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„EZB-Rat hat Chance für notwendigen Kurswechsel verpasst“

Statement vom 11. April 2024

Zu den Ergebnissen der heutigen Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB) äußert sich Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), wie folgt:

BlockquoteDie EZB hat die Chance verpasst, den notwendigen Kurswechsel ihrer Zinspolitik einzuleiten. Sie scheint sich hinter der US-Notenbank verstecken zu wollen, statt dem Beispiel anderer, kleinerer Zentralbanken in Europa zu folgen und die Zinsen zu senken. Damit bleibt die Geldpolitik neben der Finanzpolitik die stärkste Bremse für die europäische Konjunktur in diesem und im nächsten Jahr. 

Mit zuletzt 2,4 Prozent ist die Inflationsrate in der Eurozone wieder auf einem Niveau, das konsistent mit dem Ziel der Preisstabilität der EZB ist. Das Risiko, dass die Inflationsrate über die kommenden zwei Jahre erheblich schwankt, bleibt hoch. Nachdem die europäische Wirtschaft stark geschwächt wurde, sollte die EZB nun in einen zukunftsorientierten Modus wechseln und die Zinsen signifikant senken. Eine erste Zinssenkung im Juni 2024 ist im Grunde zu spät und eine Absenkung des Leitzinses um 0,75 Prozentpunkte bis Ende des Jahres zu wenig.  

Die Tatsache, dass sowohl die Kerninflation als auch die Inflation im Dienstleistungsbereich noch über dem Ziel der Preisstabilität liegen, ist logisch und war zu erwarten. Auch eine Erholung der Löhne dürfte Druck auf die Preise ausüben. Allerdings sind all dies temporäre Faktoren, Sorgen um eine Lohn-Preis-Spirale bleiben unbegründet. Dagegen sind die Inflationserwartungen sehr gut verankert. Die Wirtschaft der Eurozone, vorneweg Deutschland, produziert deutlich unter ihrem Potenzial und das Niveau der Zinsen ist so restriktiv, dass die Wirtschaft auch in den kommenden beiden Jahren unter ihrem Potenzial bleiben wird. Das Risiko, dass die EZB mit ihrer Geldpolitik die Wirtschaft nachhaltig schwächt und die Preisentwicklung zu stark bremst, ist gegenwärtig höher als das Risiko einer dauerhaft zu hohen Inflation. Die EZB braucht mehr Mut, zu einer Symmetrie in ihrer Geldpolitik zurückzukehren. Sie sollte sich vom Versuch verabschieden, der Geldpolitik der US-Notenbank Fed zu folgen, denn die US-Wirtschaft befindet sich in einer komplett anderen Lage. Die gegenwärtig zu restriktive Geldpolitik der EZB hilft nicht dabei, ihr Ziel der Preisstabilität besser zu erfüllen. Im Gegenteil, es könnte die Wirtschaft der Eurozone dauerhaft schwächen und somit europäische Unternehmen weniger wettbewerbsfähig machen und notwendige Investitionen bremsen.

Themen: Geldpolitik

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