssektor (OECD-WTO Balanced Trade in Services), Öl (Oil Information Statistics der Internationalen Energieagentur IEA) und Erdgas (IEA Natural Gas Information Statistics) abdecken.

Diese Daten werden dann genutzt, um die Auswirkungen von Änderungen der Handelskosten auf die Handelsströme mithilfe eines quantitativen Handelsmodells zu ermitteln. Bei diesem Modell handelt es sich um eine mathematische Darstellung der Weltwirtschaft, die umfangreiche Input-Output-Verknüpfungen zwischen Ländern und Sektoren enthält und somit eine Welt mit globalen Wertschöpfungsketten widerspiegelt.infoLorenzo Caliendo und Fernando Parro (2015): Estimates of the Trade and Welfare Effects of NAFTA. The Review of Economic Studies 82 (1), 1–44. Das Modell wird mit zusätzlichen Daten aus 65 Sektoren und 140 Volkswirtschaften angereichert, die aus dem Global Trade Analysis Project (GTAP) stammen.infoAngel Aguiar et al. (2019): The GTAP Data Base: Version 10. Journal of Global Economic Analysis 4 (1), 1–27. Anhand von Simulationen mit diesem Modell können die Auswirkungen von sanktionsbedingten Änderungen der Handelskosten auf die Handelsströme und die Gesamtwohlfahrt (definiert als inländischer realer Konsum) in Russland sowie für die sanktionierenden Staaten und Drittländer berechnet werden.

Um die Robustheit der Ergebnisse zu gewährleisten, wird eine Methode angewandt, die als Bayesianisches Bootstrap-Verfahren bekannt ist. Dabei wird wiederholt vor jeder Simulation eine neue Stichprobe aus den Daten gezogen. Auf diese Weise wird eine Verteilung der Kosten aus den Sanktionen erstellt, die es ermöglicht, die Bandbreite möglicher Ergebnisse unter verschiedenen hypothetischen Szenarien zu verstehen. Mit diesem Ansatz werden mehr als 400000 Simulationen für verschiedene Szenarien von Russland-Sanktionen berechnet.

Sanktionen gegen Russland haben 2014 ihr Potenzial nicht voll ausgeschöpft

Zu Beginn wird der gesamte Wohlfahrtsverlust Russlands (gemessen an der Entwicklung des realen inländischen Konsums) aufgrund der Sanktionen, die 2014 nach der Besetzung der Krim verhängt wurden, untersucht. Dies dient als Referenzszenario. In diesem Szenario sinkt, verglichen mit einer hypothetischen Situation ohne Sanktionen, die Gesamtwohlfahrt beziehungsweise der inflationsbereinigte Inlandsverbrauch Russlands um 1,44 Prozent. Um das vollständige Potenzial von Sanktionen gegen Russland zu untersuchen, wird dieses Referenzszenario mit den Ergebnissen von drei weiteren Szenarien verglichen, die jeweils entweder eine Verschärfung der Sanktionsmaßnahmen mit der bestehenden Koalition (vertikales Potenzial) oder eine Ausweitung der Koalition (horizontales Potenzial) beinhalten.

Zunächst wird ein Szenario simuliert, in dem die Koalition im Jahr 2014 ein vollständiges Handelsembargo gegen Russland verhängt. Dies stellt das vertikale Potenzial des Sanktionsregimes dar. Die Ergebnisse der Simulation sind signifikant: Bei einem vollständigen Embargo könnte sich der Wohlfahrtsverlust Russlands im Vergleich zum Referenzszenario mehr als versechsfachen (Tabelle). Dieser bemerkenswerte Unterschied ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. So war der russische Erdgassektor im Jahr 2014 weitgehend von direkten Sanktionen ausgenommen, und die Ölsanktionen zielten speziell auf künftige Produktionskapazitäten und nicht auf bestehende Projekte ab. Außerdem wurden in bestimmten Sektoren Ausnahmen aus humanitären Gründen gewährt. Zusammen haben diese Faktoren dazu beigetragen, dass das vertikale Potenzial der Sanktionen nur in geringem Maße ausgeschöpft wurde. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die aktuellen Sanktionen gegen Russland im Jahr 2024 das vertikale Potenzial besser ausreizen, da strengere Maßnahmen wie der Ausschluss vom SWIFT-Zahlungssystem und Beschränkungen des Öl- und Gashandels verhängt wurden.

Tabelle: Wohlfahrtsverluste für Russland in unterschiedlichen Szenarien

Veränderung des realen inländischen Konsums in Prozent

Koalition von 2014 Hypothetische globale Koalition
Sanktionen von 2014 –1,44 –2,49
Hypothetisches komplettes Handelsembargo –8,81 –15,24

Anmerkung: Wohlfahrtsverluste sind definiert als Rückgang des realen inländischen Konsums. Diese werden für Russland in vier Szenarien berechnet: (i) Die Zusammensetzung der Koalition und die Sanktionen entsprechen denen des Jahres 2014 (Status quo); (ii) die Sanktionen bleiben dieselben, die Koalition ist aber auf eine globale Allianz ausgeweitet (horizontales Sanktionspotenzial); (iii) die Koalition bleibt dieselbe, die Sanktionen werden aber auf ein vollständiges Handelsembargo ausgeweitet (vertikales Sanktionspotenzial); (iv) die Koalition wird auf eine globale Allianz ausgedehnt und die Sanktionen auf ein vollständiges Embargo ausgeweitet (Autarkie-Szenario).

Quelle: Eigene Berechnungen.

Um das horizontale Potenzial der Sanktionen zu bewerten, wird ein Szenario simuliert, bei dem die Sanktionen aus dem Jahr 2014 durch eine hypothetische globale Koalition durchgesetzt werden. Dies erhöht den Wohlfahrtsverlust Russlands um zusätzliche 1,05 Prozentpunkte im Vergleich zum Referenzszenario. Dies deutet darauf hin, dass die tatsächliche Koalition des Jahres 2014 trotz ihrer begrenzten Größe mehr als die Hälfte der Sanktionskraft einer hypothetischen globalen Koalition mit gleichen Maßnahmen erreichte.

Das letzte Szenario nimmt den Fall der Autarkie an, das das strengste Sanktionsregime gegen Russland darstellt. In diesem Fall würde eine globale Koalition ein vollständiges Handelsembargo gegen Russland verhängen. In diesem Szenario könnte der Wohlfahrtsverlust für Russland auf 15,24 Prozent steigen, was die Obergrenze der Sanktionskraft darstellt.

Zusammenarbeit senkte die inländischen Kosten und erhöhte die Kosten für Russland

Im nächsten Schritt wird bewertet, welchen Beitrag einzelne Koalitionsmitglieder des Jahres 2014 zur Aufrechterhaltung des Sanktionsregimes gegen Russland geleistet haben. Diese Bewertung stützt sich auf zwei Faktoren: den Wohlfahrtsverlust, den jedes Mitglied im eigenen Land erlitt, und den Wohlfahrtsverlust, den jedes Mitglied Russland auferlegte. Anschließend wird der Wert koordinierter Sanktionen ermittelt, indem die Beiträge der Mitglieder in zwei verschiedenen Szenarien gegenübergestellt werden: In einem Szenario werden die Sanktionen unilateral verhängt, in einem anderen multilateral (Koalitionen).

Die erste wichtige Erkenntnis aus diesen Simulationen ist, dass Koalitionen die inländischen Kosten der Sanktionen senken. Die (teilweisen) Sanktionen gegen Russland 2014 erhöhten die Handelskosten der Koalitionsmitglieder sowohl für die Agrar- und Ernährungsindustrie als auch für das verarbeitende Gewerbe. Werden die Sanktionen jedoch multilateral statt unilateral umgesetzt, verringert sich der durchschnittliche inländische Wohlfahrtsverlust der Koalitionsmitglieder um 4,5 Prozent.

Die zweite wichtige Erkenntnis unterstreicht die verstärkte Wirkung kooperativer Sanktionen. Wenn Sanktionen gemeinsam verhängt werden, erhöht sich der Wohlfahrtsverlust Russlands um etwa zwölf Prozent. Dies ist in erster Linie auf die geringeren Möglichkeiten zur Handelsumleitung und Umgehung der Sanktionen zurückzuführen. In diesem Zusammenhang sticht die EU als zentraler Akteur innerhalb der Koalition hervor, auf deren Sanktionen 78 Prozent des gesamten Wohlfahrtsverlustes für Russland entfallen.

Osteuropäische Volkswirtschaften belasteten die Sanktionen 2014 stark

Die Simulationen zu den Beiträgen der Mitglieder lassen auch bemerkenswerte Asymmetrien innerhalb der Koalition gegen Russland erkennen. Vor allem kleinere Volkswirtschaften wie Litauen, Estland, die Ukraine, Lettland und Georgien wurden bei der Umsetzung der Sanktionen unverhältnismäßig stark belastet (Abbildung 1). Diese Länder, die geografisch nah zu Russland liegen, historische Verbindungen sowie auch einen bedeutenden Anteil an russischsprachiger Bevölkerung haben, sahen sich höheren Wohlfahrtskosten bei der Verhängung dieser Sanktionen gegenüber. Dies weist auf eine entscheidende geografische und soziokulturelle Dimension bei der Verteilung der Sanktionslast hin.

Auch die Fähigkeit, Russland Wohlfahrtsverluste zuzufügen, war bei den Koalitionsmitgliedern sehr unterschiedlich (Abbildung 2). Nach dem Bruttoinlandsprodukt größere Volkswirtschaften wie Deutschland, die USA, die Niederlande, Polen und Italien übten den größten Sanktionsdruck auf Russland aus. Vergleicht man das Verhältnis zwischen den im eigenen Land getragenen Wohlfahrtskosten und dem Wohlfahrtsverlust, der dem Zielland zugefügt wird, so erwiesen sich die USA als das effektivste Koalitionsmitglied, dicht gefolgt von Japan und Deutschland. Mitglieder wie Estland und Lettland lagen am anderen Ende des Spektrums. Diese Länder hatten relativ hohe Kosten für die Verhängung von Sanktionen, die sich nur in geringen Wohlfahrtsverlusten für Russland niederschlugen.

Insgesamt veranschaulichen diese Simulationen eine komplexe Landschaft der Sanktionsdurchsetzung innerhalb der Koalition, die durch eine ungleiche Verteilung der Kosten und einen unterschiedlichen Grad an Wirksamkeit gekennzeichnet ist.

Lastenteilung durch Umverteilung kann Wohlfahrtsverlust durch Sanktionen ausgleichen

In vorherigen Simulationen wurde festgestellt, dass Sanktionen zu ungleichen Wohlfahrtskosten für die Koalitionsmitglieder führen. Daher konzentriert sich das nächste Szenario auf das Potenzial für eine Lastenteilung innerhalb der Koalition. Aufgrund der zunehmenden Häufigkeit und Härte von Sanktionen sind Forderungen nach einer Lastenteilung nicht neu: Länder haben diese Empfehlung bereits früher an die Vereinten Nationen gerichtet. Eine Lastenteilung könnte nicht nur die nachteiligen Auswirkungen von Sanktionen auf die durchführenden Länder abmildern, sondern auch die Stabilität von Sanktionskoalitionen erhöhen und die Beteiligung weiterer Länder fördern.

In diesem Wochenbericht wird ein Anpassungsfonds als mögliches Instrument untersucht. Bei diesem werden Finanztransfers zwischen Koalitionsmitgliedern durchgeführt, so dass alle Länder gleiche Wohlfahrtsverluste durch die Umsetzung von Sanktionen erfahren.

Die Simulationen zeigen, dass durch diesen Mechanismus mehrere Länder Transfers erhalten würden, um ihre höheren relativen Kosten aufgrund der Russland-Sanktionen auszugleichen. Gemessen am realen Bruttoinlandsprodukt (BIP) würden die baltischen Länder wie Litauen (0,65 Prozent), Estland (0,38 Prozent) und Lettland (0,31 Prozent) zu den Hauptempfängern gehören. Umgekehrt würden größere Volkswirtschaften wie die USA, Japan, das Vereinigte Königreich und Kanada, die weniger von den Sanktionen betroffen sind, die Hauptbeitragszahler zu diesem Fonds sein.

Zum Ausgleich der inländischen Wohlfahrtsverluste aufgrund der verhängten Sanktionen wäre ein Anpassungsfonds in Höhe von rund 4,9 Milliarden US-Dollar erforderlich gewesen. Ein solcher Fonds könnte erheblich zur langfristigen Widerstandsfähigkeit von Sanktionskoalitionen beitragen, indem er die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedstaaten verringert. Mit Blick auf das Jahr 2024 könnte die Einführung eines Lastenteilungsmechanismus Anreize für die Länder schaffen, die Sanktionen gegen Russland weiterhin zu unterstützen.

Schwellenländer sind entscheidend, um Sanktionsdruck zu erhöhen

Wie gezeigt, erhöhen Sanktionskoalitionen die Wohlfahrtsverluste für Russland. Diese Verluste variieren jedoch in Abhängigkeit von den einzelnen Ländern innerhalb der Koalition. In einem letzten Schritt wird daher untersucht, wie weitere (sogenannte neutrale) Staaten die Sanktionskraft noch verstärken. Dazu wird eine Reihe von kontrafaktischen Szenarien erstellt, in denen die Koalition schrittweise um ein weiteres Land erweitert wird, das 2014 keine Sanktionen gegen Russland verhängt hat. Daraus wird eine Prioritätenliste von Ländern erstellt, die als potenzielle Kandidaten für eine gestärkte Koalition gegen Russland in Frage kommen, falls sich die derzeitige Koalition für eine Verschärfung ihrer Maßnahmen entscheidet.

Dabei zeigt sich, dass China, Vietnam, Weißrussland, die Türkei, Brasilien und Südkorea die größten potenziellen Koalitionspartner sind, um den Wohlfahrtsverlust für Russland zu erhöhen (Abbildung 3).infoNeben diesen Ländern dürften auch die Schweiz, Indien und Israel durch ihre Beteiligung an der Koalition erhebliche Wohlfahrtsverluste für Russland verursachen. Koordinierte Sanktionen mit diesen Ländern würden es Russland erheblich erschweren, die Sanktionen zu umgehen, und würden das Abschreckungspotenzial des Sanktionsregimes erhöhen. Anders interpretiert weisen diese Ergebnisse auch auf die impliziten Kosten der Nicht-Kooperation dieser Länder im Rahmen des Russland-Sanktionsregimes 2014 hin.

Die Rolle Chinas ist besonders entscheidend. Simulationen zeigen, dass die Beteiligung Chinas an den Sanktionen den Wohlfahrtsverlust Russlands um etwa 22 Prozent erhöhen könnte, während China selbst einen vernachlässigbaren Wohlfahrtsverlust erleiden würde (–0,02 Prozent). Darüber hinaus scheint die Beteiligung Chinas die Wohlfahrtsverluste der anderen Koalitionsmitglieder leicht zu verringern. Dies bedeutet, dass der Beitritt Chinas zur Koalition deren Sanktionskraft gegenüber Russland drastisch erhöhen könnte.

Zwar könnte China einen erheblichen Einfluss haben, doch es ist politisch unwahrscheinlich, dass sich China einer Koalition gegen Russland anschließen wird. Angesichts dessen müssen die Koalitionsmitglieder alternative Wege finden, sich strategisch mit China und anderen Schwellenländern zu arrangieren, um Russlands Möglichkeiten, die Sanktionen zu umgehen, zu begrenzen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist schon gemacht worden, indem die EU den Posten eines neuen internationalen Sondergesandten im Jahr 2022 eingerichtet hat. Dieser soll hochrangige Dialoge mit Drittländern über die Durchsetzung von Sanktionen erleichtern.

Fazit: Engere Koordinierung und striktere Durchsetzung erforderlich

Dieser Bericht unterstreicht den Wert der multilateralen Zusammenarbeit bei der Verhängung von Sanktionen. Sie können die Wohlfahrtsverluste der sanktionierenden Staaten senken und die Wohlstandsverluste des sanktionierten Staates erhöhen. Dennoch gibt es eine bemerkenswerte Möglichkeit für eine engere Koordinierung: So werden beispielsweise weniger als 50 Prozent der von den USA oder der EU gegen Russland sanktionierten Produkte von beiden gemeinsam eingeschränkt.infoRicardo Hausmann et al. (2022): On the design of effective sanctions: The case of bans on exports to Russia. CID Faculty Working Paper No. 417 (online verfügbar). Eine größere Überschneidung bei den sanktionierten Produkten kann daher Russlands Möglichkeiten, diese Maßnahmen zu umgehen, erheblich einschränken.

Ein weiterer kritischer Aspekt der Sanktionen aus dem Jahr 2014 war die ungleiche wirtschaftliche Belastung der osteuropäischen Länder. Dies kann erhebliche politische Auswirkungen auf die EU und ihre Fähigkeit haben, eine einheitliche Front gegen Russland aufrechtzuerhalten. Da die Aggression Russlands gegenüber der Ukraine mittel- bis langfristig anhalten dürfte, muss die EU aktiver einen strukturierten Dialog über potenzielle Lastenteilungsmechanismen führen. Dies wird dazu beitragen, die Solidarität angesichts der neuen geopolitischen Herausforderungen zu stärken.

Schließlich zeigen die Ergebnisse, dass die Zusammenarbeit mit Schwellenländern wie China, Brasilien und Vietnam den wirtschaftlichen Druck auf Russland erhöhen kann, indem sie die Möglichkeiten zur Umgehung von Sanktionen verringert. Eine bemerkenswerte Entwicklung in diesem Zusammenhang ist die Einführung eines Anti-Umgehungsinstruments durch die EU in ihrem 11. Sanktionspaket, das im Juni 2023 verabschiedet wurde. Dieses Instrument ermöglicht es der EU, ihre Ausfuhren von sanktionierten Gütern und Technologien in Drittländer zu kontrollieren, die wahrscheinlich als Reexport nach Russland gehen werden. Ein solches Instrument muss jedoch durch strengere und durchsetzbare Leitlinien für EU-Unternehmen zur Einhaltung der Sanktionen ergänzt werden.

Sonali Chowdhry

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Unternehmen und Märkte



JEL-Classification: F13;F14;F17;F51
Keywords: Sanctions, Alliances, Global value chains
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-8-1

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