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Flexibilität fällt nicht vom Himmel: Kommentar

DIW Wochenbericht 36 / 2024, S. 576

Karsten Neuhoff

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Als jüngst ein Solar-Plan – vermeintlich von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck – in der Presse die Runde machte, löste dies eine Empörungswelle aus. Der Plan wurde so verstanden, dass künftig die Unternehmen ihre Produktion an Sonne und Wind ausrichten müssten und dadurch Risiken für die Wirtschaft entstehen würden. Der Empörung liegt ein Missverständnis zugrunde. Den Unternehmen soll nicht eine Produktion nach Wetterlage vorgeschrieben werden, sondern sie sollen Flexibilitätspotenziale erschließen. Mit Flexibilität kann Energie, die bei viel Wind und Sonne erzeugt wird, in Stunden mit geringer Erzeugung verschoben werden. Das reduziert den Einsatz konventioneller Energie und damit Emissionen.

Die Flexibilität ergibt sich dabei nicht aus einem Herunterfahren der Industrieproduktion, sondern durch Investitionen in Speicheroptionen und hybride Energieversorgungskonzepte. So betragen zum Beispiel die Investitionskosten für Wärmespeicher einen Bruchteil der Kosten für Batteriespeicher, und sie benötigen deutlich weniger seltene Erden und Grundfläche. Allerdings fällt Flexibilität nicht vom Himmel – und bisher reduzieren drei Fehlanreize die Wirtschaftlichkeit und damit die Anreize, Flexibilität zu erschließen.

Erstens: Die Reduktion der Netzentgelte für stromintensive Unternehmen ist an eine konstante Stromnachfrage gekoppelt. Das ist aus der Zeit gefallen, denn es schafft Anreize gegen statt für Flexibilität. Hier führt die Bundesnetzagentur – nicht wie kolportiert der Bundeswirtschaftsminister – eine ergebnisoffene Konsultation durch, um geeignete Reformoptionen zu finden. Dabei sollten dann auch Übergangsregelungen berücksichtigt werden, damit stromintensive Unternehmen Investitionen tätigen können, um Flexibilitäten zu erschließen.

Zweitens: Netzengpässe und die dadurch verursachten Kosten im Übertragungsnetz wachsen schneller als der Netzausbau. Das liegt daran, dass die Leistung der angeschlossenen Stromerzeugung und Stromnachfrage von rund 100 Gigawatt auf das Vier- bis Fünffache wächst – durch den Ausbau von Wind- und Solar sowie der Elektrifizierung von Wärme, Mobilität und Industrie. Das Übertragungsnetz kann nicht im gleichen Umfang vergrößert werden – das wäre viel zu teuer und würde auch vor Ort keine Akzeptanz finden. Die Nachfrage muss also nicht nur deutschlandweit, sondern auch vor Ort auf die Wind- und Solarproduktion reagieren. Die Wissenschaft ist sich einig, dass geht nur mit lokalen Preissignalen. Unsicherheiten für Marktakteure könnten dabei zum Beispiel durch ein Poolkonzept abgesichert werden. In diesem Erneuerbare-Energien-Pool werden die günstigen Konditionen wettbewerblicher Ausschreibungen für neue Windkraft- und Solarprojekte an die Stromverbraucher*innen weitergegeben. Dabei können auch die jeweiligen Strompreise am Standort abgesichert werden.

Drittens: Wenn Flexibilitätspotenziale bei der Kraftwerksstrategie und Kapazitätsplanung unzureichend berücksichtigt werden, droht ein Henne- und Ei-Problem. Regulierungsbehörden und Netzbetreiber werden lieber auf etablierte Gaskraftwerke setzen. Umfassende Versorgung mit Gaskraftwerken dämpft Preisspitzen ab. Damit entfallen aber wichtige Anreize für Investitionen in Flexibilität. Eine Versorgungssicherheitsreserve könnte Abhilfe schaffen. Ähnlich wie die bisherige strategische Reserve erlaubt sie dem Netzbetreiber, Kraftwerke in der Hinterhand zu halten. Deren Einsatz erfolgt aber nur zu einem klar definierten höheren Preis, so dass sich daraus Anreize für Investitionen und Nutzung von Flexibilität ergeben.

Flexibilität wird nicht vom Himmel fallen, sondern kann nur in einem attraktivem Investitionsumfeld erschlossen und genutzt werden. Mehrere Reformen im Strommarkt sind dafür notwendig und auch möglich. Diese Reformen schränken die Produktion in Deutschland aber nicht ein, sondern schaffen die nötigen Investitionsrahmenbedingungen. Das ist wichtig für Deutschland als Innovationsland und für die globale Wettbewerbsfähigkeit bei den Energiekosten.

Der Beitrag ist am 3. September 2024 bei Focus online erschienen.

Karsten Neuhoff

Abteilungsleiter in der Abteilung Klimapolitik

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